18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

ge Auserwählte, „für die unbekannten Freunde“, wie sich Flaubert in einem seiner Briefe<br />

ausdrückt. Sie vertraten die Ansicht, nur ein Schriftsteller ohne große Begabung könne dem<br />

breiten Leserpublikum irgendwie gefallen. Nach der Ansicht Leconte de Lisles ist großer<br />

Erfolg ein Zeichen dessen, daß der Schriftsteller auf einem niedrigen geistigen Niveau steht<br />

(signe d’infériorité intellectuelle). Es bedarf kaum der Erwähnung, daß neben den Romantikern<br />

auch die Parnassiens unbedingte Anhänger der Theorie der Kunst für die Kunst waren.<br />

Es ließen sich noch sehr viele ähnliche Beispiele anführen. Aber dafür besteht keinerlei Notwendigkeit.<br />

Wir sehen schon mit genügender Klarheit, daß die Neigung der Künstler zur<br />

Kunst für die Kunst natürlicherweise da auftritt, wo sich die Künstler in Zwiespalt mit der sie<br />

umgebenden Gesellschaft befinden. Es steht nun nichts im Wege, diesen Zwiespalt genauer<br />

zu kennzeichnen.<br />

Am Ende des 18. Jahrhunderts, in der Epoche, die der großen Revolution unmittelbar voranging,<br />

befanden sich die fortschrittlichen französischen Künstler ebenfalls in Zwiespalt mit<br />

jener „Gesellschaft“, die damals die herrschende war. David und seine Freunde waren Gegner<br />

der „alten Ordnung“. Und dieser Zwiespalt war natürlich hoffnungslos in dem Sinne, daß ein<br />

Ausgleich zwischen der alten Ordnung und ihnen völlig ausgeschlossen war. Ja, noch mehr,<br />

der Zwiespalt zwischen David und seinen Freunden und der alten Ordnung war unvergleichlich<br />

tiefer als der Zwiespalt zwischen den Romantikern und der bürgerlichen Gesellschaft:<br />

David und seine Freunde strebten nach der Beseitigung der alten Ordnung; aber Théophile<br />

Gautier und seine Gesinnungsgenossen hatten, wie ich schon mehr als einmal gesagt habe,<br />

nichts gegen die bürgerlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und wollten weiter nichts, als<br />

daß die bürgerliche Ordnung aufhöre, platte bürgerliche Sitten zu erzeugen. 1<br />

[242] David hingegen und seine Freunde, als sie sich gegen die alte Ordnung erhoben, wußten<br />

wohl, daß hinter ihnen in dichten Kolonnen jener dritte Stand marschierte, der in Kürze,<br />

nach dem bekannten Ausspruch des Abbé Sieyès, alles werden sollte. Infolgedessen wurde<br />

das Gefühl des Zwiespalts mit der herrschenden Ordnung bei ihnen ergänzt durch die Sympathie<br />

für die neue Gesellschaft, die sich innerhalb der alten Gesellschaft gebildet hatte und<br />

sich nun anschickte, an ihre Stelle zu treten. Bei den Romantikern und Parnassiens sehen wir<br />

durchaus nichts Derartiges; sie erwarten und wünschen keinerlei Veränderungen in der Gesellschaftsordnung<br />

des damaligen Frankreichs. Deshalb ist ihr Zwiespalt mit der sie umgebenden<br />

Gesellschaft gänzlich hoffnungslos. 2<br />

Auch unser Puschkin erwartete keinerlei Veränderungen im damaligen Rußland. Und in der<br />

Zeit des Zaren Nikolaus hatte er wohl sogar aufgehört, sie zu wünschen. Deshalb eben war<br />

seine Ansicht über das gesellschaftliche Leben von Pessimismus gezeichnet.<br />

Jetzt, so scheint es mir, kann ich meine Schlußfolgerung ergänzen und so sagen:<br />

Die Neigung der Künstler und Menschen, die sich lebhaft für künstlerische Schöpfung inter-<br />

1 Théodore de Banville sagt direkt, daß die romantischen Ausfälle gegen den „Bourgeois“ durchaus nicht die<br />

Bourgeoisie als Gesellschaftsklasse im Auge hatten [242] („Les Odes funambulesques“, Paris 1858, p. 294).<br />

Diese den Romantikern eigene konservative Erhebung gegen den „Bourgeois“, die sich keineswegs bis auf die<br />

Grundlage der bürgerlichen Ordnung erstreckte, haben einige der jetzigen russischen... Theoretiker (zum Beispiel<br />

Herr Iwanow-Rasumnik) als einen solchen Kampf mit dem Spießbürgertum aufgefaßt, der in seiner Breite<br />

bedeutend über den sozialen und politischen Kampf des Proletariats mit der Bourgeoisie hinausgehe. Ich überlasse<br />

es dem Leser, zu beurteilen, wie tiefsinnig diese Auffassung ist. In Wirklichkeit zeigt sie, daß sich Leute,<br />

die über die Geschichte des russischen gesellschaftlichen Denkens reden, leider nicht immer die Mühe geben,<br />

sich vorher mit der Geschichte des Denkens in Westeuropa bekannt zu machen.<br />

2 Durch denselben hoffnungslosen Zwiespalt mit dem sie umgebenden Milieu zeichnet sich auch die Haltung<br />

der deutschen Romantiker aus, wie das Brandes in seinem Buch „Die romantische Schule in Deutschland“, das<br />

den zweiten Band seines Werkes „Die Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts“ bildet, so schön<br />

dargestellt hat.<br />

9

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!