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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

[286] Das Komische dieser Parodie besteht darin, daß der „anspruchsvolle Künstler“ im gegebenen<br />

Falle mit dem offenbarsten Blödsinn zufrieden ist. Das Erscheinen solcher Parodien<br />

zeigt unter anderem, daß die innere Dialektik des gesellschaftlichen Lebens die Theorie der<br />

Kunst für die Kunst jetzt völlig ad absurdum geführt hat.<br />

Es ist nicht gut für den Menschen, allein zu sein. Die jetzigen „Neuerer“ in der Kunst geben<br />

sich nicht mit dem zufrieden, was ihre Vorgänger geschaffen haben. Daran ist absolut nichts<br />

Schlechtes. Im Gegenteil: das Streben nach dem Neuen pflegt sehr oft die Quelle des Fortschritts<br />

zu sein. Aber es findet nicht jeder etwas wirklich Neues, der es sucht. Man muß das<br />

Neue zu suchen verstehen. Wer blind ist gegen die neuen Lehren des gesellschaftlichen Lebens,<br />

für wen es keine andere Wirklichkeit gibt außer seinem „Ich“, der wird auf der Suche<br />

nach dem „Neuen“ nichts finden außer einem neuen Blödsinn. Es ist nicht gut für den Menschen,<br />

allein zu sein.<br />

Es stellt sich heraus, daß die Kunst für die Kunst unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen<br />

keine sehr schmackhaften Früchte trägt. Der extreme Individualismus der Epoche<br />

des bürgerlichen Verfalls verschüttet in den Künstlern alle Quellen wahrer Inspiration. Er<br />

macht sie völlig blind für das, was im gesellschaftlichen Leben vorgeht, und verurteilt sie zu<br />

unfruchtbarer Geschäftigkeit mit völlig inhaltlosen persönlichen Erlebnissen und krankhaft<br />

phantastischen Einfällen. Im Endergebnis einer solchen Geschäftigkeit kommt etwas heraus,<br />

was nicht nur keinerlei Beziehung zu irgend etwas Schönem hat, sondern eine offensichtliche<br />

Absurdität darstellt, die man nur mit Hilfe einer sophistischen Verzerrung der idealistischen<br />

Erkenntnistheorie verteidigen kann.<br />

Bei Puschkin lauscht das „kalte und hochmütige Volk“ „gedankenlos“ dem Sang des Dichters.<br />

Ich habe schon gesagt, daß diese Gegenüberstellung unter der Feder Puschkins ihren<br />

historischen Sinn hatte. Um sie zu verstehen, braucht man nur zu berücksichtigen, daß die<br />

Epitheta „kalt und hochmütig“ ganz und gar nicht anwendbar waren auf den damaligen russischen<br />

leibeigenen Bauern. Dafür aber waren sie sehr wohl anwendbar auf jeden beliebigen<br />

Vertreter jenes „Pöbels“ der höheren Gesellschaft, der dann unseren großen Dichter später<br />

auch durch seine Borniertheit zugrunde gerichtet hat. Die Menschen, die zu diesem „Pöbel“<br />

gehörten, konnten ohne jede Übertreibung von sich dasselbe sagen, was der „Pöbel“ in dem<br />

Gedichte Puschkins sagt:<br />

[287]<br />

Arglistig sind wir, feig und niedrig,<br />

Undankbar, tückisch, sittenwidrig,<br />

Von blöder, sklavischer Natur<br />

Und Hämlinge des Herzens nur,<br />

Weil Lasterflammen uns verzehren. (A) 1<br />

Puschkin hat begriffen, daß es lächerlich gewesen wäre, diesem seelenlosen Plebs der besseren<br />

Gesellschaft „kühne“ Lehren zu erteilen; der würde sie nicht verstanden haben. Puschkin<br />

hat recht getan, als er sich stolz von ihm abwandte. Mehr noch, es war nicht recht von ihm,<br />

daß er sich, zum großen Unglück der russischen Literatur, nicht vollends von ihm abgewandt<br />

hat. Aber jetzt, in den hochkapitalistischen Ländern, ist das Verhältnis zum Volk von seiten<br />

des Dichters und überhaupt des Künstlers, der es nicht fertigbrachte, den alten bürgerlichen<br />

Menschen abzulegen, dem direkt entgegengesetzt, was wir bei Puschkin sehen: nicht mehr<br />

dem „Volk“, nicht mehr jenem wirklichen Volk, dessen fortschrittlicher Teil sich seiner<br />

selbst immer mehr bewußt wird, kann man jetzt Borniertheit vorwerfen, sondern den Künst-<br />

1 [Aus dem Gedicht „Der Dichter und die Menge“.]<br />

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