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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

Wenn wir der Lösung dieser Frage nähergekommen sind, wird es für uns nicht schwer sein,<br />

auch die andere, damit eng verbundene und nicht weniger interessante Frage zu lösen:<br />

Welches sind die wichtigsten unter jenen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen bei<br />

den Künstlern und bei Menschen, die sich lebhaft für künstlerisches Schaffen interessieren,<br />

die sogenannte utilitaristische Ansicht über die Kunst, d. h. die Neigung, ihren Werken die<br />

„Bedeutung eines Urteilsspruches über die Erscheinungen des Lebens“ beizulegen, entsteht<br />

und sich festigt?<br />

Die erste dieser beiden Fragen nötigt uns, nochmals auf Puschkin zurückzukommen.<br />

Es gab eine Zeit, wo er nicht die Theorie der Kunst für die Kunst vertrat. Es gab eine Zeit, wo<br />

er dem Weltgewühl nicht auswich, sondern zu ihm hinstrebte. So war es in der Zeit Alexanders<br />

I. Damals dachte er nicht, daß sich das „Volk“ mit Peitschen, Kerkern und Beilen zufriedengeben<br />

müsse. Im Gegenteil, in seiner Ode „Freiheit“ rief er damals entrüstet aus:<br />

O weh, wohin mein Blick auch geht –<br />

Nur Ketten und nur Peitschensträhnen,<br />

Der Satzung unheilvolle Schmach<br />

Und ohnmächtige, schwache Tränen;<br />

Des Unrechts Herrschaft überall<br />

In tiefer Nacht des Vorurteils begraben...<br />

usw.<br />

[235] Und dann kam ein tiefgreifender Wechsel in seiner Stimmung. In der Epoche Nikolaus’<br />

I. eignete er sich die Theorie der Kunst für die Kunst an. Was hat diesen ungeheueren Wechsel<br />

in seiner Einstellung hervorgerufen?<br />

Der Anfang der Regierungszeit Nikolaus’ I. stand unter dem Zeichen der Katastrophe des 14.<br />

Dezember, die auf den weiteren Gang der Entwicklung unserer „Gesellschaft“ wie auch auf<br />

das persönliche Schicksal Puschkins eine gewaltige Wirkung ausübte. In Gestalt der von der<br />

Niederlage betroffenen „Dekabristen“ traten vom Schauplatz der Geschichte die gebildetsten<br />

und fortschrittlichsten Vertreter der damaligen „Gesellschaft“ ab. Das mußte eine bedeutende<br />

Senkung ihres moralischen und geistigen Niveaus nach sich ziehen. „So jung ich auch gewesen<br />

bin“, sagt Herzen, „so erinnere ich mich doch, wie augenfällig der Niedergang der höheren<br />

Gesellschaft war und wie sie seit der Thronbesteigung des Zaren Nikolaus immer schmieriger<br />

und knechtseliger wurde. Die aristokratische Unabhängigkeit, der gardistische Wagemut<br />

der Zeit Alexanders – all dies verschwand mit dem Jahre 1826.“ Einem feinfühligen und<br />

geistreichen Menschen fiel es schwer, in dieser Gesellschaft zu leben. „Überall ödes Schweigen“,<br />

sagt derselbe Herzen in einem anderen Aufsatz, „alles war stumm, unmenschlich, hoffnungslos<br />

und dabei so entsetzlich seicht, dumm und kleinlich. Der Blick, der Mitgefühl suchte,<br />

traf auf eine lakaienhaft drohende oder erschreckte Haltung, man wandte sich von ihm ab<br />

oder man beleidigte ihn.“ 1 In den Briefen Puschkins, die sich auf diese Zeit beziehen, in der<br />

die Gedichte „Der Dichter und die Menge“ und „Einem Dichter“ geschrieben wurden, trifft<br />

man immer wieder auf Klagen über die Öde und Schalheit unserer beiden Residenzstädte.<br />

Aber er litt nicht nur unter der Plattheit der ihn umgebenden Gesellschaft. Sehr viel Ärger<br />

bereiteten ihm auch seine Beziehungen zu den „herrschenden Sphären“.<br />

Bei uns ist die rührselige Legende sehr weit verbreitet, Nikolaus I. habe Puschkin im Jahre<br />

1826 seine politischen „Jugendsünden“ großmütig „verziehen“ und sei sogar sein hochherziger<br />

Gönner geworden. Aber das war ganz und gar nicht so. Nikolaus und seine rechte Hand<br />

in solchen Angelegenheiten, der Chef der Gendarmerie, A. Ch. Benckendorff, haben Pusch-<br />

1 [Das Zitat stammt aus den Aufzeichnungen „Erlebtes und Erdachtes“.]<br />

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