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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

chen, durch die „Kruste der Erscheinungen“ weiter vorzudringen, nachdem sie den Fehler der<br />

Impressionisten begriffen hatten und ihnen zum Bewußtsein gekommen war, daß die Hauptperson<br />

in einem [283] Gemälde nicht das Licht ist, sondern der Mensch mit seinen mannigfaltigen<br />

Erlebnissen. Und in der modernen Malerei sehen wir in der Tat sowohl das eine wie<br />

das andere. Wenn das Interesse auf die „Kruste der Erscheinungen“ konzentriert ist, entstehen<br />

auf der Leinwand jene paradoxalen Gemälde, vor denen die nachsichtigsten Kritiker fassungslos<br />

die Hände ringen und erklären, daß die moderne Malerei eine „Krisis des Häßlichen“<br />

erlebt. 1 Das Bewußtsein von der Unmöglichkeit, sich auf die „Kruste der Erscheinungen“<br />

zu beschränken, bewirkt jedoch, daß man nach einem ideellen Inhalt sucht, d. h. sich vor<br />

dem beugt, was man eben noch verbrannt hatte. Indes, seinen Werken einen ideellen Gehalt<br />

zu vermitteln, ist nicht so leicht, wie es scheinen mag. Die Idee ist nicht etwas, was unabhängig<br />

von der wirklichen Welt existiert. Der Gedankenschatz eines jeden Menschen wird bestimmt<br />

und bereichert durch seine Beziehungen zu dieser Welt. Und derjenige, dessen Beziehungen<br />

zu dieser Welt sich so gestaltet haben, daß er sein „Ich“ für die „einzige Wirklichkeit“<br />

hält, wird unvermeidlich auf dem Gebiete der Ideen zu einem ganz und gar armseligen<br />

Menschen. Er hat nicht nur keine Ideen, sondern, was das Wichtigste ist, er hat nicht einmal<br />

die Möglichkeit, zu solchen zu gelangen. Und wie die Menschen aus Mangel an Brot Melde<br />

essen, so begnügen sie sich mangels klarer Ideen mit verschwommenen Anspielungen auf<br />

Ideen, mit Surrogaten, die aus dem Mystizismus, dem Symbolismus und anderen ähnlichen<br />

„Ismen“ geschöpft sind, die für die Epoche des Verfalls charakteristisch sind. Kurz gesagt, in<br />

der Malerei wiederholt sich das, was wir schon in der Belletristik gesehen haben: der Realismus<br />

verfällt infolge seiner inneren Gehaltlosigkeit, es triumphiert die idealistische Reaktion.<br />

Der subjektive Idealismus hat sich immer auf den Gedanken gestützt, daß es keine andere<br />

Wirklichkeit gebe außer unserem „Ich“. Aber es gehörte der ganze grenzenlose Individualismus<br />

der Verfallszeit der Bourgeoisie dazu, um aus diesem Gedanken nicht nur das egoistische<br />

Prinzip zu machen, das die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Menschen bestimmt, von<br />

denen jeder „sich liebt wie Gott“ – die Bourgeoisie hat sich niemals durch einen Überfluß an<br />

Altruismus ausgezeichnet –‚ sondern auch die theoretische Grundlage einer neuen Ästhetik.<br />

Der Leser hat gewiß von den sogenannten Kubisten gehört. Wenn er jemals Gelegenheit gehabt<br />

hat, ihre Erzeugnisse zu Gesicht zu bekommen – ich gehe wohl nicht irre, wenn ich annehme,<br />

daß er durchaus nicht entzückt war. In mir rufen diese Erzeugnisse wenigstens nichts<br />

hervor, was einem ästhetischen Genuß ähnlich wäre. „Blödsinn im Kubik!“ – das [284] sind<br />

die Worte, die einem beim Anblick dieser angeblichen künstlerischen Übungen auf der Zunge<br />

schweben. Aber der „Kubismus“ hat doch seine Ursache. Ihn einen kubifizierten Blödsinn<br />

<strong>nennen</strong> heißt nicht seine Entstehung erklären. Hier ist natürlich nicht der Platz, sich damit zu<br />

befassen. Aber die Richtung zeigen, in der man sie zu suchen hat, kann man auch hier. Vor<br />

mir liegt ein interessantes Büchlein: „Du cubisme“ von Albert Gleizes und Jean Metzinger.<br />

Beide Autoren sind Maler und beide gehören zur „kubistischen“ Schule. Wenden wir uns an<br />

sie nach der Regel: audiatur et altera pars [auch der andere Teil soll gehört werden]. Wie<br />

rechtfertigen sie ihre überaus erstaunliche Art und Weise des Schaffens?<br />

„Es gibt nichts Reales außer uns“, sagen sie. „... Wir denken nicht daran, an der Existenz der<br />

Gegenstände zu zweifeln, die auf unsere äußeren Sinne einwirken: aber eine begreifbare Sicherheit<br />

ist nur möglich in Beziehung auf das Bild, das sie in unserem Verstand hervorrufen.“ 2<br />

Daraus ziehen die Autoren den Schluß, daß wir nicht wissen, welche Form die Gegenstände<br />

an und für sich haben. Und auf dieser Grundlage, daß uns diese Formen unbekannt sind, hal-<br />

1 Siehe Camille Mauclairs Aufsatz „La crise de la laideur en peinture“ in seiner interessanten Artikelsammlung<br />

„Trois crises de l’art actuel“, Paris 1906.<br />

2 Gen. Werk [„Du cubisme“], S. 30.<br />

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