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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Er fällt über das Haupt der romantischen Schule in der Malerei her, weil, „wie einige Schriftsteller<br />

die Kunst für die Kunst geschaffen haben, Herr Delacroix die Farbe für die Farbe erfunden<br />

hat. Die Geschichte und die Menschheit dienen bei ihm nur als Anlaß zur Zusammenstellung<br />

gut ausgewählter Nuancen.“ Nach Ansicht desselben Schriftstellers hat sich die<br />

Schule der Kunst für die Kunst für immer überlebt. 1<br />

Lamartine und Maxime Du Camp kann man ebensowenig irgendwelcher umstürzlerischer<br />

Bestrebungen verdächtigen wie Alexandre Dumas den Jüngeren. Sie lehnten die Theorie der<br />

Kunst für die Kunst nicht ab, weil sie die bürgerliche Ordnung durch irgendeine neue Gesellschaftsordnung<br />

ersetzen, sondern weil sie die bürgerlichen Verhältnisse, die durch die Freiheitsbewegung<br />

des Proletariats bedenklich aus den Fugen geraten waren, festigen wollten. In<br />

dieser Beziehung unterschieden sie sich von den Romantikern und besonders von den Parnassiens<br />

und den ersten Realisten nur dadurch, daß sie sich mit der bürgerlichen Lebensweise<br />

unvergleichlich besser als sie vertrugen. Sie waren konservative Optimisten, wo sich die anderen<br />

als ebenso konservative Pessimisten erwiesen.<br />

Aus all dem folgt mit voller Überzeugungskraft, daß sich die utilitaristische Kunstbetrachtung<br />

ebensogut mit der konservativen wie mit der revolutionären Haltung verträgt. Die Neigung zu<br />

einer solchen Ansicht setzt notwendigerweise nur eine Bedingung voraus: das lebhafte und<br />

aktive Interesse an einer bestimmten – ganz gleichgültig welcher – Gesellschaftsordnung<br />

oder einem gesellschaftlichen Ideal; und sie verschwindet überall, wo dieses Interesse aus<br />

diesem oder jenem Grunde aufhört.<br />

Jetzt wollen wir weitergehen und sehen, welche von den beiden einander entgegengesetzten<br />

Ansichten über die Kunst ihre Erfolge stärker begünstigt.<br />

Wie alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens und des gesellschaftlichen Denkens läßt auch<br />

diese Frage keine bedingungslose Lösung zu. Hier hängt alles von den zeitlichen und örtlichen<br />

Bedingungen ab. Denken wir an Nikolaus I. mit seinen Dienern. Sie wollten aus Puschkin,<br />

Ostrowski und anderen Künstlern ihrer Zeit Diener der Sittlichkeit im Sinne des Gendarmeriekorps<br />

machen. Nehmen wir für einen Augenblick an, daß es [248] ihnen gelang,<br />

dieses ihr festes Vorhaben zu verwirklichen. Was mußte dabei herauskommen? Die Antwort<br />

ist nicht schwierig. Die Musen, die dem Einfluß der Künstler unterworfen waren, hätten,<br />

wenn sie zu staatlichen Musen geworden wären, die deutlichsten Zeichen des Verfalls gezeigt<br />

und überaus viel von ihrer Wahrhaftigkeit, ihrer Kraft und ihrem Reiz eingebüßt.<br />

Puschkins Dichtung „An die Verleumder Rußlands“ kann durchaus nicht zu seinen besten<br />

poetischen Schöpfungen gerechnet werden. Ostrowskis Stück „Bleib bei deinen Leisten“, das<br />

huldvoll zur „nützlichen Lektion“ erklärt wurde, ist ebenfalls nicht Gott weiß wie gelungen.<br />

Und dabei hatte Ostrowski darin eben nur einige Schritte in der Richtung auf das Ideal hin<br />

getan, dessen Verwirklichung Leute wie Benckendorff, Schirinski-Schichmatow und andere<br />

Anhänger der nützlichen Kunst von gleichem Schlage wie sie anstrebten.<br />

Nehmen wir weiterhin an, daß sich Théophile Gautier, Théodore de Banville, Leconte de<br />

Lisle, Baudelaire, die Brüder Goncourt, Flaubert – kurz gesagt alle Romantiker, Parnassiens<br />

und die ersten französischen Realisten – in das sie umgebende bürgerliche Milieu geschickt<br />

und ihre Musen in den Dienst jener Herrschaften gestellt hätten, die, nach einem Ausdruck<br />

Banvilles, das Fünf-Franc-Stück vor allem und über alles schätzten. Was wäre dabei herausgekommen?<br />

Doch wozu ist die Stirne gut, die ohne Geist?<br />

1 Siehe darüber in dem herrlichen Buche von A. Cassagne: „La théorie de l’art pour l’art en France chez les<br />

derniers romantiques et les premiers réalistes“, Paris 1906, pp. 96-105.<br />

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