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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Wenn Puschkin und die Romantiker seiner Zeit der „Menge“ vorwarfen, der Topf auf dem<br />

Ofen sei ihr viel zu lieb, so werfen die Inspiratoren der heutigen Neuromantiker ihr vor, sie<br />

verteidige ihn viel zu schlaff, d. h. sie schätze ihn nicht genügend. Und dabei verkünden auch<br />

die Neuromantiker, wie die Romantiker der guten alten Zeit, die absolute Autonomie der<br />

Kunst. Kann man aber im Ernst von einer Autonomie jener Kunst sprechen, die sich die Verteidigung<br />

der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse bewußt zum Ziel setzt? Selbstverständlich<br />

nicht. Eine solche Kunst ist ohne Zweifel utilitaristisch. Wenn nun ihre Vertreter<br />

das Schaffen, das sich von utilitaristischen Erwägungen leiten läßt, verachten, so ist das ein<br />

einfaches Mißverständnis. In Wirklichkeit sind ihnen nur Erwägungen unerträglich – abgesehen<br />

von Erwägungen des persönlichen Nutzens, die niemals in den Augen eines Menschen,<br />

der der Kunst wahrhaft ergeben ist, führende Bedeutung haben können –‚ die den Nutzen der<br />

ausgebeuteten Mehrheit im Auge haben. Der Nutzen der ausbeutenden Minderheit ist ihnen<br />

aber oberstes Gesetz. Und so ist die Einstellung, sagen wir, Knut Hamsuns oder François de<br />

Curels zum Prinzip des Utilitarismus in der Kunst der Einstellung Théophile Gautiers oder<br />

Flauberts in Wirklichkeit direkt entgegengesetzt, obgleich auch diesen letzteren, wie wir wissen,<br />

konservative Neigungen durchaus nicht fremd waren. Aber seit Gautier und Flaubert<br />

haben sich diese Neigungen bei den auf dem bürgerlichen Standpunkt stehenden Künstlern<br />

dank der Vertiefung der gesellschaftlichen Widersprüche so stark entwickelt, daß es ihnen<br />

unvergleichlich schwerer fällt, sich konsequent an die Theorie der Kunst für die Kunst zu<br />

halten. Natürlich würde der sich sehr irren, der meinen wollte, daß sich jetzt bereits niemand<br />

mehr von ihnen an diese Theorie halte. Aber, wie wir sogleich sehen werden, in der gegenwärtigen<br />

Zeit wird eine solche Folgerichtigkeit sehr teuer bezahlt.<br />

Die Neuromantiker gefallen sich, wiederum unter dem Einfluß Nietzsches, sehr in der Vorstellung,<br />

daß sie „jenseits von Gut und Böse“ stehen. Was heißt das – jenseits von Gut und Böse<br />

stehen? Das bedeutet, ein solch großes historisches Werk vollbringen, dessen Beurteilungen<br />

sich nicht in den Rahmen der gegebenen, auf der Grundlage der gegebenen gesellschaftlichen<br />

Ordnung entstandenen Begriffe von Gut und Böse einfügen. Die französischen Revolutionäre<br />

des Jahres 1793 standen im Kampf gegen die Reaktion zweifellos jenseits von Gut und Böse, d.<br />

h., sie standen durch [270] ihr Tun im Widerspruch zu den Begriffen von Gut und Böse, die auf<br />

dem Boden der alten, nun überlebten Ordnung entstanden waren. Ein solcher Widerspruch, der<br />

immer sehr viel Tragik umschließt, kann nur damit gerechtfertigt werden, daß das Tun der Revolutionäre,<br />

die gezwungen sind, zeitweilig jenseits von Gut und Böse zu sein, dazu führt, daß<br />

das Böse vor dem Guten im gesellschaftlichen Leben zurückweicht. Um die Bastille zu stürmen,<br />

war es notwendig, in den Kampf mit ihren Verteidigern einzutreten. Und wer einen solchen<br />

Kampf führt, der stellt sich unvermeidlich eine Zeitlang jenseits von Gut und Böse. Insofern<br />

die Einnahme der Bastille jedoch jene Willkür bändigte, die Menschen „um des eigenen<br />

Gefallens willen“ (parce que tel est notre bon plaisir – ein bekannter Ausspruch der unbeschränkten<br />

französischen Könige) ins Gefängnis schicken konnte, veranlaßte sie das Böse, vor<br />

dem Guten im gesellschaftlichen Leben Frankreichs zurückzuweichen, und rechtfertigte damit,<br />

daß Menschen, die mit der Willkür kämpften, eine Zeitlang jenseits von Gut und Böse standen.<br />

Aber nicht für alle, die sich jenseits von Gut und Böse stellen, kann man eine ähnliche Rechtfertigung<br />

finden. So würde zum Beispiel Iwar Kareno sicherlich nicht zögern, sich jenseits von<br />

Gut und Böse zu stellen, um seine Gedanken zu verwirklichen, die „frei sind wie der Vogel“.<br />

Wie wir aber wissen, läßt sich die Gesamtsumme seiner Gedanken in den Worten ausdrücken:<br />

unversöhnlicher Kampf gegen die Freiheitsbewegung des Proletariats. Deshalb würde der<br />

Übergang zur Stellung jenseits von Gut und Böse bei ihm bedeuten, daß er sich in dem genannten<br />

Kampfe nicht länger mehr selbst durch die wenigen Rechte würde einengen lassen, die die<br />

Arbeiterklasse in der bürgerlichen Gesellschaft erringen konnte. Und wäre sein Kampf erfolgreich,<br />

so würde er nicht zu einer Verringerung des Bösen im gesellschaftlichen Leben führen,<br />

sondern zu seiner Vermehrung. Folglich entbehrte sein zeitweiliges Außerachtlassen von Gut<br />

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