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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 13.07.2013<br />

nach paradoxen Effekten zu haschen und sich auf die Darstellung lediglich des Äußeren, einzig<br />

und allein der mehr oder weniger paradox beleuchteten Hülle der Erscheinungen zu beschränken.<br />

Und was wäre über die Bildhauerei zu sagen? Hier möchte ich vor allem einige Werke von<br />

Leonardo Bistolfi erwähnen – es sind meistens Grabdenkmäler, die von einer düsteren Poesie<br />

des Todes durchdrungen sind; der Idee nach am interessantesten ist das Grabdenkmal der<br />

Familie Pansa in Cugio, „La Sfinge“. Auf einem hohen Grabstein sitzt eine Frau mit langen<br />

aufgelösten Haaren. Ihre ganze Haltung drückt Unbeweglichkeit aus, und auf ihrem Gesicht<br />

liegt der erstarrte Ausdruck angespannten unablässigen Sinnens; die Finger ihrer Hände pressen<br />

sich krampfhaft um ihre Knie, und in diesem krampfhaften Druck ihrer schönen langen<br />

Finger um ihre Knie kommt deutlich die Pein des ungelösten Geheimnisses zum Ausdruck.<br />

Nach meiner Ansicht ist das nicht eine Sphinx, sondern ein Wesen, das sich abmüht mit dem<br />

quälenden Rätsel der Sphinx, mit der Frage über den Tod.<br />

Vom Standpunkt der modernen Naturwissenschaft hat der Tod nichts Geheimnisvolles. Der<br />

Tod ist durchaus keine Sphinx. Von jedem Toten kann man das gleiche sagen, was einst<br />

Shelley von dem verstorbenen Dichter Keats gesagt hat: „He is made one with Nature“ („Er<br />

ist eins geworden mit der Natur“), aber wer gewohnt ist, das Problem des Todes vom Gesichtspunkt<br />

des mystisch Geheimnisvollen zu betrachten, wer darin ein seltsames Rätsel der<br />

Sphinx sieht, auf den muß die so schön erdachte und nicht schlecht ausgeführte Statue von<br />

Bistolfi einen starken Eindruck machen.<br />

„Das Einswerden mit der Natur“ schließt nichts Geheimnisvolles in sich, aber es ist darin<br />

zuweilen etwas recht Schmerzliches besonders für die, die in dem Verstorbenen ein Wesen<br />

verloren haben, das ihnen sehr nahestand. In dieser Hinsicht wird der Tod immer die Blicke<br />

des Künstlers auf [215] sich lenken. Auf der sechsten Ausstellung in Venedig stellt die Bronzegruppe<br />

„Das tote Kind“ von Albert Bartholomé eine Bearbeitung dieses Themas dar. Eine<br />

sitzende Frau drückt in ihren Armen ihr totes Kind an sich, und sie hat die linke Wange an<br />

das Kind gepreßt. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen, aber ihre ganze Gestalt spricht von ihrem<br />

furchtbaren, überwältigenden Kummer. Es ist eines der bemerkenswertesten Werke der Bildhauerei,<br />

die man auf der Ausstellung in Venedig sehen kann.<br />

In demselben, d. h. im französischen Saal, wo die Gruppe von Bartholomé steht, kann man<br />

eine andere, ebenfalls in ihrer Art interessante Gruppe sehen – den „Kuß“ von Dalou. Ein<br />

Faun hält eine Nymphe in den Armen und küßt sie recht kräftig. Es ist ein altes Thema –<br />

ebenso wie der Tod –‚ aber es ist mit ungeheurer Ausdruckskraft dargestellt.<br />

Schließlich kann man in demselben Saal nicht an einer Gipsstatue von Rodin vorübergehen:<br />

„Femme accroupie“; es ist etwas Unfertiges: es fehlen der Frau die Arme, ihre Körperformen<br />

sind kaum angedeutet. Zweifellos ist das ein machtvolles Werk; aber ich verstehe nicht, wozu<br />

man etwas ausstellt, was noch nicht fertig ist. Ich hörte, wie einige Besucher diese Statue mit<br />

den Statuen von Michelangelo verglichen, die sich in der Kapelle der Medici in der Kirche<br />

San Lorenzo in Florenz befinden. Die Manier Rodins erinnert in der Tat zum Teil an die Manier<br />

Michelangelos. Allein, wenn viele Statuen dieses letzteren unvollendet geblieben sind, so<br />

lag das einzig und allein daran, daß sich die äußeren Umstände ungünstig gestaltet hatten.<br />

Und Michelangelo hätte wohl kaum den Wunsch gehabt, sie vor der endgültigen Bearbeitung<br />

auszustellen: dafür war das ästhetische Empfinden in ihm zu stark entwickelt.<br />

Ohne mich bei vielen anderen interessanten Statuen aufzuhalten, bleibe ich vor den zwei Fabrikarbeitermädchen<br />

aus Bronze von dem belgischen Maler und Bildhauer Jules van Bisbroek<br />

stehen.<br />

Zusammen mit Konstantin Meunier und Pierre Breek gehört Jules van Bisbroek zu der Grup-<br />

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