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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

essieren, zur Kunst für die Kunst entsteht auf der Grundlage ihres hoffnungslosen Zwiespaltes<br />

mit dem sie umgebenden gesellschaftlichen Milieu.<br />

Das ist noch nicht alles. Das Beispiel unserer „Männer der sechziger Jahre“, die fest an den<br />

nahe bevorstehenden Triumph der Vernunft glaubten, und auch das Beispiel Davids und seiner<br />

Freunde, die nicht minder fest an demselben Glauben festhielten, zeigt uns, daß die sogenannte<br />

utilitaristische Ansicht über die Kunst, d. h. die Neigung, ihren Werken die Bedeutung<br />

eines Urteilsspruchs über die Erscheinungen des Lebens zu verleihen, und die stets in ihrem<br />

Gefolge auftretende freudige Bereitschaft, [243] an den gesellschaftlichen Kämpfen teilzunehmen,<br />

dort entsteht und sich festigt, wo eine gegenseitige Sympathie zwischen einem beträchtlichen<br />

Teil der Gesellschaft und den Menschen besteht, die sich mehr oder weniger<br />

aktiv für das künstlerische Schaffen interessieren.<br />

In welchem Maße das richtig ist, wird durch folgende Tatsache endgültig bewiesen.<br />

Als das erfrischende Gewitter der Februarrevolution des Jahres 1848 losbrach, lehnten sehr<br />

viele französische Künstler die Theorie der Kunst für die Kunst, der sie gehuldigt hatten, entschieden<br />

ab. Sogar Baudelaire, den Gautier in der Folge als Vorbild eines Künstlers anführte,<br />

der unerschütterlich von der Notwendigkeit der bedingungslosen Autonomie der Kunst überzeugt<br />

sei, machte sich unverzüglich an die Herausgabe der revolutionären Zeitschrift „Le<br />

salut public“. Diese Zeitschrift wurde allerdings bald unterdrückt, aber noch 1852 nannte<br />

Baudelaire im Vorwort zu den „Chansons“ des Pierre Dupont die Theorie der Kunst für die<br />

Kunst kindisch (puérile) und verkündete, die Kunst habe gesellschaftlichen Zielen zu dienen.<br />

Erst der Sieg der Konterrevolution brachte Baudelaire und andere Künstler, die ihm in ihrer<br />

Einstellung nahestanden, endgültig zu der „kindischen“ Theorie der Kunst für die Kunst zurück.<br />

Eine der späteren Leuchten des „Parnaß“, Leconte de Lisle, hat den psychologischen<br />

Sinn dieser Umkehr im Vorwort zu seinen „Poèmes antiques“, deren erste Auflage im Jahre<br />

1852 <strong>erschien</strong>, äußerst klar aufgedeckt. Wir lesen dort bei ihm, die Dichtkunst werde nie<br />

mehr heroische Handlungen hervorbringen und gesellschaftliche Tugend einflößen, weil ihre<br />

geheiligte Sprache, wie immer in Zeiten literarischen Verfalls, jetzt nur noch kleinliche persönliche<br />

Eindrücke (mesquines impressions personnelles) ausdrücken könne ... und nicht<br />

mehr fähig sei, den Menschen zu unterweisen (n’est plus apte à enseigner l’homme). 1 An die<br />

Dichter gewandt, sagt Leconte de Lisle, jetzt sei das Menschengeschlecht, dessen Lehrmeister<br />

sie einst gewesen, über sie hinausgewachsen. 2 Jetzt besteht die Aufgabe der Dichtkunst,<br />

nach den Worten des zukünftigen Parnassiens, darin, dem „ein ideelles Leben zu geben“, der<br />

ein „reales Leben“ nicht mehr habe (donner la vie idéale à celui qui n’a pas la vie réelle). 3<br />

Diese tiefen Worte entschleiern das ganze psychologische Geheimnis der Neigung zur Kunst<br />

für die Kunst. In der Folge werden wir noch öfter Gelegenheit haben, auf das eben zitierte<br />

Vorwort Leconte de Lisles zurückzukommen.<br />

Um mit dieser Seite der Frage zu Ende zu kommen, will ich noch sagen, daß jede politische<br />

Macht immer die utilitaristische Kunstauffassung [244] bevorzugt, natürlich insofern sie diesem<br />

Gegenstande ihre Aufmerksamkeit widmet. Und das ist auch verständlich: es liegt in<br />

ihrem Interesse, alle geistigen Strömungen in den Dienst an der Sache zu stellen, der sie<br />

selbst dient. Da die politische Macht nur manchmal revolutionär, meistens aber konservativ<br />

oder sogar ganz reaktionär zu sein pflegt, wird ersichtlich, daß man nicht denken darf, die<br />

utilitaristische Kunstauffassung werde vor allem von Revolutionären oder allgemein von<br />

Menschen mit fortschrittlicher Gesinnung geteilt. Die Geschichte der russischen Literatur<br />

zeigt sehr anschaulich, daß sich auch unsere Organe der staatlichen Sicherheit nicht von ihr<br />

1 [Leconte de Lisle,] „Poèmes antiques“, Paris 1852, préface, p. VII.<br />

2 Ebenda, S. IX.<br />

3 Ebenda, S. XI.<br />

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