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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Werk unter sonst gleichen Bedingungen dazu, seine Rolle als das angegebene Mittel zu spielen.<br />

Warum kann der Geizhals nicht den Verlust seines Geldes besingen? Ganz einfach: weil<br />

sein Lied, mit dem er den Verlust seines Geldes besingen wollte, niemand rühren würde, d. h.<br />

weil es nicht als Mittel des Gedankenaustauschs zwischen ihm und anderen Menschen dienen<br />

könnte.<br />

Man kann mich auf die Kriegslieder verweisen und fragen: Dient denn der Krieg als Mittel<br />

des Verkehrs zwischen den Menschen? Ich werde hierauf antworten, daß die Kriegspoesie,<br />

wenn sie den Haß gegen den Feind zum Ausdruck bringt, gleichzeitig die Selbstaufopferung<br />

der Krieger, ihre Bereitschaft, für die Heimat, für den Staat usw. zu sterben, besingt. Gerade<br />

in dem Maße, wie sie solche Bereitschaft zum Ausdruck bringt, dient sie als Mittel des Verkehrs<br />

zwischen den Menschen in den Grenzen (Stamm, Gemeinde, Staat), deren Weite bestimmt<br />

wird durch die Höhe der von der Menschheit oder, genauer gesagt, von deren gegebenem<br />

Teil erreichten kulturellen Entwicklung.<br />

I. S. Turgenew, der eine starke Abneigung gegen die Verkünder der utilitaristischen Kunstauffassung<br />

hegte, hat einmal gesagt: Die Venus von Milo ist unbezweifelbarer als die Prinzipien<br />

des Jahres 1789. Er hatte recht. Was folgt aber hieraus? Durchaus nicht das, was I. S.<br />

Turgenew beweisen wollte.<br />

Auf der Welt gibt es viele Menschen, die an den Prinzipien des Jahres 1789 nicht nur „zweifeln“,<br />

sondern überhaupt keinerlei Vorstellung von ihnen haben. Fragen Sie einen Hottentotten,<br />

der durch keine europäische Schule gegangen ist, was er von diesen Prinzipien denkt. Sie<br />

werden sich überzeugen, daß er davon überhaupt nichts gehört hat. Aber der Hottentotte weiß<br />

nicht nur von den Prinzipien des Jahres 1789 nichts, sondern auch nichts von der Venus von<br />

Milo. Und wenn er sie zu Gesicht bekommt, wird er an ihr unbedingt „seine Zweifel haben“.<br />

Er hat sein eigenes Schönheitsideal, dessen Darstellungen oft in anthropologischen Werken<br />

unter der Bezeichnung hottentottische Venus anzutreffen sind. Die Venus von Milo ist „unbezweifelbar“<br />

reizvoll nur für einen Teil der Menschen der weißen Rasse. Für diesen Teil<br />

dieser Rasse ist sie in der Tat unbezweifelbarer als die Prinzipien des Jahres 1789. Aber aus<br />

welchem Grunde? Nur deshalb, weil diese Prinzipien Verhältnisse ausdrücken, die nur einer<br />

bestimmten Phase der Entwicklung der weißen Rasse entsprechen – der Zeit der Festigung<br />

der bürgerlichen Ordnung während ihres Kampfes gegen die Feudalordnung 1 –‚ die Venus<br />

von Milo aber ein solches Ideal der äußeren [251] weiblichen Erscheinung ist, das vielen<br />

Phasen derselben Entwicklung entspricht. Vielen – aber nicht allen. Die Christen hatten ihr<br />

eigenes Ideal der äußeren weiblichen Erscheinung. Man kann es auf den byzantinischen Heiligenbildern<br />

finden. Alle wissen, daß die Verehrer solcher Heiligenbilder die Venus von Milo<br />

und alle anderen Arten der Venus „sehr zweifelhaft“ fanden. Sie bezeichneten sie als Teufelsweiber<br />

und vernichteten sie, wo sich Gelegenheit bot. Dann kam eine Zeit, wo die antiken<br />

Teufelsweiber den Menschen der weißen Rasse wieder gefielen. Diese Zeit wurde vorbereitet<br />

durch die Freiheitsbewegung unter den westeuropäischen Städtebürgern, d. h. gerade durch<br />

1 Der zweite Artikel der „Verkündung der Menschen- und Bürgerrechte“, die von der französischen Konstituierenden<br />

Versammlung in den Sitzungen vom 20. bis zum 26. August 1789 angenommen wurde, lautet: „Le but<br />

de toute association poli-[251]tique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l’homme. Ces<br />

droits sont: la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l’oppression.“ [„Der Zweck jeglichen politischen<br />

Zusammenschlusses ist die Wahrung der natürlichen und unwandelbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind:<br />

die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen Unterdrückung.“] Die Sorge um das Eigentum<br />

zeugt vom bürgerlichen Charakter der Umwälzung, die vor sich ging, und die Erklärung des Rechtes auf<br />

„Widerstand gegen Unterdrückung“ zeigt, daß die Umwälzung sich eben erst vollzog, aber noch nicht abgeschlossen<br />

war, da sie auf starken Widerstand von seiten der weltlichen und geistlichen Aristokratie stieß. Im<br />

Juni 1848 hat die französische Bourgeoisie das Recht des Bürgers auf Widerstand gegen Unterdrückung nicht<br />

mehr anerkannt.<br />

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