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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Einige Romantiker, zum Beispiel George Sand in den Jahren ihrer Annäherung an Pierre Leroux,<br />

sympathisierten mit dem Sozialismus. Das waren jedoch Ausnahmen. Die allgemeine<br />

Regel war, daß sich die Romantiker zwar gegen die bürgerliche Plattheit erhoben, sich aber<br />

zugleich auch äußerst feindselig gegen die sozialistischen Systeme verhielten, die auf die<br />

Notwendigkeit einer Gesellschaftsreform hinwiesen. Die Romantiker wollten die gesellschaftlichen<br />

Sitten verändern, ohne den Gesellschaftsaufbau zu ändern. Selbstverständlich ist<br />

das ganz unmöglich. Deshalb zog der Aufstand der Romantiker gegen die „Bourgeois“ ebensowenig<br />

praktische Folgen nach sich wie die Verachtung der Göttinger oder Jenenser Füchse<br />

gegen die Philister. Die romantische Erhebung gegen den „Bourgeois“ war in praktischer<br />

Beziehung fruchtlos. Aber ihre praktische Fruchtlosigkeit hatte nicht unwichtige literarische<br />

Folgen. Sie verlieh den romantischen Helden jenen Charakter der Gespreiztheit und des Ausgeklügelten,<br />

der schließlich zum Zusammenbruch der Schule führte. Der gespreizte und ausgeklügelte<br />

Charakter der Helden kann keineswegs zur wertvollen Eigenschaft eines Kunstwerkes<br />

erklärt werden, deshalb müssen wir jetzt neben das oben angegebene Plus ein gewisses<br />

Minus setzen: wenn die romantischen Kunstwerke dank dem Aufstand ihrer Autoren gegen<br />

den „Bourgeois“ viel gewannen, so haben sie anderseits infolge der praktischen Gehaltlosigkeit<br />

dieses Aufstandes nicht wenig verloren.<br />

Schon die ersten französischen Realisten haben alle Anstrengungen gemacht, um den Hauptmangel<br />

der romantischen Werke zu beseitigen: den erdachten, gespreizten Charakter ihrer<br />

Helden. In den Romanen Flauberts ist keine Spur einer romantischen Erdichtung und Gespreiztheit<br />

(außer [255] etwa „Salammbô“ und auch noch „Les contes“). Die ersten Realisten<br />

führen den Aufstand gegen den „Bourgeois“ weiter, aber sie stehen schon auf eine andere Art<br />

und Weise gegen ihn auf. Sie stellen den bürgerlichen Alltagsmenschen nicht Heldengestalten<br />

gegenüber, die es nie gegeben hat, sondern bemühen sich, die Alltagsmenschen zum Gegenstand<br />

einer wahrheitsgetreuen künstlerischen Darstellung zu machen. Flaubert hielt es für<br />

seine Pflicht, sich zu dem von ihm dargestellten Milieu ebenso objektiv zu verhalten wie der<br />

Naturforscher zur Natur. „Man muß mit den Menschen umgehen wie mit Mastodonen oder<br />

mit Krokodilen“‚ sagt er. „Kann man sich denn wegen der Hörner der einen oder wegen der<br />

Kinnladen der anderen aufregen? Zeigt sie, stopft sie aus, tut sie in Gläser mit Spiritus – und<br />

damit Schluß. Aber fällt über sie keine moralischen Urteilssprüche; ja, wer seid ihr denn selber,<br />

ihr kleinen Kröten?“ Und soweit es Flaubert gelang, objektiv zu bleiben, gewannen die<br />

in seinen Werken aufgeführten Personen die Bedeutung solcher „Dokumente“, deren Studium<br />

unbedingt für jeden notwendig ist, der sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung der<br />

sozial-psychologischen Erscheinungen befaßt. Objektivität war die stärkste Seite seiner Methode,<br />

allein, während er im Prozeß des künstlerischen Schaffens objektiv blieb, war Flaubert<br />

in der Würdigung der gesellschaftlichen Bewegungen seiner Zeit auch weiterhin sehr subjektiv.<br />

Bei ihm wie bei Théophile Gautier fand die grausame Verachtung der „Bourgeois“ ihre<br />

Ergänzung in der stärksten Mißgunst gegen all jene, die auf diese oder jene Weise einen Eingriff<br />

in die bürgerlichen gesellschaftlichen Verhältnisse unternahmen. Und bei ihm war diese<br />

Mißgunst sogar noch stärker. Er war ein entschiedener Gegner des allgemeinen Wahlrechts,<br />

das er eine „Schande des menschlichen Geistes“ nannte. Beim allgemeinen Wahlrecht,<br />

schrieb er an George Sand, „beherrscht die Zahl den Geist, die Bildung, die Rasse und sogar<br />

das Geld, das mehr gilt als die Zahl (argent... vaut mieux que le nombre)“ 1 . In einem anderen<br />

Briefe sagt er, das allgemeine Wahlrecht sei stupider als das göttliche Recht. Die sozialistische<br />

Gesellschaft <strong>erschien</strong> ihm als ein riesiges Ungeheuer, das jede individuelle Regung, alles<br />

Persönliche, jede Idee verschlingt, alles lenkt und alles macht. Wir sehen, daß sich dieser<br />

Hasser der „Bourgeois“ in seiner negativen Einstellung zur Demokratie und zum Sozialismus<br />

1 [Gustave Flaubert, Briefe an George Sand (mit einem Essay von H. Mann), Potsdam 1919, S. 130 (Brief vom<br />

8. September 1871).]<br />

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