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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 wissenschaftliche Ästhetik schreibt der Kunst keine Gesetze vor, sondern bemüht sich nur bescheiden, jene zu verstehen, unter deren Wirkung sich ihre historische Entwicklung vollzieht. Und diese Kritik nun, so sagen wir, ist eine publizistische gerade insofern, als sie eine echt wissenschaftliche ist... Ich will mich entschiedener ausdrücken. Das ist unbedingt notwendig, damit die Kritik in ihrer Entwicklung einen Schritt weitergehen könne. Man schämt sich, es zu sagen, aber man darf es keinesfalls verschweigen, daß die Kritik (richtiger: die Theorie der Ästhetik) bis in die allerletzte Zeit nicht imstande war, den von mir angegebenen kindischen Schnitzer einzusehen und daß ihre begabtesten und tiefsinnigsten Vertreter bis in die allerletzte Zeit die seltsame petitio principii [behauptende Vorwegnahme dessen, was erst zu beweisen ist] nicht bemerkt haben, die allen ihren Betrachtungen zugrunde lag. Das mag unwahrscheinlich scheinen, aber es ist so, ‹und kann man denn nicht› in der Geschichte der anderen Wissenschaften ähnliche Beispiele finden? Denken Sie bloß an die Geschichte der politischen Ökonomie. Die Aufklärer des achtzehnten Jahrhunderts sahen in der Ansammlung und Verbreitung von Wissen... [166] Sehr geehrter Herr! Zweiter Brief Variante zu S. 77/78 Ich setze meine Darlegungen über die Kunst fort. Nach meinem Plan müßte ich jetzt über die Kunst bei den primitiven Völkern, bei den Naturvölkern, wie die Deutschen sagen, sprechen. Aber wie es im Sprichwort richtig heißt: Wer A sagt, muß auch B sagen. Da die Kunst eines jeden Volkes meiner Ansicht nach stets in engstem ursächlichem Zusammenhang mit seiner Ökonomik steht, muß ich, ehe ich an die Untersuchung der Kunst hei den Naturvölkern herangehe, die wichtigsten spezifischen Merkmale der Ökonomik der Naturvölker aufzeigen. Für einen „ökonomischen“ Materialisten ist es im allgemeinen etwas sehr Natürliches, nach dem bildlichen Ausdruck Michailowskis – mit der „ökonomischen Saite“ zu beginnen. Und im vorliegenden Falle wird die Wahl dieser „Saite“ zum Ausgangspunkt meiner Untersuchung außerdem nahegelegt... Dritter Brief Variante zu S. 104/05 Natürlich zeichnet sich die Arbeit des primitiven Wilden nicht durch die exakte Regelmäßigkeit der Arbeit eines Webers in Lancashire aus, darum bleibt sie aber doch Arbeit, d. h. nicht selten eine sehr aufreibende und unangenehme Verausgabung von Muskel- und Nervenkraft mit dem bewußten Zweck der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Aber das ist noch nicht alles. Bücher hatte, als er von der Arbeit des primitiven Menschen sprach, offenbar nur die Arbeit der Männer im Auge. Er hat die Frauenarbeit, die mit Zeitvertreib nur noch ganz wenig gemein hat, überhaupt nicht berücksichtigt. Nehmen wir bloß mal die australische Frau. Sie schleppt verschiedene Lasten während der Wanderzüge, sie gräbt eßbare Wurzeln aus, sucht wilden Honig, bereitet die Nahrung usw. Was stellen alle diese Beschäftigungen dar: Arbeit oder Zeitvertreib? Nach meiner Ansicht genau dieselbe Arbeit wie bei uns die Arbeit unseres Gepäckträgers oder unserer Köchin. Und je weiter die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft fortschreitet, desto größer und größer wird die Menge der Arbeit, die auf die Frau entfällt. Die nordamerikanische Indianerin hat sich nicht nur um den Haushalt zu kümmern: Zubereitung der Nahrung, Herstellung der Kleidung usw., sondern sie muß auch die Arbeiten auf dem Felde verrichten. Diese Aufgaben sind sehr schwer, kompliziert und mannigfaltig. Zu ihrer Ausführung gehört Überlegung, Fürsorge nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, sorgfältige und zweckmäßige Zeiteinteilung. Ihre Tätigkeit hat alle die Merkmale, die nach Bücher die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen charakterisieren. Sind wir nunmehr berechtigt, zu sagen, daß eine Lebensweise, die in bedeutendem Grade auf dieser Tätigkeit aufgebaut ist, nicht die Merkmale der Wirtschaft besitzt? Gewiß nicht. Die „individuelle Nahrungssuche“ ist eine reine Erfindung. Variante zu S. 105/06 ... der Kleidung oder im Gebrauch der Werkzeuge, muß zum Gemeingut ihres Stammes, zu seinem unveräußerlichen Schatz werden, der beständig wachsen muß. Manche wollten sogar in der Erfindung der Töpferei, in der Zähmung der Tiere, in [167] der Erzgießerei Wendepunkte sehen, mit denen völlig neue Entwicklungsepochen der Kultur begannen. Wie wenig werden bei einer solchen Betrachtungsweise die Bedingungen berücksichtigt, unter denen der primitive Mensch lebt! Natürlich, man muß zugeben, daß dieser die Steinaxt, mit deren Herstel- 88

