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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Sechster Brief<br />

(Fortsetzung) 1<br />

Haben Sie, geehrter Herr, zufällig eine Abbildung jener Kämme gesehen, mit denen sich zum<br />

Beispiel die Indianer Zentralbrasiliens oder die Papuas Neuguineas kämmen? Diese Kämme<br />

bestehen einfach aus mehreren Stäbchen, die miteinander verbunden sind. Das ist sozusagen<br />

die erste Stufe der Entwicklung des Kammes. Seine weitere Entwicklung besteht darin, daß<br />

er aus einem ganzen Täfelchen gemacht wird, in das die Zähne eingeschnitten werden. Solche<br />

Kämme verwenden zum Beispiel die [151] Monbuttu-Neger und die Barotse-Kaffern.<br />

Auf dieser Entwicklungsstufe wird der Kamm manchmal mit sehr großer Sorgfalt ausgeschmückt.<br />

Aber der charakteristischste Teil der Ornamentik solcher Kämme sind die auf den<br />

Täfelchen angebrachten, sich kreuzweise überschneidenden Reihen paralleler Linien, die<br />

offensichtlich jene Bänder darstellen, mit denen früher die Stäbchen, die den Kamm bildeten,<br />

verbunden wurden. Die Verzierung ist hier eine Abbildung dessen, was früher zu einem Nützlichkeitszweck<br />

verwendet wurde. Die Beziehung zum Gegenstande vom Standpunkte des<br />

Nutzens ging der [Beziehung] dazu vom Standpunkte des ästhetischen Genusses voraus.<br />

Was wir hier am Beispiel des Kammes, kann man an sehr vielen anderen Beispielen sehen.<br />

Es ist Ihnen natürlich, geehrter Herr, bekannt, daß der Stein dem Menschen der Urgesellschaft<br />

als Material zur Herstellung einer Waffe und von Arbeitswerkzeugen diente. Bekannt<br />

ist Ihnen wahrscheinlich auch, daß die Steinäxte ursprünglich keine Handgriffe hatten.<br />

Die Archäologie der Vorgeschichte legt sehr überzeugend dar, daß der Handgriff eine<br />

ziemlich verwickelte und für den primitiven Menschen schwierige Erfindung ist und erst in<br />

einer verhältnismäßig späten Periode des Quartärzeitalters erscheint. 2 Ursprünglich wurde<br />

der Handgriff mit der Axt durch mehr od[er] weniger feste Bänder verbunden. In der Folge<br />

waren solche Bänder nicht mehr nötig, weil die Menschen gelernt hatten, die Axt mit dem<br />

Handgriff auch ohne ihre Hilfe gut und fest zu verbinden. Man brauchte sie dann nicht<br />

mehr, aber an der Stelle, die sie eingenommen hatten, <strong>erschien</strong> ihre Abbildung, die aus<br />

kreuzweis sich schneidenden Reihen paralleler Linien bestand und als Verzierung diente. 3<br />

Dasselbe geschah auch mit anderen Werkzeugen, deren ursprünglich miteinander verknüpfte<br />

Teile später auf andere Weise verbunden wurden. Sie verzierte man ebenfalls mit Abbildungen<br />

der früher notwendigen Bänder. So entstanden die „geometrischen“ Verzierungen,<br />

die in der primitiven Ornamentik eine so hervorragende Stelle einnehmen und die man<br />

schon an den Werkzeugen der Quartärzeit beobachten kann. 4 Die weitere Entwicklung der<br />

Produktivkräfte gab einen neuen Anstoß zur Entwicklung dieser Art von Verzierungen.<br />

Eine besonders große Rolle spielte hier die Töpferkunst. Bekanntlich ging dieser Kunst das<br />

Flechten voran. Die Australier können bis heute keine Tongefäße herstellen und begnügen<br />

sich mit geflochtenen. Als die Erzeugnisse aus Ton <strong>erschien</strong>en, gab man [152] ihnen die<br />

Form und das Aussehen der früher allgemein verwandten geflochtenen Gefäße, indem man<br />

auf ihrer äußeren Oberfläche Reihen von parallelen Linien abbildete, ähnlich denen, die ich<br />

schon besprochen habe, als von den Kämmen die Rede war. Eine solche Verzierung des<br />

Tongefäßes, wie sie seit den ersten Anfängen der Töpferkunst üblich wurde, ist noch heutzutage<br />

sogar bei den zivilisiertesten Völkern stark verbreitet. Viele Motive hat ihr auch die<br />

Webkunst geliefert.<br />

Die Früchte mancher Pflanzen, zum Beispiel die Kürbisse, wurden und werden bis auf den<br />

1 So im Manuskript. Red. L. N.<br />

2 Siehe G. de Mortillet, „Le Préhistorique“, Paris 1883, p. 257.<br />

3 Solche Verzierungen kann man an den polynesischen Äxten sehen, die in dem Buche von Hjalmar Stolpe,<br />

„Entwicklungserscheinungen in der Ornamentik der Naturvölker“, Wien 1892, S. 29/30, abgebildet sind.<br />

4 G. de Mortillet, l. c., p. 415.<br />

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