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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Die Antwort ist wiederum nicht schwierig. Die Romantiker, Parnassiens und die ersten französischen<br />

Realisten wären sehr tief gesunken. Ihre Werke wären viel weniger kraftvoll, viel<br />

weniger wahrhaftig und viel weniger reizvoll gewesen.<br />

Was steht seinem künstlerischen Werte nach höher: „Madame Bovary“ von Flaubert oder „Le<br />

gendre de monsieur Poirier“ von Augier? Danach braucht man wohl gar nicht zu fragen. Und<br />

der Unterschied liegt hier nicht nur im Talent. Die dramatische Flachheit Augiers, eine wahre<br />

Apotheose der bürgerlichen Mäßigkeit und Akkuratesse, setzte unvermeidlich ganz andere<br />

Arten des Schaffens voraus als diejenigen, welche Flaubert, die beiden Goncourt und andere<br />

Realisten benutzten, die sich verächtlich von diesem maßvollen Wesen und dieser Akkuratesse<br />

abwandten. Schließlich hatte auch der Umstand seine Ursache, daß die eine literarische<br />

Strömung viel mehr Talente anzog als die andere.<br />

Was wird nun damit bewiesen?<br />

Das, was Romantiker wie Théophile Gautier keinesfalls zugeben wollten, nämlich: daß der<br />

Wert eines künstlerischen Werkes letzten Endes durch das spezifische Gewicht seines Inhalts<br />

bestimmt wird. Th. Gautier sagte, die Dichtkunst beweise nicht nur nichts, sondern sie erzähle<br />

auch nichts, und die Schönheit eines Gedichtes werde bestimmt durch seine [249] Musik,<br />

durch seinen Rhythmus. Aber das ist ein ganz großer Irrtum. Ganz im Gegenteil: Dichterische<br />

Werke und Kunstwerke überhaupt sagen immer irgend etwas aus, weil sie immer irgend<br />

etwas ausdrücken. Freilich, sie „sagen“ es auf ihre besondere Art aus. Der Künstler drückt<br />

seine Idee bildlich aus, während der Publizist seinen Gedanken mittels logischer Schlüsse<br />

beweist. Und wenn der Schriftsteller statt mit Bildern mit logischen Argumenten operiert<br />

oder wenn die Bilder von ihm zum Beweise eines bestimmten Themas ausgedacht werden,<br />

dann ist er nicht Künstler, sondern Publizist – selbst wenn er keine wissenschaftliche Untersuchung<br />

und Abhandlung schreibt, sondern Romane, Erzählungen oder Theaterstücke. Das<br />

ist nun einmal so. Aber aus all dem folgt durchaus nicht, daß die Idee im Kunstwerke keine<br />

Bedeutung habe. Ich will noch mehr sagen: Es kann kein Kunstwerk geben, das ohne ideellen<br />

Gehalt wäre. Sogar jene Werke, deren Verfasser nur auf die Form Wert legen und sich um<br />

den Inhalt nicht kümmern, bringen so oder so eine bestimmte Idee zum Ausdruck. Gautier,<br />

der sich um den ideellen Gehalt seiner dichterischen Werke nicht kümmerte, versicherte, wie<br />

wir wissen, er sei bereit, auf seine politischen Rechte als französischer Bürger zu verzichten<br />

für das Vergnügen, ein echtes Bild von Raffael oder eine schöne nackte Frau zu sehen. Das<br />

eine war mit dem anderen eng verknüpft: die ausschließliche Sorge um die Form wurde bedingt<br />

durch den gesellschaftlich-politischen Indifferentismus. Die Werke, deren Autoren nur<br />

die Form berücksichtigen, bringen immer eine gewisse – wie von mir früher dargestellt wurde:<br />

hoffnungslos negative – Einstellung ihrer Autoren zu dem sie umgebenden gesellschaftlichen<br />

Milieu zum Ausdruck. Und darin besteht die Idee, die ihnen allen zusammen gemeinsam<br />

ist und von jedem im besonderen auf verschiedene Art ausgedrückt wird. Wenn es zwar<br />

kein Kunstwerk gibt, das gänzlich ohne Ideengehalt ist, so kann doch nicht jede Idee in einem<br />

Kunstwerk ausgedrückt werden. Ruskin sagt so schön: Ein Mädchen vermag um ihre verlorene<br />

Liebe zu singen, aber ein Geizhals nicht um sein verlorenes Geld. Und er bemerkt richtig,<br />

daß der Wert von Kunstwerken durch das Niveau der darin ausgedrückten Haltung bestimmt<br />

wird. „Prüfen Sie selber irgendein Gefühl, welches Sie ganz erfüllt, und fragen Sie<br />

dann: ‚Könnte dies von einem Meister gesungen werden, edel gesungen, mit wirklichem<br />

Wohlklang und Künstlertum?‘ Dann ist es ein richtiges Gefühl. Könnte es gar nicht oder nur<br />

in lächerlicher Form gesungen werden? So war’s ein niedriges.“ 1 Anders kann es gar nicht<br />

sein. Die Kunst ist eines der Mittel des geistigen Verkehrs der Menschen. Und je höher die<br />

von einem Kunstwerk ausgedrückte Empfindung ist, desto [250] mehr eignet sich dieses<br />

1 [John Ruskin, „Vorträge über Kunst“, Leipzig 1901, S. 78/79.]<br />

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