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 lung er sich vielleicht ein ganzes Jahr lang abgemüht hat und die ihm die größten Anstrengungen gekostet hat, mit besonderer Liebe behandelt und daß ihm diese Axt gewissermaßen als Teil seines eigenen Wesens erscheinen wird; aber es ist irrig, zu glauben, dieses kostbare... Variante zu S. 110/111 ... [zur Herstellung] einer engen Verbindung zwischen den am Leben bleibenden Mitgliedern des Verbandes. So erklärt sich denn auch das Paradoxon, daß die Tötung von Kindern und Greisen manchmal auch bei Stämmen üblich ist, die sich durch stark entwickelte Elternliebe und zugleich durch große Achtung vor den Greisen auszeichnen. Es handelt sich nicht um die Psychologie des Wilden, sondern um seine Ökonomik. Bevor ich mit den Ausführungen Büchers über den Charakter des primitiven Menschen zu Ende komme, muß ich noch zwei diesbezügliche Bemerkungen machen. Erstens: eine der markantesten Erscheinungen des von ihm den Wilden zugeschriebenen Individualismus ist in seinen Augen die bei ihnen sehr verbreitete Gewohnheit, die Mahlzeiten getrennt einzunehmen. Ohne auf die Frage einzugehen, woher eine solche Gewohnheit stammt und wie sie entstehen konnte, möchte ich Sie nur auf die unbestreitbare Tatsache hinweisen, daß sie bei solchen Stämmen vorkommt, bei denen, so kann man sagen, der volle Kommunismus im Gebrauch der Erzeugnisse herrscht. So zum Beispiel bereiteten die Frauen bei den Rothäuten Nordamerikas einen Teig aus Maismehl, der auf besondere kleine Teller verteilt und von den verschiedenen Familienmitgliedern zu verschiedener Zeit und daher auch getrennt von den anderen gegessen wurde. Aber wie wenig das mit Individualismus zu tun hatte, ist daraus zu ersehen, daß die Hausfrau außer den einzelnen kleinen Tellern auch noch eine große Schüssel mit Teig füllte, die man Gästeschüssel nannte und aus der jeder, der in die Hütte kam, essen konnte. 1 Ist das vielleicht Individualismus? Meine zweite Bemerkung besteht in folgendem: Bei vielen Naturvölkern hat jedes Familienmitglied sein bewegliches Eigentum, auf das keines der übrigen Familienmitglieder auch nur das geringste Recht hat und auf das es gewöhnlich keinerlei Anspruch erhebt. Häufig kommt es vor, daß die einzelnen Mitglieder einer großen Familie sogar abgesondert voneinander leben, und zwar in kleinen Hütten. Bücher sieht darin eine Erscheinung des extremsten Individualismus. Er würde anderer Meinung sein, kennte er die Verhältnisse der großen Bauernfamilien, die in unserem Großrußland einst so zahlreich waren. In solchen Familien war die Wirtschaftsgrundlage rein kommunistisch; aber das hinderte die einzelnen Mitglieder – zum Beispiel die „Weiber“ und „Mädchen“ – nicht, ihre eigene bewegliche Habe zu be-[168]sitzen, die vor Eingriffen selbst der despotischsten Herren durch den Brauch geschützt war. Für die verheirateten Mitglieder solcher großen Familien wurden nicht selten auf dem gemeinsamen Hofe besondere Häuschen gebaut (im Gouvernement Tambow nannte man sie Chatki). Das waren die Anfänge gesonderter Familien, aber diese neuen Familien fügten sich vortrefflich in die kommunistische Ordnung der großen Familie ein und hinderten die kameradschaftliche gemeinsame Wirtschaftsführung nicht. Wenn Sie sich, geehrter Herr, die Beispiele aufmerksam betrachten, die Bücher anführt, so sehen Sie, hoffe ich, selbst, daß wir es bei den meisten davon gerade mit einer solchen Verknüpfung von aufkommendem Individualismus mit dem althergebrachten Kommunismus zu tun haben. Einzelne Notizen in der Art eines Konspektes oder Planes Besteht die Kunst jener Zeit für sich? Nein. Sie bringt die Größe der gesellschaftlichen Interessen des Hofes und der Aristokratie zum Ausdruck, sie dient diesen ebenso, wie die Kunst der Gesellschaft bei den Jägervölkern den Interessen ihrer Gesellschaft dient. Eine Kunst für die Kunst gibt es noch nicht. Genug. Schlußfolgerungen. Die klassenmäßige Kunst bringt das zum Ausdruck, was in der Klasse, die sie geschaffen hat, als schön und wichtig gilt. Dieses Bewußtsein ist auch hier kein religiöses Bewußtsein. Es wird nicht unmittelbar durch die Ökonomik bestimmt, sondern durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die auf dem Boden der Ökonomik gewachsen sind. Diese Verhältnisse bestimmen die psychische Verfassung. Der psychische Faktor ist gerettet. Hier tritt nun der contraste auf (an Darwin erinnern: Antithese). * Das gleiche ist über die religiösen Vorstellungen der primitiven Menschen zu sagen. Gewiß, der Animismus 1 Lafitau, op. cit., II, 88. Nehmen Sie noch dazu, daß, wenn die zu einer Familie gehörenden Personen verschiedenen Alters und verschiedenen Geschlechts häufig getrennt essen, nicht weniger häufig die Personen gleichen Geschlechts und gleichen Alters, die einer bestimmten Gemeinschaft angehören, gemeinsam in Gemeinschaftshäusern essen, wo sie auch den größten Teil ihrer Zeit verbringen. Das ist ebenfalls kein Individualismus. 89

