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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 A. Gevereay. Das damalige Frankreich war in der Person seines Königs zusammengefaßt. Deshalb spendeten die Betrachter der Darstellung Alexanders ihren Beifall Ludwig XIV. 1 Der ungeheure Eindruck, den die Malerei Lebruns seinerzeit ausübte, wird durch den pathetischen Ausruf Etienne Carneaus charakterisiert: „Que tu brilles, Lebrun, d’une lumière pure!“ [„Von was für reinem Licht ist doch, Lebrun, dein Strahlen!“] Aber alles fließt, alles verändert sich. Wer den Gipfel erreicht hat, der steigt wieder herab. Für die französische Ständemonarchie begann der Abstieg bekanntlich schon zu Lebzeiten Ludwigs XIV. und dauerte dann ununterbrochen fort bis zur Revolution. Der „Sonnenkönig“, der sagte: „Der Staat bin ich“, war trotzdem auf seine Art um die Größe Frankreichs besorgt. Aber Ludwig XV., der den absolutistischen Ansprüchen in keiner Weise entsagte, dachte nur an seine Vergnügungen. Und an nichts anderes dachte auch die ungeheure Mehrzahl des aristokratischen Gesindes um ihn herum. Seine Zeit war die Zeit unersättlicher Vergnügungssucht, die Zeit tollen Lebensgenusses. Allein, so schmutzig die Belustigungen der aristokratischen Nichtstuer mitunter auch sein mochten, der Geschmack der damaligen Gesellschaft zeichnete sich doch durch eine unbestreitbare Eleganz, durch Schönheit und Feinheit aus, und damit wurde Frankreich „tonangebend in der Mode“. Und dieser elegante, verfeinerte Geschmack in allen Dingen fand seinen Ausdruck in den ästhetischen Begriffen jener Zeit. „Als auf das Jahrhundert Ludwigs XIV. das Ludwigs XV. folgt,... steigt dieses Ideal“, das Ideal der Kunst, „zum lauten Treiben der Freude und des Vergnügens herunter. Überall sprießt ein Raffinement in der Eleganz, ein parfümiertes Zartgefühl in jeder Art von Lust hervor...“ 2 Und dieses Kunstideal fand seine beste und klarste Verwirklichung in den Gemälden Bouchers. „Die Sinnenlust ist Bouchers ganzes Ideal“, lesen wir in dem eben von uns zitierten Werk: „sie ist alles, was seine Malerei an Seele besitzt.“ „Die Venus, die Boucher hervorzaubert und malt, ist nur die körperliche [186] Venus...“ 3 Das ist völlig richtig, und das verstanden die Zeitgenossen Bouchers sehr gut. Im Jahre 1740 sagt sein Freund Piron in einem seiner Gedichte durch den Mund des berühmten Malers zu Madame Pompadour: Je ne recherche, pour tout dire, Qu’élégance, grâces, beauté, Douceur, gentillesse et gaieté En un mot, ce qui respire Ou badinage ou volupté. Le tout sans trop de liberté, Drapé du voile que désire La scrupuleuse honnêteté. 4 Das ist eine vorzügliche Charakteristik Bouchers, seine Muse war die geschmackvolle Sinnlichkeit, von der alle seine Gemälde durchdrungen sind. Solche Bilder gibt es ebenfalls nicht 1 A. Gevereay, „Charles Le Brun“, p. 220. 2 Goncourt, „L’art au dix-huitième siècle“, pp. 135/136. [Goncourt, „Die Kunst des 18. Jahrhunderts“, Leipzig 1908, S. 103.] 3 Gen. Werk, S. 145. [Zit. Werk, S. 111.] 4 [Ich suche, um es offen zu gestehen, Nur Anmut, Eleganz und Augenfreud‘, Nur Liebreiz, Gentillesse und Fröhlichkeit – Mit einem Wort: worin wir immer sehen Bald heitre Scherze, bald auch Sinnlichkeit. Doch all das nicht gelöst von Zucht und Zeit; Vielmehr mit jenem leichten Flor versehen, Den strenger Wohlanstand gebeut.] 10

