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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

auszuschmücken, das an ihnen vorüberzuziehen „scheint“. Dabei werden sie auch hier bestrebt<br />

sein, sich nicht mit irgendwelchem Ballast zu beschweren. Sie werden entweder den<br />

ideellen Gehalt der Kunstwerke ganz außer acht lassen oder ihn den launenhaften und wandelbaren<br />

Forderungen ihres extremen Subjektivismus unterordnen.<br />

Wenden wir uns der Malerei zu.<br />

Schon die Impressionisten legten völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem ideellen Gehalt<br />

ihrer Werke an den Tag. Einer von ihnen hat gesagt, und damit die ihnen allen eigene Überzeugung<br />

treffend zum Ausdruck gebracht: Das Licht ist die Hauptperson im Gemälde. Aber<br />

die Lichtempfindung ist eben nur eine Empfindung, d. h. noch nicht Gefühl, noch nicht Gedanke.<br />

Der Künstler, der seine Aufmerksamkeit auf das Gebiet der Empfindungen beschränkt,<br />

bleibt gleichgültig gegen Gefühl und Gedanken. Er kann eine schöne Landschaft<br />

malen. Und in der Tat, die Impressionisten haben viele ganz ausgezeichnete Landschaften<br />

gemalt. Aber die Landschaft ist noch nicht die ganze Malerei. 1 Denken wir an „Das heilige<br />

Abendmahl“ von Leonardo da Vinci und fragen wir uns: War das [282] Licht die Hauptperson<br />

in dieser berühmten Freske? Bekanntlich ist ihr Gegenstand jener Moment voll erschütternder<br />

Dramatik aus der Geschichte der Beziehungen Jesu zu seinen Jüngern, als er zu ihnen<br />

sagt: „Einer unter euch wird mich verraten.“ Die Aufgabe Leonardo da Vincis bestand darin,<br />

sowohl den seelischen Zustand Jesu selbst, der über seine schreckliche Entdeckung tief betrübt<br />

ist, wie auch seiner Schüler, die es nicht glauben können, daß sich in ihre kleine Familie<br />

der Verrat eingeschlichen hatte, zum Ausdruck zu bringen. Wenn der Künstler geglaubt hätte,<br />

die Hauptperson in dem Gemälde sei das Licht, dann wäre er nicht auf den Gedanken gekommen,<br />

dieses Drama darzustellen. Und wenn er trotzdem diese Freske gemalt hätte, so<br />

wäre ihr künstlerisches Hauptinteresse nicht darauf gerichtet gewesen, was in der Seele Jesu<br />

und seiner Schüler vor sich geht, sondern auf das, was an den Wänden des Zimmers vor sich<br />

geht, in dem sie sich versammelt haben, auf dem Tisch, vor dem sie sitzen, und auf ihrer eigenen<br />

Haut, d. h. auf die mannigfaltigen Lichteffekte. Wir hätten nicht ein erschütterndes<br />

Seelendrama vor uns, sondern eine Reihe schön gemalter Lichtflecke: einen, sagen wir, an<br />

der Wand des Zimmers, einen anderen auf dem Tischtuch, einen dritten auf der krummen<br />

Nase des Judas, einen vierten auf der Wange Jesu usw. usw. Infolgedessen wäre aber der von<br />

der Freske hervorgebrachte Eindruck unvergleichlich blässer, d. h., das spezifische Gewicht<br />

des Werkes von Leonardo da Vinci würde außergewöhnlich verringert. Manche französischen<br />

Kritiker haben den Impressionismus mit dem Realismus in der schönen Literatur verglichen.<br />

Und dieser Vergleich entbehrt nicht der Begründung. Wenn die Impressionisten aber<br />

Realisten waren, so muß ihr Realismus für völlig oberflächlich, an der „Kruste der Erscheinungen“<br />

haften bleibend erklärt werden. Und als sich dieser Realismus einen breiten Platz in<br />

der modernen Kunst eroberte – und er hat ihn unbestreitbar erobert –‚ da blieb den Künstlern,<br />

die unter seinem Einfluß erzogen waren, von zwei Dingen nur eines übrig: entweder über die<br />

„Kruste der Erscheinungen“ schlau zu klügeln, indem sie neue, immer und immer mehr wunderbare<br />

und immer und immer mehr künstliche Lichteffekte ausdachten, oder aber zu versu-<br />

1 Unter den ersten Impressionisten gab es viele Leute von großem Talent. Bemerkenswerterweise hat es jedoch<br />

unter diesen Leuten von großem Talent keine erstklassigen Porträtmaler gegeben. Das ist auch verständlich: in<br />

der Porträtmalerei kann das Licht nicht mehr die Hauptperson sein. Außerdem sind die Landschaften der hervorragenden<br />

Meister des Impressionismus doch wiederum dadurch schön, daß sie treffend das wechselvolle und<br />

mannigfaltige Spiel des Lichtes wiedergeben, aber „Stimmung“ ist wenig darin. Feuerbach hat vortrefflich gesagt:<br />

„Die Evangelien der Sinne im Zusammenhang lesen heißt denken.“ Ohne zu vergessen, daß Feuer-<br />

[282]bach unter „Sinnen“, Sinnlichkeit, alles das verstand, was zum Gebiet der Empfindungen gehört, können<br />

wir sagen, daß die Impressionisten das „Evangelium der Sinne“ nicht zu lesen verstanden und auch nicht lesen<br />

wollten. Darin lag der Hauptmangel ihrer Schule. Er führte bald zu ihrer Entartung. Wenn die Landschaften der<br />

ersten (der Zeit nach) und großen Meister des Impressionismus schön waren, so gleichen sehr viele Landschaften<br />

ihrer sehr zahlreichen Nachfolger Karikaturen.<br />

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