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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 13.07.2013<br />

wir haben hier ein erschütterndes wirkliches Drama vor uns.<br />

[207] Man wird mir vielleicht sagen – und das kann man jetzt oft zu hören bekommen –‚ die<br />

Darstellung solcher Dramen sei durchaus nicht Sache der Malerei, deren Aufgaben doch ganz<br />

anderer Art seien als die der Literatur: – aber warum soll das nicht ihre Sache sein? Und warum<br />

soll die Malerei – auf ihre Art, d. h. mit Farben, und nicht mit Warten – nicht das darstellen,<br />

was die Literatur darstellt? Die Aufgabe der Kunst besteht in der Darstellung alles dessen,<br />

was den gesellschaftlichen Menschen interessiert und bewegt, und die Malerei ist durchaus<br />

keine Ausnahme von der allgemeinen Regel. Bemerkenswerterweise sind es die gleichen<br />

Leute, die die Malerei durch eine unüberbrückbare Kluft von der Literatur trennen möchten,<br />

die auch häufig die – eingebildete, aber nicht mögliche – „Verschmelzung“ der Malerei mit<br />

der Musik feiern. Sie sind entzückt von den verschiedenen „Farbensymphonien“. Und das ist<br />

verständlich. Während diese Leute bestrebt sind, die Malerei durch eine chinesische Mauer<br />

von der Literatur zu trennen, bekämpfen sie eigentlich das Element des Ideellen, dessen Einfluß<br />

die Literatur bekanntlich mit viel größerer Leichtigkeit unterliegt als die Musik. Das ist<br />

des Pudels Kern!<br />

Nachdem ich nun schon von den Malern gesprochen habe, denen das Element des Ideengehalts<br />

nicht fremd ist, will ich hier noch des Holländers Jozef Israëls’ Bild „Die Madonna in<br />

der Hütte“ erwähnen.<br />

Auf einem strohgeflochtenen Stuhl sitzt eine sauber, aber sehr ärmlich gekleidete barfüßige<br />

junge Frau, die ihr Kind, das sie auf den Knien hält, mit einem kleinen Löffel füttert; weder<br />

in dem Gesicht dieser Frau noch in der sie umgebenden Einrichtung ist auch nur das Geringste<br />

vorhanden, das irgendwie auffiele – es ist eine Mutter genau wie alle anderen, und sie sitzt<br />

in einer ganz gewöhnlichen Hütte. Aber weshalb ist sie denn eine Madonna? Weil sie genauso<br />

Mutter ist wie die „erhabensten“ Madonnen Raffaels. Die „Erhabenheit“ dieser letzteren<br />

besteht gerade in ihrer Mutterschaft; aber bei Raffael ist, wie überhaupt in der christlichen<br />

Kunst, dieser rein menschliche – und sogar nicht nur menschliche – Zug zu einem Attribut<br />

der Gottheit geworden, während er bei Israëls wieder menschlich geworden ist. Früher hat der<br />

Mensch – nach einem Ausdruck Feuerbachs – sich selbst verwüstet, indem er in der Gottheit<br />

sein eigenes Wesen verehrte; jetzt begreift er jedoch die ganze Sinnlosigkeit dieser Selbstverwüstung,<br />

und er schätzt die menschlichen Züge gerade deshalb, weil sie zum Menschen<br />

gehören. Das ist ein völliger Umschwung, der schon von Heine besungen wurde.<br />

Ein neues Lied, ein schöneres Lied,<br />

o Freunde, will ich euch dichten,<br />

Wir wollen hier auf Erden schon<br />

Das Himmelreich errichten!<br />

[208] Nicht ohne ideelle Bedeutung ist auch das in dem eigens für die venezianischen Maler<br />

bestimmten Saal ausgestellte Bild „Carità“ von Silvio Rotta. In einem langen, engen Raum<br />

schlürfen arme Leute verschiedenen Geschlechts und Alters Suppe aus Tassen, die sie, wie<br />

man sehen kann, gerade erhalten haben; einige Leute hocken noch da – in Erwartung, daß<br />

man auch ihnen gebe; recht schön dargestellt ist hier eine Mutter, die sich beeilt, ihrem Kinde<br />

zu essen zu geben; schön gezeichnet ist auch der alte Mann, der gegen die Wand gewendet<br />

dasitzt. Das ganze Bild macht den Eindruck einer völlig wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe:<br />

keinerlei Effekthascherei, nichts Erfundenes. Es ist eine Seite des gegenwärtigen gesellschaftlichen<br />

Lebens.<br />

Durch ein unzweifelhaftes ideelles Element sind auch die zwei Bilder des Belgiers Eugène<br />

Laermans, „Menschliches Drama“ und „Das gelobte Land“, ausgezeichnet.<br />

Auf dem ersten sind zwei Bauern dargestellt, die die Leiche eines jungen Menschen tragen;<br />

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