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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 08.07.2013<br />

durch sie eine Reihe wichtiger Siege über ihre Gegner zu erringen vermochten. Allmählich,<br />

dank ihrer Arbeit und Organisation, erlangten die Industriellen eine bedeutende soziale<br />

Macht, die die Macht der Aristokratie beträchtlich überstieg. Die Französische Revolution<br />

war in den Augen Saint-Simons nur eine Episode des einige Jahrhunderte dauernden Kampfes<br />

zwischen Industriellen und Adel. Und alle seine praktischen Vorschläge führen auf Maßnahmen<br />

hinaus, die nach seiner Meinung ergriffen werden mußten, um den Sieg der Industriellen<br />

und die Niederlage des Adels zu vervollständigen und zu festigen. Aber der Kampf der<br />

Industriellen gegen den Adel war ein Kampf zweier entgegengesetzter Interessen. Und wenn<br />

dieser Kampf, wie Saint-Simon sagt, die ganze Geschichte Westeuropas vom 15. Jahrhundert<br />

an erfüllt, so können wir sagen, daß der Kampf der großen sozialen Interessen den historischen<br />

Prozeß in der angegebenen Periode bedingte.<br />

Wir haben uns nun sehr weit von der Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts entfernt:<br />

nicht die Ideen, sondern das gesellschaftliche Interesse oder, besser gesagt, das Interesse der<br />

großen konstitutiven Elemente der Gesellschaft, das Interesse der Klassen und der soziale<br />

Kampf, der durch den Gegensatz dieser Interessen hervorgerufen wird, lenken die Welt und<br />

bestimmen den Gang der Geschichte.<br />

Saint-Simon übte mit seinen historischen Ansichten einen entscheidenden Einfluß auf einen<br />

der größten französischen Historiker, Augustin Thierry, aus. Und da Augustin Thierry eine<br />

regelrechte Revolution in der [19] Geschichtswissenschaft seines Landes herbeiführte, ist es<br />

auch für uns außerordentlich nützlich, seine Ansichten zu analysieren.<br />

Ich hoffe, Sie erinnern sich des von mir angeführten Zitats von Holbach über die Geschichte<br />

des jüdischen Volkes. 1 Holbach hielt diese Geschichte für das Werk eines einzigen Menschen<br />

– des Moses, der den Charakter der Juden bildete, ihnen ihre gesellschaftliche und politische<br />

Ordnung gab ebenso wie ihre Religion. 2* Und jedes Volk, sagt Holbach, hat seinen Moses.<br />

Die Geschichtsphilosophie des 18. Jahrhunderts kannte nur die Persönlichkeit großer Menschen;<br />

die Masse, das Volk als solches, existierte für sie fast nicht. Die Geschichtsphilosophie<br />

Augustin Thierrys ist in dieser Hinsicht der völlige Gegensatz zur Geschichtsphilosophie des<br />

18. Jahrhunderts. „Eine ganz eigenartige Erscheinung“, sagt er in einem seiner „Briefe über<br />

die Geschichte Frankreichs“, „ist es, mit welcher Hartnäckigkeit die Geschichtsschreiber den<br />

Volksmassen niemals Initiative und Ideen zuerkennen. Wenn ein ganzes Volk aus einem<br />

Land in das andere wandert und sich darin ansiedelt, so beschreiben die Chronisten und Dichter<br />

dieses Ereignis immer so, als ob irgendein Held den Einfall gehabt hätte, einen neuen<br />

Staat zu gründen, um seinen Namen berühmt zu machen; wenn neue Gewohnheiten entstehen,<br />

so kommt es ganz bestimmt so heraus, daß irgendein Gesetzgeber sie ausgedacht und<br />

ihre Annahme erzwungen hat; wenn ein neuer Staat entsteht, so hat sicherlich irgendein Fürst<br />

ihn gegründet. Das Volk und die Bürger aber sind immer nur die Hülle des Gedankens eines<br />

einzelnen Menschen.“ 3<br />

Die Revolution war eine Sache der Volksmassen, und diese Revolution, die in der Restaurationsperiode<br />

noch in ganz frischer Erinnerung war, erlaubte es nicht mehr, den historischen<br />

Prozeß als eine Sache mehr oder weniger kluger oder mehr oder weniger tugendhafter Persönlichkeiten<br />

anzusehen. Anstatt sich mit den Launen und Taten großer Menschen zu befassen,<br />

wollten die Historiker von nun an eine Geschichte der Völker.<br />

1 [Dieser Abschnitt kommt in der vorangegangenen Vorlesung nicht vor.] Siehe Kommentar in der folgenden<br />

Fußnote.<br />

2* Die Worte Plechanows: „Holbach hielt diese (der Juden) Geschichte für das Werk eines einzigen Menschen –<br />

des Moses...“ sind kein Zitat, sondern eine kurze Wiedergabe des Inhalts des Kapitels „Kurze Geschichte des<br />

jüdischen Volkes“ in Holbachs Werk „Entlarvtes Christentum“.<br />

3 La Haye, „Dix ans d’études bistoriques“, 1855, p. 548.<br />

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