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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 14.07.2013<br />

besondere „dieser ernstesten aller Künste“: der Dichtkunst, durch die Masse von Kenntnissen<br />

bestimmt, die sie in der Gesellschaft verbreitet; er sagt: „Die Kunst, oder besser gesagt die<br />

Dichtung (nur die Dichtung allein, weil die anderen Künste in dieser Hinsicht sehr wenig<br />

tun), verbreitet eine riesige Menge von Kenntnissen unter der Masse der Leser und macht sie,<br />

was noch wichtiger ist, mit den von der Wissenschaft erarbeiteten Auffassungen bekannt –<br />

darin besteht recht eigentlich die große Bedeutung der Dichtung für das Leben.“ 1 Derselbe<br />

Gedanke ist ausgedrückt in seiner berühmten Dissertation „Die ästhetischen Beziehungen der<br />

Kunst zur Wirklichkeit“. Gemäß ihrer siebzehnten These gibt die Kunst das Leben nicht nur<br />

wieder, sondern erklärt es auch; sehr häufig haben ihre Werke „die Bestimmung, ein Urteil<br />

über die Erscheinungen des Lebens zu fällen“.<br />

In den Augen Tschernyschewskis und seines Schülers Dobroljubow besteht die Hauptbedeutung<br />

der Kunst in der Wiedergabe des Lebens und in einem Urteilsspruch über seine Erscheinungen.<br />

2 Und so betrachteten diesen Gegenstand nicht nur die Literaturkritiker und Kunsttheoretiker.<br />

Nekrassow nannte seine Muse nicht umsonst eine Muse „der Rache und des<br />

Leids“. In einem seiner Gedichte sagt der Bürger, sich an den Dichter wendend:<br />

O du, Poet, du weiser Künder,<br />

Des Mund uns höchste Wahrheit lehrt:<br />

Glaubst du, des Hungers schwache Kinder<br />

Sind deiner Botschaft Licht nicht wert? –<br />

[232] Glaub nicht, es sei nichts mehr zu hoffen;<br />

Noch ist dem Schrei aus tiefer Not<br />

Des Menschen Seele willig offen,<br />

Und Gott ist in ihr noch nicht tot.<br />

Sei Bürger! Weih dein Herz dem Schönen!<br />

Des Bruders Wohl weih deine Hand<br />

Und opfre Seele, Geist und Sehnen<br />

Der Liebe, die die Welt umspannt.<br />

Verse aus dem Gedicht „Dichter und Bürger“ (1856).<br />

Mit diesen Worten hat der Bürger Nekrassow seine eigene Auffassung von der Aufgabe der<br />

Kunst ausgesprochen. Ganz genauso haben die hervorragendsten Meister auf dem Gebiete<br />

der plastischen Künste, zum Beispiel in der Malerei, diese Aufgabe damals verstanden.<br />

Perow und Kramskoi waren, wie Nekrassow, bestrebt, „Bürger“ zu sein, indem sie der Kunst<br />

dienten; sie haben, ebenso wie er, mit ihren Werken „ein Urteil über die Erscheinungen des<br />

Lebens“ ausgesprochen. 3<br />

1 N. G. Tschernyschewski, Gesammelte Werke, Ausgabe 1906, Bd. I, S. 33/34, russ. [Zit. Werk, S. 561/562.]<br />

2 Diese Anschauung war teils eine Wiederholung, teils eine Weiterentwicklung der von Belinski in den letzten<br />

Jahren seines Lebens ausgearbeiteten Ansicht. In dem Artikel „Betrachtungen über die russische Literatur des<br />

Jahres 1847“ schrieb Belinski: „Das höchste und heiligste Interesse der Gesellschaft ist ihr eigenes Wohlergehen,<br />

das sich gleichmäßig auf jedes ihrer Mitglieder erstreckt. Der Weg zu diesem Wohlergehen führt über das<br />

Bewußtwerden, dem Bewußtwerden aber kann die Kunst nicht weniger förderlich sein als die Wissenschaft.<br />

Hier sind sowohl Wissenschaft als auch Kunst gleichermaßen vonnöten, und weder kann die Wissenschaft die<br />

Kunst ersetzen noch die Kunst die Wissenschaft.“ [S. 487/488 der Ausgewählten philosophischen Schriften,<br />

Moskau 1950, dtsch.] Aber die Kunst kann das Bewußtsein der Menschen [232] eben nur entwickeln, indem sie<br />

„Urteile über die Erscheinungen des Lebens“ fällt. So ist die Dissertation Tschernyschewskis mit der letzten<br />

Ansicht Belinskis über die russische Literatur verbunden.<br />

3 Ein Brief Kramskois an W. W. Stassow aus Mentone vom 30. April 1884 gibt ein Zeugnis, wie stark die Ansichten<br />

Belinskis, Gogols, Fedotows, Iwanows, Tschernyschewskis, Dobroljubows, Perows auf ihn eingewirkt<br />

haben. („Iwan Nikolajewitsch Kramskoi, Leben, Korrespondenz und kunstkritische Aufsätze“, St. Petersburg<br />

1888, S. 487.) Es ist übrigens zu bemerken, daß die Urteilssprüche über die Erscheinungen des Lebens, die in<br />

den kritischen Aufsätzen I. N. Kramskois vorkommen, an Klarheit weit hinter den Urteilssprüchen zurückste-<br />

2

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