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 wenige im Louvre, und wer sich einen Begriff davon machen will, welcher Abstand das aristokratisch-monarchische Frankreich Ludwigs XV. vom Frankreich Ludwigs XIV. trennt, dem empfehlen wir, die Gemälde Bouchers mit den Gemälden Lebruns zu vergleichen. Dieser Vergleich wird lehrreicher sein als ganze Bände abstrakter historischer Abhandlungen. Die Malerei Bouchers hatte denselben ungeheuren Erfolg, der seinerzeit der Malerei Lebruns beschieden war. Der Einfluß Bouchers war wahrhaft kolossal. Es wurde richtig bemerkt, daß die damaligen jungen französischen Maler, die zur Vervollkommnung ihrer künstlerischen Ausbildung nach Rom gingen, Frankreich mit seinen Schöpfungen vor Augen verließen und, wenn sie nach Hause zurückkehrten, nicht die Eindrücke, die sie von den großen Meistern der Renaissancezeit empfangen hatten, zurückbrachten, sondern wiederum die Erinnerungen an ihn. Aber Herrschaft und Einfluß Bouchers waren nicht beständig. Die Freiheitsbewegung der französischen Bourgeoisie brachte die moderne Kritik jener Zeit zu ihm in eine verneinende Beziehung. Bereits im Jahre 1753 fällt Grimm in seiner Correspondance littéraire ein strenges Urteil über ihn. „Boucher n’est pas fort dans le masculin“, sagt er (Boucher ist nicht stark im Männlichen). Und in der Tat, le masculin ist in den Gemälden Bouchers hauptsächlich durch Amoretten dar-[187]gestellt, die natürlich zu den freiheitlichen Strömungen jener Epoche nicht die geringste Beziehung hatten. Noch schärfer als Grimm griff Diderot in seinen „Salons“ Boucher an. „Herabgewürdigter Geschmack in Farbe, in Komposition, in Charakteren, im Ausdruck, ist bei ihm Schritt vor Schritt auf sein Sittenverderbnis gefolgt“, schreibt Diderot im Jahre 1765. 1 Nach der Meinung Diderots war Boucher kein Künstler mehr. „Und nun... wird er zum ersten königlichen Maler ernannt!“ 2 Besonders scharfer Tadel seitens Diderots trifft die obenerwähnten Amoretten Bouchers. Der hitzige Enzyklopädist bemerkt etwas unerwartet, daß in der ganzen zahlreichen Schar dieser Amoretten nicht ein einziges Kind ist, das sich für das wirkliche Leben eignen würde, zum Beispiel „als seine Lektion auswendig zu lernen, zu lesen, zu schreiben, Hanf zu raufen“ 3 . Dieser Tadel, der ein wenig an die Vorwürfe erinnert, mit denen unser D. I. Pissarew über Eugen Onegin herfiel, ruft bei vielen, ja recht vielen der heutigen französischen Kritiker nur ein verächtliches Achselzucken hervor. Diese Herren sagen, „Hanf raufen“ sei eben keine Arbeit für Amoretten, und sie haben recht. Aber sie sehen nicht, daß in dem naiven Unwillen Diderots gegen die „kleinen geilen Satyren“ der Klassenhaß der damals arbeitsamen Bourgeoisie gegen die müßigen Ergötzungen der aristokratischen Nichtstuer zum Ausdruck kam. Diderot findet auch daran kein Gefallen, was ohne Zweifel die Stärke Bouchers ausmachte: sein feminin (Weibliches). „Es gab eine Zeit, wo er von der Wut besessen war, Madonnen zu verfertigen. Und diese Madonnen?... Waren hübsche kleine Hürchen!“ 4 Diese hübschen kleinen Hürchen waren auf ihre Art sehr schön. Aber ihre Schönheit reizte die Ideologen des dritten Standes nicht, sondern empörte sie. Sie gefiel nur den Aristokraten und denen aus dem tiers état, die unter dem Einfluß der Aristokraten standen und sich deren aristokratischen Geschmack angeeignet hatten. „Hier kommt denn Ihr und mein Maler“ [Greuze]; „der erste unter uns, dem’s eingefallen ist, der Kunst Sitten zu geben...“‚ sagt Diderot, sich an seine Leser wendend. 5 Dieses Lob ist ebenso bezeichnend für die Einstellung Diderots – und mit ihm der ganzen derzeitigen den- 1 [Diderot, „Versuche über die Malerei“, Sämtl. Werke, Erster Teil, Riga 1797, S. 221.] 2 [Ebenda, S. 223.] 3 [Ebenda, S. 225.] 4 [Ebenda.] 5 [Ebenda, S. 331.] 11

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

wenige im Louvre, und wer sich einen Begriff davon machen will, welcher Abstand das aristokratisch-monarchische<br />

Frankreich Ludwigs XV. vom Frankreich Ludwigs XIV. trennt,<br />

dem empfehlen wir, die Gemälde Bouchers mit den Gemälden Lebruns zu vergleichen. Dieser<br />

Vergleich wird lehrreicher sein als ganze Bände abstrakter historischer Abhandlungen.<br />

