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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Und da tauchte nun wiederum die Schwärmerei für antike Helden auf. Jetzt sagt der Gegner<br />

der Aristokratie nicht mehr wie Beaumarchais: „Was gehen mich, den friedlichen Untertan<br />

eines monarchischen Staates des 18. Jahrhunderts, die Revolutionen Athens und Roms an?“<br />

Jetzt begannen die athenischen und römischen „Revolutionen“ im Publikum wieder das lebendigste<br />

Interesse wachzurufen. Aber das Interesse an ihnen nahm jetzt einen ganz anderen<br />

Charakter an.<br />

Wenn sich die jungen Ideologen der Bourgeoisie jetzt für die „Opferung einer jungen Königstochter<br />

in Aulis“ interessierten, so interessierten sie sich dafür hauptsächlich als für Material<br />

zur Entlarvung des „Aberglaubens“; wenn der „Tod eines peloponnesischen Tyrannen“ ihre<br />

Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, so fesselte er sie nicht so sehr wegen seiner psychologischen,<br />

sondern vielmehr wegen seiner politischen Seite. Jetzt schwärmte man nicht mehr für<br />

das monarchische Zeitalter des Augustus, sondern für die republikanischen Helden des<br />

Plutarch. Plutarch wurde zum Handbuch der jungen Ideologen der Bourgeoisie, was zum Beispiel<br />

aus den Memoiren der Madame Roland hervorgeht. Und diese Schwärmerei für republikanische<br />

Helden belebte von neuem das Interesse am ganzen antiken Leben überhaupt. Die<br />

Nachahmung des Altertums wurde Mode und gelangte in der ganzen damaligen französischen<br />

Kunst zu tiefem Ausdruck. Weiter unten werden wir sehen, welch tiefe Spuren sie in der Geschichte<br />

der französischen Malerei hinterlassen hat, jetzt aber wollen wir vermerken, daß sie<br />

das Interesse für das Bürgerdrama wegen der bürgerlichen Alltäglichkeit seines Inhalts abschwächte<br />

und das Ende der klassischen Tragödie für lange Zeit hinausschob.<br />

Die Historiker der französischen Literatur haben sich nicht selten verwundert gefragt: Wie ist<br />

die Tatsache zu erklären, daß die Bahnbrecher und führenden Männer der großen französischen<br />

Revolution auf dem [183] Gebiete der Literatur konservativ geblieben sind? Und warum<br />

ging die Herrschaft des Klassizismus erst ziemlich lange nach dem Sturz der alten Ordnung<br />

zu Ende? In Wirklichkeit war der literarische Konservatismus der Neuerer jener Zeit<br />

rein äußerlicher Natur. Wenn sich die Tragödie nicht als Form änderte, so erlitt sie eine wesentliche<br />

Veränderung im Sinne des Inhalts.<br />

Nehmen wir die Tragödie „Spartacus“ von Saurin, die im Jahre. 1760 <strong>erschien</strong>. Ihr Held,<br />

Spartakus, ist voll Freiheitsstreben. Um seiner großen Idee willen verzichtet er sogar auf die<br />

Heirat mit seiner Geliebten, und das ganze Stück hindurch spricht er in seinen Reden immerfort<br />

von Freiheit und Menschenliebe. Um solche Tragödien zu schreiben und sie mit Beifall<br />

aufzunehmen, war es gerade nötig, eben nicht literarischer Konservativer zu sein. In die alten<br />

literarischen Schläuche wurde hier ein völlig neuer, revolutionärer Inhalt gegossen.<br />

Tragödien wie die von Saurin oder Lemièrre (siehe seinen „Guillaume Tell“) erfüllen eine<br />

der revolutionärsten Forderungen des literarischen Neuerers Diderot: sie stellen nicht Charaktere<br />

dar, sondern gesellschaftliche Zustände und insbesondere die revolutionären gesellschaftlichen<br />

Strömungen jener Zeit. Und daß dieser neue Wein in die alten Schläuche gegossen<br />

wurde, ist daraus zu erklären, daß diese Schläuche ein Vermächtnis jenes selben Altertums<br />

waren, für das sich zu begeistern eines der bemerkenswertesten, charakteristischsten<br />

Symptome der neuen gesellschaftlichen Einstellung war. Neben dieser neuen Abart der klassischen<br />

Tragödie <strong>erschien</strong> das Bürgerdrama, diese – wie sich Beaumarchais lobend darüber<br />

äußert – moralité en action [in Handlung gesetzte Moralität]‚ und mußte sogar seinem Inhalt<br />

nach zu farblos, zu geschmacklos, zu konservativ erscheinen.<br />

Das Bürgerdrama wurde durch die oppositionelle Einstellung der französischen Bourgeoisie<br />

ins Leben gerufen und eignete sich nicht mehr zum Ausdruck ihrer revolutionären Bestrebungen.<br />

Das literarische „Porträt“ gab die zeitlich bedingten, vorübergehenden Züge des Originals<br />

getreu wieder; deshalb hatte man kein Interesse mehr daran, als das Original diese Züge<br />

verlor und als diese Züge nicht mehr angenehm <strong>erschien</strong>en. Darin liegt die ganze Sache.<br />

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