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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Eins von den in dieser Beziehung charakteristischsten und bemerkenswertesten Gemälden<br />

Davids war sein „Brutus“. Die Liktoren tragen die Leichname seiner Kinder, die eben wegen<br />

der Teilnahme an monarchistischen Umtrieben hingerichtet worden waren; die Frau und die<br />

Tochter des Brutus weinen, er aber sitzt da, düster und unerschütterlich, und man sieht, daß<br />

für diesen Menschen das Wohl der Republik in der Tat das höchste Gesetz ist. Brutus ist auch<br />

ein „Familienvater“. Aber es ist ein Familienvater, der Bürger geworden ist. Seine Tugend ist<br />

die politische Tugend des Revolutionärs. Er zeigt uns, wie weit das bürgerliche Frankreich<br />

vorangeschritten war seit der Zeit, da Diderot Greuze wegen des moralischen Charakters seiner<br />

Malerei gepriesen hatte. 1<br />

Der im Jahre 1789, in dem Jahre, da das große revolutionäre Erdbeben ausbrach, ausgestellte<br />

„Brutus“ hatte einen aufrüttelnden Erfolg. Er brachte das zum Bewußtsein, was zum tiefsten,<br />

zum dringlichsten Bedürfnis des Seins, das heißt des gesellschaftlichen Lebens im damaligen<br />

Frankreich geworden war. Ernest Chesneau sagt ganz richtig in seinem Buche über die Schulen<br />

der französischen Malerei:<br />

„David hat genau die Stimmung der Nation wiedergegeben, die, indem sie seine Bilder bejubelte,<br />

ihre eigene Darstellung bejubelt hat. Er malte genau die Helden, die sich das Publikum<br />

zum Vorbild genommen hatte; indem es sich an seinen Gemälden entzückte, bekräftigte es<br />

seine eigene Begeisterung für diese Helden. Daher jene Leichtigkeit, mit der sich in der<br />

Kunst der Umschwung vollzog, ähnlich dem Umschwung, der damals in den Sitten und in<br />

der gesellschaftlichen Ordnung stattfand.“<br />

[190] Der Leser irrte sehr, wenn er glaubte, der Umschwung, den David in der Kunst herbeigeführt,<br />

habe sich nur auf die Auswahl der Gegenstände erstreckt. Wäre dem so, dann<br />

dürften wir noch nicht von einem Umschwung sprechen. Nein, der mächtige Hauch der herannahenden<br />

Revolution änderte die ganze Einstellung des Künstlers zu seiner Sache von<br />

Grund auf. Der Manieriertheit und Süßlichkeit der alten Schule – siehe zum Beispiel die<br />

Gemälde von Van Loo – stellten die Künstler der neuen Richtung eine rauhe Einfachheit<br />

gegenüber. Auch die Mängel dieser neuen Künstler erklären sich leicht aus der unter ihnen<br />

herrschenden Haltung. So warf man David vor, die handelnden Personen seiner Gemälde<br />

glichen Statuen. Dieser Vorwurf ist leider nicht unbegründet. Aber David suchte die Vorbilder<br />

bei den Alten, und der neuen Zeit gilt die Bildhauerei als die vorherrschende Kunst<br />

des Altertums. Außerdem hielt man David die Schwäche seiner Einbildungskraft vor. Auch<br />

das war ein berechtigter Vorwurf: David selbst gab zu, daß bei ihm das Vernunftmäßige<br />

überwiege. Das Rationale war aber der hervorstechendste Charakterzug aller Vertreter der<br />

damaligen Freiheitsbewegung. Und nicht nur der damaligen: das Rationale trifft auf ein<br />

weites Feld der Entwicklung und entwickelt sich in breitem Maße bei allen zivilisierten<br />

Völkern, die eine Epoche des Umschwungs durchmachen, wo die alte gesellschaftliche<br />

Ordnung sich dem Verfall zuneigt und wo die Vertreter der neuen gesellschaftlichen Bestrebungen<br />

sie ihrer Kritik unterziehen. Bei den Griechen der Zeit des Sokrates war das<br />

Rationale nicht weniger entwickelt als bei den Franzosen des 18. Jahrhunderts. Die deutschen<br />

Romantiker sind nicht umsonst über das Rationale des Euripides hergefallen. Das<br />

Rationale ist die Frucht des Kampfes des Neuen mit dem Alten, und es dient als sein Werkzeug.<br />

Das Rationale war auch allen großen Jakobinern eigen. Man hält es überhaupt ganz<br />

unbegründeterweise für ein Monopol der Hamletnaturen. 2<br />

Wenn man sich jene gesellschaftlichen Ursachen klargemacht hat, die die Davidsche Schule<br />

1 Der „Brutus“ hängt jetzt im Louvre. Ein Russe, der zufällig nach Paris kommen sollte, muß hingehen und ihn<br />

grüßen.<br />

2 Deshalb könnte man viele kräftige Einwände gegen die von I. S. Turgenew in seinem berühmten Aufsatz<br />

„Hamlet und Don Quijote“ dargelegte Ansicht vorbringen.<br />

13

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