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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

hervorgebracht haben, ist es nicht schwierig, sich auch ihren Verfall zu erklären. Hier sehen<br />

wir wieder das, was wir in der Literatur gesehen haben.<br />

Nach der Revolution, als diese ihr Ziel erreicht hatte, hörte die französische Bourgeoisie auf,<br />

für die alten republikanischen Helden zu schwärmen, und deshalb stellte sich ihr der Klassizismus<br />

jetzt in einem völlig anderen Lichte dar. Er <strong>erschien</strong> ihr kalt und voller Konvention.<br />

Und das war er in der Tat geworden. Der große revolutionäre Geist, der ihm einen so starken<br />

Zauber verliehen, hatte ihn verlassen, und es war bei ihm nur der [191] Körper übriggeblieben<br />

– die Gesamtheit der äußerlichen Mittel des künstlerischen Schaffens, die jetzt unnütz,<br />

seltsam, unangebracht waren, da sie den neuen Strömungen und Geschmacksrichtungen, die<br />

aus den neuen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgegangen waren, nicht entsprachen. Die<br />

Darstellung der alten Götter und Helden war jetzt eine Beschäftigung geworden, die sich nur<br />

für alte Pedanten schickte, und es ist sehr natürlich, daß die junge Künstlergeneration in dieser<br />

Beschäftigung nichts Anziehendes sah. Das Gefühl der Unzulänglichkeit des Klassizismus,<br />

das Bestreben, einen neuen Weg zu beschreiten, ist schon bei den unmittelbaren Schülern<br />

Davids zu bemerken, zum Beispiel bei Gros. Vergebens erinnert sie der Lehrer an das<br />

alte Ideal, vergeblich verurteilen sie selbst ihre neuen Impulse: der Gang der Ideen wird unaufhaltsam<br />

verändert durch den Gang der Dinge. Aber die Bourbonen, die im „staatlichen<br />

Troß“ nach Paris zurückgekehrt waren, schieben auch hier das endgültige Verschwinden des<br />

Klassizismus eine Zeitlang hinaus. Die Restauration verzögert den Siegeszug der Bourgeoisie<br />

und droht ihn fast gänzlich zum Stehen zu bringen. Deshalb wagt die Bourgeoisie nicht, sich<br />

vom „Schatten Lykurgs“ zu trennen. Dieser Schatten, der das alte Vermächtnis in der Politik<br />

etwas belebte, hält es in der Malerei aufrecht. Aber schon malt Géricault seine Bilder. Schon<br />

klopft die Romantik an die Tür.<br />

Übrigens eilen wir hier voraus. Darüber, wie der Klassizismus verfiel, wollen wir zu irgendeiner<br />

anderen Zeit sprechen; jetzt möchten wir mit einigen Worten sagen, wie sich die revolutionäre<br />

Katastrophe sogar auf die ästhetischen Begriffe der Zeitgenossen auswirkte.<br />

Der Kampf gegen die Aristokratie, der jetzt seine äußerste Anspannung erreicht hat, erweckt<br />

Haß gegen alle aristokratischen Geschmacksrichtungen und Überlieferungen. Im Januar 1790<br />

schreibt die Zeitschrift „La chronique de Paris“: „Alle unsere Anstandsregeln, unsere ganze<br />

Höflichkeit, unsere ganze Galanterie, alle unsere Redewendungen zum Ausdruck der gegenseitigen<br />

Verehrung, der Ergebenheit, der Ehrerbietung müssen aus unserem Sprachschatz<br />

verschwinden. All das erinnert zu sehr an die alte Ordnung.“ Zwei Jahre darauf heißt es in der<br />

Zeitschrift „Les annales patriotiques“: „Die Manieren und Regeln des Anstands wurden in<br />

der Zeit der Sklaverei erdacht; das ist ein Aberglaube, der vom Sturm der Freiheit und<br />

Gleichheit hinweggefegt werden muß.“ Dieselbe Zeitschrift beweist, daß wir die Mütze nur<br />

dann vom Kopf nehmen müssen, wenn uns heiß ist oder wenn wir uns an eine ganze Versammlung<br />

wenden; genauso müsse man die Gewohnheit der gegenseitigen Begrüßung aufgeben,<br />

weil auch diese Sitte aus der Zeit der Sklaverei stamme. Außerdem sei es notwendig, aus<br />

unserem Wortschatz Phrasen und Ausdrücke wie „Ich habe die Ehre“ ‚ „Sie erweisen mir die<br />

Ehre“ und ähnliche auszuschließen [192] und zu vergessen. Am Schluß des Briefes dürfe<br />

man nicht schreiben: „Ihr gehorsamster Diener“, „Ihr untertänigster Diener“ (Votre trés<br />

humble serviteur). Alle diese Ausdrücke seien von der alten Ordnung ererbt, eines freien<br />

Menschen unwürdig. Man müsse schreiben: „Ich verbleibe Ihr Mitbürger“ oder „Ihr Bruder“<br />

oder „Ihr Genosse“ oder schließlich „Ihr Gleicher“ (Votre égal).<br />

Der Bürger Chalier widmete und überreichte dem Konvent eine ganze Abhandlung über die<br />

Höflichkeit, in der er die alte aristokratische Höflichkeit streng verurteilt und behauptet, auch<br />

eine übermäßige Sorge um die Sauberkeit der Kleidung sei lächerlich, weil aristokratisch.<br />

Und eine festliche Kleidung sei geradezu ein Verbrechen, sei Diebstahl am Staat (un vol fait<br />

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