Die Malerei Bouchers hatte denselben ungeheuren Erfolg, der seinerzeit der Malerei Lebruns<br />

beschieden war. Der Einfluß Bouchers war wahrhaft kolossal. Es wurde richtig bemerkt, daß<br />

die damaligen jungen französischen Maler, die zur Vervollkommnung ihrer künstlerischen<br />

Ausbildung nach Rom gingen, Frankreich mit seinen Schöpfungen vor Augen verließen und,<br />

wenn sie nach Hause zurückkehrten, nicht die Eindrücke, die sie von den großen Meistern der<br />

Renaissancezeit empfangen hatten, zurückbrachten, sondern wiederum die Erinnerungen an<br />

ihn. Aber Herrschaft und Einfluß Bouchers waren nicht beständig. Die Freiheitsbewegung<br />

der französischen Bourgeoisie brachte die moderne Kritik jener Zeit zu ihm in eine verneinende<br />

Beziehung.<br />

Bereits im Jahre 1753 fällt Grimm in seiner Correspondance littéraire ein strenges Urteil über<br />

ihn. „Boucher n’est pas fort dans le masculin“, sagt er (Boucher ist nicht stark im Männlichen).<br />

Und in der Tat, le masculin ist in den Gemälden Bouchers hauptsächlich durch Amoretten<br />

dar-[187]gestellt, die natürlich zu den freiheitlichen Strömungen jener Epoche nicht die<br />

geringste Beziehung hatten. Noch schärfer als Grimm griff Diderot in seinen „Salons“ Boucher<br />

an.<br />

„Herabgewürdigter Geschmack in Farbe, in Komposition, in Charakteren, im Ausdruck, ist<br />

bei ihm Schritt vor Schritt auf sein Sittenverderbnis gefolgt“, schreibt Diderot im Jahre<br />

1765. 1 Nach der Meinung Diderots war Boucher kein Künstler mehr. „Und nun... wird er<br />

zum ersten königlichen Maler ernannt!“ 2 Besonders scharfer Tadel seitens Diderots trifft die<br />

obenerwähnten Amoretten Bouchers. Der hitzige Enzyklopädist bemerkt etwas unerwartet,<br />

daß in der ganzen zahlreichen Schar dieser Amoretten nicht ein einziges Kind ist, das sich für<br />

das wirkliche Leben eignen würde, zum Beispiel „als seine Lektion auswendig zu lernen, zu<br />

lesen, zu schreiben, Hanf zu raufen“ 3 . Dieser Tadel, der ein wenig an die Vorwürfe erinnert,<br />

mit denen unser D. I. Pissarew über Eugen Onegin herfiel, ruft bei vielen, ja recht vielen der<br />

heutigen französischen Kritiker nur ein verächtliches Achselzucken hervor. Diese Herren<br />

sagen, „Hanf raufen“ sei eben keine Arbeit für Amoretten, und sie haben recht. Aber sie sehen<br />

nicht, daß in dem naiven Unwillen Diderots gegen die „kleinen geilen Satyren“ der Klassenhaß<br />

der damals arbeitsamen Bourgeoisie gegen die müßigen Ergötzungen der aristokratischen<br />

Nichtstuer zum Ausdruck kam.<br />

Diderot findet auch daran kein Gefallen, was ohne Zweifel die Stärke Bouchers ausmachte:<br />

sein feminin (Weibliches). „Es gab eine Zeit, wo er von der Wut besessen war, Madonnen zu<br />

verfertigen. Und diese Madonnen?... Waren hübsche kleine Hürchen!“ 4 Diese hübschen kleinen<br />

Hürchen waren auf ihre Art sehr schön. Aber ihre Schönheit reizte die Ideologen des dritten<br />

Standes nicht, sondern empörte sie. Sie gefiel nur den Aristokraten und denen aus dem<br />

tiers état, die unter dem Einfluß der Aristokraten standen und sich deren aristokratischen Geschmack<br />

angeeignet hatten.<br />

„Hier kommt denn Ihr und mein Maler“ [Greuze]; „der erste unter uns, dem’s eingefallen ist,<br />

der Kunst Sitten zu geben...“‚ sagt Diderot, sich an seine Leser wendend. 5 Dieses Lob ist<br />

ebenso bezeichnend für die Einstellung Diderots – und mit ihm der ganzen derzeitigen den-<br />

1 [Diderot, „Versuche über die Malerei“, Sämtl. Werke, Erster Teil, Riga 1797, S. 221.]<br />

2 [Ebenda, S. 223.]<br />

3 [Ebenda, S. 225.]<br />

4 [Ebenda.]<br />

5 [Ebenda, S. 331.]<br />

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