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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

denn die Revolution hatte den „Sansculotten“ für einige Zeit die Herrschaft in die Hände gegeben.<br />

Aber wir halten es für wichtig, hier die Tatsache festzustellen, daß das Theater auch<br />

während der Revolution – wie auch in allen vorangegangenen Epochen – als wahre Widerspiegelung<br />

des gesellschaftlichen Lebens mit seinen Widersprüchen und mit dem durch diese<br />

Widersprüche hervorgerufenen Klassenkampf diente. Wenn das Theater in der guten alten<br />

Zeit, als, nach dem oben angeführten Ausspruch Marmontels, Anstandsrücksichten Gesetz<br />

waren, die aristokratischen Ansichten über die gegenseitigen Beziehungen der Menschen<br />

zum Ausdruck brachte, so wurde jetzt unter der Herrschaft der „Sansculotten“ das Ideal M. J.<br />

Chéniers verwirklicht, der da sagte, das Theater müsse den Bürgern den Abscheu vor dem<br />

Aberglauben, den Haß gegen die Unterdrücker und die Liebe zur Freiheit einflößen.<br />

Die Ideale jener Zeit verlangten vom Bürger eine so angespannte und rastlose Arbeit zum<br />

allgemeinen Nutzen, daß die eigentlich ästhetischen Ansprüche in dem allgemeinen Komplex<br />

seiner geistigen Bedürfnisse nicht viel Platz einnehmen konnten. Den Bürger jener großen<br />

Epoche entzückte am höchsten die Poesie des Handelns, die Schönheit der staats-[194]bürgerlichen<br />

Ruhmestat. Und dieser Umstand verlieh den ästhetischen Urteilen der französischen<br />

„Patrioten“ mitunter einen recht eigenartigen Charakter. Goncourt sagt, ein Mitglied<br />

der Jury, die zur Schätzung der im Salon des Jahres 1793 ausgestellten künstlerischen Werke<br />

gewählt worden war, ein gewisser Fleuriot, habe sich darüber beklagt, daß die Basreliefs, die<br />

zur Preisbewerbung vorgelegt worden waren, die großen Prinzipien der Revolution nicht<br />

scharf genug zum Ausdruck brachten. „Ja, und überhaupt“, fragt Fleuriot, „was sind diese<br />

Herrschaften für Menschen, die sich mit Bildhauerei in einer Zeit beschäftigen, da ihre Brüder<br />

für das Vaterland ihr Blut vergießen? Ich meine: man darf keine Preise geben!“ Ein anderes<br />

Mitglied der Jury, Hassenfratz, sagte: „Ich will es offen sagen: Nach meiner Ansicht ist<br />

das Talent des Künstlers in seinem Herzen und nicht in seiner Hand; was man mit der Hand<br />

fertigbringt, ist verhältnismäßig unwichtig.“ Auf die Bemerkung eines gewissen Neveu, man<br />

müsse auch die Geschicklichkeit der Hand berücksichtigen (vergessen Sie nicht, daß von der<br />

Bildhauerei die Rede ist), erwiderte Hassenfratz heftig: „Bürger Neveu, die Geschicklichkeit<br />

der Hand ist nichts; auf die Geschicklichkeit der Hand darf man seine Urteile nicht gründen.“<br />

Es wurde beschlossen, in der Abteilung Bildhauerkunst keine Preise zu vergeben. Während<br />

der Debatten über die Gemälde legte derselbe Hassenfratz leidenschaftlich dar: die besten<br />

Maler seien jene Bürger, die sich an der Grenze für die Freiheit schlagen. In seinem Eifer<br />

sprach er auch den Gedanken aus, der Maler müsse einfach mit Zirkel und Lineal umgehen.<br />

In der Sitzung der Architekturabteilung behauptete ein gewisser Dufourny, alle Bauten müßten<br />

einfach sein wie die Tugend des Bürgers. Überflüssige Verzierungen seien nicht nötig.<br />

Die Geometrie müsse die Kunst erneuern.<br />

Unnötig zu sagen, daß es sich hier um ganz ungeheure Übertreibung handelt, daß wir hier bis<br />

an die Grenze gekommen sind, über die das Vernunftmäßige selbst in jener Zeit der äußersten<br />

Schlußfolgerungen aus einmal angenommenen Voraussetzungen nicht hinausgehen konnte,<br />

und es ist nicht schwer, über alle Beweisführungen ähnlicher Art zu spotten – wie Goncourt<br />

es tut. Aber in einem schweren Irrtum wäre der befangen, der etwa aus ihnen den Schluß ziehen<br />

wollte, die Revolutionszeit sei für die Entwicklung der Kunst nur ungünstig gewesen.<br />

Wir wiederholen, der erbitterte Kampf, der damals nicht nur „an der Grenze“, sondern auf<br />

dem ganzen französischen Territorium, von einem Ende zum andern, geführt wurde, ließ den<br />

Bürgern wenig Zeit zu ruhiger Beschäftigung mit der Kunst. Er übertönte aber durchaus nicht<br />

die ästhetischen Ansprüche des Volkes; ganz im Gegenteil. Die große gesellschaftliche Bewegung,<br />

die dem Volk das klare Bewußtsein seiner Würde gegeben hatte, gab der Ent-<br />

[195]wicklung dieser Ansprüche einen mächtigen, noch nie dagewesenen Anstoß. Um sich<br />

davon zu überzeugen, genügt es, das Pariser „Musée Carnavalet“ zu besuchen. Die Sammlungen<br />

dieses interessanten Museums, das der Revolutionszeit gewidmet ist, beweisen unwi-<br />

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