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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Woher kam eine solche Einstellung bei den französischen Romantikern und Parnassiens?<br />

Waren sie vielleicht auch in einem Zwiespalt mit der sie umgebenden Gesellschaft?<br />

Im Jahre 1857 griff Th. Gautier in einem Artikel anläßlich der Wiederaufführung von „Chatterton“,<br />

eines Stückes de Vignys, auf der Bühne des Théâtre français auf die erste Aufführung<br />

zurück, die am 12. Februar 1835 stattgefunden hatte. Und hierbei erzählte er folgendes:<br />

„Das Parterre, vor dem Chatterton auftrat, war voll besetzt mit bleichen langhaarigen Jünglingen,<br />

die der festen Meinung waren, daß es auf der Welt keine andere annehmbare Beschäftigung<br />

gebe, als Verse zu machen oder Bilder zu malen – Kunst, wie man sagte – und die auf<br />

die Bourgeois mit einer Verachtung herabsahen, wie sie von den Heidelberger und Jenenser<br />

Füchsen gegenüber den Philistern wohl kaum erreicht wird.“ 1<br />

Wer waren nun diese verachteten „Bourgeois“?<br />

[239] „... das war fast die ganze Welt“, antwortet Gautier, „die Bankiers, die Börsenmakler,<br />

die Notare, Kaufleute, Krämer und andere, alle, die nicht zu dem geheimnisvollen cénacle (d.<br />

h. zu dem romantischen Zirkel. G. P.) gehörten und ihren Lebensunterhalt auf prosaische Art<br />

verdienten.“ 2<br />

Und hier noch ein anderes Zeugnis. Im Kommentar zu einer seiner „Odes funambulesques“<br />

gesteht Théodore de Banville, er habe ebenfalls diesen Haß gegen den „Bourgeois“ bei sich<br />

erlebt. Dabei stellt er auch klar, wen eigentlich die Romantiker so bezeichneten: in der Sprache<br />

der Romantiker bezeichnete „Bourgeois“ „einen Menschen, der keinen anderen Kultus<br />

hat als den des Hundert-Sou-Stückes, kein anderes Ideal als die Erhaltung seiner Haut, und<br />

der in der Poesie die sentimentale Romanze und in den bildenden Künsten die Farbenlithographie<br />

liebt.“ 3<br />

Das rief de Banville seinen Lesern ins Gedächtnis und bat sie, sich nicht zu wundern, daß in<br />

seinen „Odes funambulesques“ – die, beachten Sie das, bereits in der Ausgangsperiode der<br />

Romantik <strong>erschien</strong>en – Leute, deren Schuld in nichts anderem bestand, als daß sie eine bürgerliche<br />

Lebensweise führten und sich vor den romantischen Genien nicht verneigten, wie<br />

ganz niederträchtige Burschen behandelt werden.<br />

Diese Zeugnisse tun in hinreichend überzeugender Weise dar, daß sich die Romantiker in der<br />

Tat in Zwiespalt mit der sie umgebenden bürgerlichen Gesellschaft befanden. Allerdings lag<br />

in diesem Zwiespalt nichts für die bürgerlichen gesellschaftlichen Verhältnisse Gefährliches.<br />

Zu den romantischen Zirkeln gehörten junge Bürgersöhne, die zwar nichts gegen die erwähnten<br />

Verhältnisse hatten, sich aber doch über den Schmutz, die Öde und Plattheit des bürgerlichen<br />

Daseins empörten. Die neue Kunst, zu der sie sich so stark hingezogen fühlten, war für<br />

sie eine Zufluchtsstätte vor diesem Schmutz, dieser Öde und Plattheit. In den letzten Jahren<br />

der Restauration und in der ersten Hälfte der Regierungszeit Louis Philippes, d. h. in der besten<br />

Zeit der Romantik, fiel es der französischen Jugend um so schwerer, sich mit dem<br />

schmutzigen, prosaischen und öden bürgerlichen Leben abzufinden, als Frankreich kurz zuvor<br />

die schrecklichen Stürme der großen Revolution und der napoleonischen Epoche erlebt<br />

hatte, die alle menschlichen Leidenschaften tief aufgewühlt hatten. 4 Als die Bourgeoisie die<br />

1 [Th. Gautier,] „Histoire du romantisme“, Paris 1895, pp. 153/154.<br />

2 [Th. Gautier,] „Histoire du romantisme“, p. 154.<br />

3 [Th. de Banville,] „Les Odes funambulesques“, Paris 1858, p. 294/295.<br />

4 Alfred de Musset kennzeichnet diesen Zwiespalt in folgender Weise: „Dès lors se formèrent comme deux<br />

camps: d’une part les esprits exaltés souffrants; toutes les âmes expansives, qui ont besoin de l’infini, plièrent la<br />

tête en pleurant, ils s’enveloppèrent de rêves maladifs, et l’on ne vit plus que de frêles roseaux sur un océan<br />

d’amertume. D’une autre part, les hommes de chair restèrent debout, inflexibles, au [240] milieu des jouissances<br />

positives, et il ne leur prit d’autre souci que de compter l’argent qu’ils avaient. Ce ne fut qu’un sanglot et un<br />

7

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