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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Die klassische Tragödie lebte weiter, bis die französische Bourgeoisie endgültig über die<br />

Verteidiger der alten Ordnung triumphierte und die Schwärmerei für republikanische Helden<br />

des Altertums für sie jede gesellschaftliche Bedeutung verlor. 1 Als dieser Zeitpunkt aber herankam,<br />

da erstand das Bürgerdrama zu neuem Leben und setzte sich auf der [184] französischen<br />

Bühne endgültig fest, nachdem es einige Wandlungen durchgemacht hatte, die den<br />

Besonderheiten der neuen gesellschaftlichen Lage entsprachen, aber durchaus nicht von wesentlichem<br />

Charakter waren.<br />

Selbst wer die Blutsverwandtschaft des romantischen Dramas mit dem Bürgerdrama des 18.<br />

Jahrhunderts nicht zugeben möchte, müßte die Tatsache anerkennen, daß zum Beispiel die<br />

dramatischen Werke von Alexander Dumas dem Jüngeren wirkliches Bürgerdrama des 19.<br />

Jahrhunderts sind.<br />

In den Werken der Kunst und in den literarischen Geschmacksrichtungen einer bestimmten<br />

Zeit kommt die gesellschaftliche Psychologie zum Ausdruck, und in der Psychologie der in<br />

Klassen geteilten Gesellschaft bleibt uns vieles unverständlich und paradox, wenn wir – wie<br />

die idealistischen Geschichtsschreiber es jetzt tun –‚ entgegen den besten Überlieferungen der<br />

bürgerlichen historischen Wissenschaft, weiterhin das gegenseitige Verhältnis der Klassen<br />

und den Klassenkampf ignorieren.<br />

Jetzt wollen wir die Bühne verlassen und uns einem anderen Zweige der französischen Kunst,<br />

nämlich der Malerei, zuwenden.<br />

Unter dem Einfluß der uns schon bekannten gesellschaftlichen Ursachen vollzieht sich hier<br />

die Entwicklung parallel zu dem, was wir auf dem Gebiete der dramatischen Literatur gesehen<br />

haben. Das hat schon Hettner bemerkt, und er sagt ganz richtig, daß zum Beispiel die<br />

weinerliche Komödie bei Diderot nichts anderes war als eine auf die Bühne übertragene Genremalerei.<br />

Im Zeitalter Ludwigs XIV., d. h. zu der Zeit, als die Ständemonarchie ihren Gipfelpunkt erreicht<br />

hatte, hatte die französische Malerei sehr viel mit der klassischen Tragödie gemeinsam.<br />

In ihr wie auch in der letzteren herrschte „le sublime“ und „la dignit“ [„Das Erhabene“ und<br />

„die Würde“] Und genauso wie die klassische Tragödie wählte sie ihre Helden nur unter den<br />

Mächtigen dieser Welt. Charles Lebrun, damals der Gesetzgeber des künstlerischen Geschmacks<br />

und der Malerei, kannte eigentlich nur einen einzigen Helden: Ludwig XIV., den er<br />

übrigens in ein antikes Kostüm kleidete.<br />

Seine berühmten Gemälde „Batailles d’Alexandre“ – die man jetzt im Louvre sehen kann und<br />

die wirklich die Aufmerksamkeit der Besucher dieses Museums verdienen – wurden nach<br />

dem Flandernfeldzug des Jahres 1667 gemalt, in dem sich die französische Monarchie mit<br />

glänzendem Ruhm bedeckt hatte. 2 Sie waren insgesamt der Verherrlichung des „Sonnenkönigs“<br />

gewidmet. Und sie entsprachen dem damaligen, nach dem [185] „Erhabenen“, nach<br />

Ruhm, nach Siegen strebenden Zeitgeist allzusehr, als daß die gesellschaftliche Meinung des<br />

herrschenden Standes nicht endgültig von ihnen beeindruckt worden wäre. Lebrun kam, vielleicht<br />

ohne sich dessen selbst bewußt zu sein, dem Verlangen nach, eine mächtige Sprache zu<br />

sprechen, auf das Auge starken Eindruck zu machen, die Pracht groß angelegter künstlerischer<br />

Entwürfe mit dem Prunk in Übereinstimmung zu bringen, der den König umgab, sagt<br />

1 „L’ordre de Lycurgue qui n’y pensait guère“, sagt Petit de Juleville, „protégea les trois unités“ [„Der Schatten<br />

Lykurgs, der selbst schwerlich an dergleichen gedacht hatte, beschirmte die drei Einheiten.“] („Le théâtre en<br />

France“, p. 334). Besser kann man sich gar nicht ausdrücken. Aber am Vorabend der großen Revolution sahen<br />

die Ideologen der [184] Bourgeoisie in diesem „dunklen Punkt“ nichts Konservatives. Im Gegenteil, sie erblickten<br />

darin nur die revolutionäre Bürgertugend („vertu“). Daran muß man denken.<br />

2 Die Belagerung von Tournai wurde nach zwei Tagen von Erfolg gekrönt; die Belagerung von Furnes, Courtrai,<br />

Douai, Armentières dauerte ebenfalls nur ganz kurze Zeit; Lille wurde in neun Tagen erobert usw.<br />

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