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lung er sich vielleicht ein ganzes Jahr lang abgemüht hat und die ihm die größten Anstrengungen gekostet hat,<br />

mit besonderer Liebe behandelt und daß ihm diese Axt gewissermaßen als Teil seines eigenen Wesens erscheinen<br />

wird; aber es ist irrig, zu glauben, dieses kostbare...<br />

Variante zu S. 110/111<br />

... [zur Herstellung] einer engen Verbindung zwischen den am Leben bleibenden Mitgliedern des Verbandes. So<br />

erklärt sich denn auch das Paradoxon, daß die Tötung von Kindern und Greisen manchmal auch bei Stämmen<br />

üblich ist, die sich durch stark entwickelte Elternliebe und zugleich durch große Achtung vor den Greisen auszeichnen.<br />

Es handelt sich nicht um die Psychologie des Wilden, sondern um seine Ökonomik.<br />

Bevor ich mit den Ausführungen Büchers über den Charakter des primitiven Menschen zu Ende komme, muß<br />

ich noch zwei diesbezügliche Bemerkungen machen.<br />

Erstens: eine der markantesten Erscheinungen des von ihm den Wilden zugeschriebenen Individualismus ist in<br />

seinen Augen die bei ihnen sehr verbreitete Gewohnheit, die Mahlzeiten getrennt einzunehmen. Ohne auf die<br />

Frage einzugehen, woher eine solche Gewohnheit stammt und wie sie entstehen konnte, möchte ich Sie nur auf<br />

die unbestreitbare Tatsache hinweisen, daß sie bei solchen Stämmen vorkommt, bei denen, so kann man sagen,<br />

der volle Kommunismus im Gebrauch der Erzeugnisse herrscht. So zum Beispiel bereiteten die Frauen bei den<br />

Rothäuten Nordamerikas einen Teig aus Maismehl, der auf besondere kleine Teller verteilt und von den verschiedenen<br />

