18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 13.07.2013<br />

Das Gute an Porträts ist nicht nur, daß sie dem Künstler weniger Bindungen auferlegen: sie<br />

haben auch das für sich, daß sie die charakteristischen Züge der in raschem Wechsel aufeinanderfolgenden<br />

Generationen für alle Zeiten festhalten und damit die Arbeit des Historikers<br />

und des Soziologen erleichtern. Das von Ingres gemalte. Porträt Bertins des Älteren hat den<br />

Wert einer ganzen Forschungsarbeit. Und in diesem Sinne ist auch das auf der Ausstellung in<br />

Venedig hängende „Bildnis der Mme. X“ [213] von Carolus Duran sehr interessant. Es ist an<br />

und für sich, d. h. technisch, schon sehr schön, aber am bemerkenswertesten ist der Gesichtsausdruck<br />

der „Mme. X“. In diesem hageren und krankhaften Gesicht liegt so viel kapriziöse<br />

Übersättigung, so viel Langeweile, daß man nach eingehender Betrachtung schließlich begreift,<br />

wie notwendig die Menschen dieser Art eine, wie sie sagen, neue, d. h. in Wirklichkeit<br />

völlig ideenlose, Kunst brauchen. Wozu braucht Mme. X Ideen? Was geht sie Hekabe an,<br />

und was hat Hekabe mit ihr zu tun? Und wie viele solche Menschen gibt es nicht heutzutage<br />

in den „höheren“ Klassen Europas und Amerikas!<br />

In Venedig sind viele Lithographien, Pastellmalereien, Federzeichnungen usw. ausgestellt.<br />

Sie sind in mehreren Sälen untergebracht, und es sind zweifellos sehr schöne Sachen darunter,<br />

deren man besonders viele im „holländischen Saal“ findet. Hier sind fast lauter bedeutende,<br />

inhaltlich wertvolle, seriöse, gediegene Sachen. Das Schönste hier sind die Lithographien<br />

Havermans. Sie stechen sogar in diesem reichhaltigen Saale hervor. Es sind im ganzen sieben,<br />

darunter vier Bildnisse. Mir hat besonders das Bildnis des früheren holländischen Sozialdemokraten<br />

und jetzigen Anarchisten Domela Nieuwenhuis gefallen. Übrigens steht auch<br />

das Bildnis des Doktors Best kaum dahinter zurück.<br />

Es läßt sich nicht wiedergeben, wie überaus schön diese kleinen Sachen sind. Ihr Kennzeichen<br />

ist etwas, das ich Ehrlichkeit <strong>nennen</strong> möchte. Es ist darin einfach nichts, was nach Effekthascherei<br />

aussieht, alles ist bis auf das letzte Strichelchen wahrhaftig. Haverman ist ein<br />

großer, sehr großer Künstler!<br />

Schön sind auch die Lithographien von de Josselin de Jong: „Via crucis“ und „Berufung des<br />

hl. Petrus und des Andreas“. Die erste stellt dar, wie Jesus zur Richtstätte geht. Abgemagert<br />

und völlig erschöpft, aber fest und ohne Wanken geht er dahin, sich mit einer beruhigenden<br />

Geste an die ihn geleitenden völlig verzweifelten Frauen wendend, und die ihn eskortierenden<br />

Soldaten betrachten dieses Drama mit gleichgültiger Miene, ohne dessen Größe zu ahnen.<br />

Sie haben ihren „Befehl“, sie sind im „Dienst“, und alles übrige ist ihnen ganz gleichgültig.<br />

Auf der zweiten Lithographie hat Jesus eine feine hagere Denkergestalt, und die Apostel<br />

schauen wie gesunde, biedere Fischer drein, die sich im Schoße der Natur ihre ganze Urwüchsigkeit<br />

bewahrt haben. Die Szene spielt am Ufer eines Sees, und die Landschaft ist sehr<br />

schön. In einem der folgenden Säle, die für Werke dieser Art bestimmt waren‚ gefiel mir<br />

Edgar Chahines Radierung „Carro“. Auf dem Kai einer großen Stadt hält ein Lastfuhrmann<br />

sein Pferd an. Eine sehr lebendige, gut dargestellte Szene.<br />

Ich will noch die „Frau vor dem Spiegel“ von Adolfo Marini erwähnen. Das ist eine Art Nana:<br />

ein nacktes Weib, das einen durch die [214] plastische Schönheit ihres jungen und üppigen<br />

Körpers – nach meiner Ansicht ist das ein Meisterwerk – in Erstaunen setzt.<br />

Der Raum erlaubt mir nicht, ausführlicher über diese interessante Abteilung zu sprechen; ich<br />

muß mich kurz fassen. Ich habe dort einen viel größeren ästhetischen Genuß gehabt als in den<br />

für die Ölgemälde bestimmten Sälen. Es ist dort eine unvergleichlich seriösere Behandlung<br />

des Gegenstandes zu bemerken, und deshalb treten auch die künstlerischen Talente unvergleichlich<br />

deutlicher nach außen in Erscheinung; so liefern zum Beispiel die hier ausgestellten<br />

kleinen Sachen des dem Leser schon bekannten Toorop einen viel besseren Beweis seiner<br />

Begabung als seine großen Bilder. Woher kommt dieser Unterschied? Nach meiner Ansicht<br />

ist das daraus zu erklären, daß Ölfarben dem Maler mehr technische Möglichkeit gewähren,<br />

11

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!