Familienmitgliedern zu verschiedener Zeit und daher auch getrennt von den anderen gegessen wurde.<br />

Aber wie wenig das mit Individualismus zu tun hatte, ist daraus zu ersehen, daß die Hausfrau außer den<br />

einzelnen kleinen Tellern auch noch eine große Schüssel mit Teig füllte, die man Gästeschüssel nannte und aus<br />

der jeder, der in die Hütte kam, essen konnte. 1 Ist das vielleicht Individualismus?<br />

Meine zweite Bemerkung besteht in folgendem: Bei vielen Naturvölkern hat jedes Familienmitglied sein bewegliches<br />

Eigentum, auf das keines der übrigen Familienmitglieder auch nur das geringste Recht hat und auf<br />

das es gewöhnlich keinerlei Anspruch erhebt. Häufig kommt es vor, daß die einzelnen Mitglieder einer großen<br />

Familie sogar abgesondert voneinander leben, und zwar in kleinen Hütten. Bücher sieht darin eine Erscheinung<br />

des extremsten Individualismus. Er würde anderer Meinung sein, kennte er die Verhältnisse der großen Bauernfamilien,<br />

die in unserem Großrußland einst so zahlreich waren. In solchen Familien war die Wirtschaftsgrundlage<br />

rein kommunistisch; aber das hinderte die einzelnen Mitglieder – zum Beispiel die „Weiber“ und „Mädchen“<br />

– nicht, ihre eigene bewegliche Habe zu be-[168]sitzen, die vor Eingriffen selbst der despotischsten Herren<br />

durch den Brauch geschützt war. Für die verheirateten Mitglieder solcher großen Familien wurden nicht selten<br />

auf dem gemeinsamen Hofe besondere Häuschen gebaut (im Gouvernement Tambow nannte man sie Chatki).<br />

Das waren die Anfänge gesonderter Familien, aber diese neuen Familien fügten sich vortrefflich in die kommunistische<br />

Ordnung der großen Familie ein und hinderten die kameradschaftliche gemeinsame Wirtschaftsführung<br />

nicht. Wenn Sie sich, geehrter Herr, die Beispiele aufmerksam betrachten, die Bücher anführt, so sehen<br />

Sie, hoffe ich, selbst, daß wir es bei den meisten davon gerade mit einer solchen Verknüpfung von aufkommendem<br />

Individualismus mit dem althergebrachten Kommunismus zu tun haben.<br />

Einzelne Notizen in der Art eines Konspektes oder Planes<br />

Besteht die Kunst jener Zeit für sich? Nein. Sie bringt die Größe der gesellschaftlichen Interessen des Hofes und<br />

der Aristokratie zum Ausdruck, sie dient diesen ebenso, wie die Kunst der Gesellschaft bei den Jägervölkern<br />

den Interessen ihrer Gesellschaft dient. Eine Kunst für die Kunst gibt es noch nicht.<br />

Genug. Schlußfolgerungen. Die klassenmäßige Kunst bringt das zum Ausdruck, was in der Klasse, die sie geschaffen<br />

hat, als schön und wichtig gilt. Dieses Bewußtsein ist auch hier kein religiöses Bewußtsein. Es wird<br />

nicht unmittelbar durch die Ökonomik bestimmt, sondern durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die auf dem<br />

Boden der Ökonomik gewachsen sind. Diese Verhältnisse bestimmen die psychische Verfassung. Der psychische<br />

Faktor ist gerettet. Hier tritt nun der contraste auf (an Darwin erinnern: Antithese).<br />

*<br />

Das gleiche ist über die religiösen Vorstellungen der primitiven Menschen zu sagen. Gewiß, der Animismus<br />

1 Lafitau, op. cit., II, 88. Nehmen Sie noch dazu, daß, wenn die zu einer Familie gehörenden Personen verschiedenen<br />

Alters und verschiedenen Geschlechts häufig getrennt essen, nicht weniger häufig die Personen gleichen<br />

Geschlechts und gleichen Alters, die einer bestimmten Gemeinschaft angehören, gemeinsam in Gemeinschaftshäusern<br />

essen, wo sie auch den größten Teil ihrer Zeit verbringen. Das ist ebenfalls kein Individualismus.<br />

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