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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Sehr geehrter Herr!<br />

Varianten zum fünften Brief<br />

ÜBER DIE KUNST 1<br />

(Briefe ohne Adresse)<br />

Variante zu S. 1-6 des Manuskripts<br />

Zweiter Brief 2<br />

In diesem Briefe will ich über die Kunst bei den primitiven Völkern sprechen. Was sind aber primitive Völker?<br />

Wenn dieser Ausdruck gleichbedeutend ist mit dem deutschen Ausdruck „Naturvölker“, dann ist mein Thema<br />

äußerst umfangreich. Naturvölker kommen auch in einigen entlegenen Winkeln des europäischen Rußlands<br />

vor, und wie viele gibt es in Asien, in den beiden Amerikas, in Australien und besonders in Afrika! Und wie<br />

verschieden sind die Entwicklungsstufen, auf denen diese primitiven Völker stehen. Die Kaffern und Buschmänner<br />

zählt man in gleicher Weise zu den Naturvölkern, und dabei besteht zwischen ihnen ein gewaltiger<br />

Unterschied sowohl in der Art der Gewinnung der Nahrung wie auch im Gesellschafts-[147]aufbau, in den Sitten<br />

und Anschauungen. Selbstverständlich unterscheidet sich auch die Kunst der Buschmänner stark von der<br />

Kunst der Kaffern.<br />

Wie soll ich mich nun in meinem Stoff zurechtfinden? Welches Prinzip soll ich seiner Klassifizierung zugrunde<br />

legen?<br />

Ich glaube, daß ich mich in diesem Falle fest an das gleiche Prinzip halten muß, durch das meine ganze Ansicht<br />

über die historische Entwicklung der Menschheit bestimmt wird. Wenn die Entwicklung der Produktivkräfte die<br />

letzte und fundamentale Ursache dieser Entwicklung war und wenn der Zustand der Produktivkräfte jedes gegebenen<br />

Volkes mittelbar oder unmittelbar selbst seine künstlerische Tätigkeit bestimmt, so ist klar, daß ich mir,<br />

wenn ich mich den Naturvölkern zuwende, vor allem den Zustand ihrer Produktivkräfte klarzumachen habe und<br />

dann den Zusammenhang klären muß, der zwischen diesem Zustand einerseits und der Kunst anderseits besteht.<br />

Da aber der Zustand der Produktivkräfte bei den verschiedenen Naturvölkern durchaus nicht der gleiche ist,<br />

muß ich natürlicherweise bei denen beginnen, die über am wenigsten entwickelte Produktivkräfte verfügen. Bei<br />

welchen Völkern sind die Produktivkräfte am wenigsten entwickelt? Bei den Jägervölkern. Ich weiß, bis zu<br />

welchem Grade jetzt das alte Schema der kulturellen Entwicklung: Jagd, Hirtenwesen, Ackerbau, veraltet ist.<br />

Ich weiß, daß die Besonderheiten des geographischen Milieus der Entwicklung der Produktivkräfte bei einzelnen<br />

Völkern nicht selten eine höchst eigenartige Richtung geben.<br />

Wem wäre zum Beispiel nicht bekannt, daß die Eingeborenen Amerikas niemals Hirten gewesen sind und sein<br />

konnten und daß sich viele von ihnen schon frühzeitig mit Ackerbau befaßt haben? Wer hätte nicht von den<br />

erstaunlichen Besonderheiten des Wirtschaftslebens vieler Polynesier gehört? Nichtsdestoweniger muß man<br />

zugeben, daß es in dem von mir erwähnten alten Schema viel Richtiges gibt. Es weist auf solche Momente in<br />

der Entwicklung der Produktivkräfte hin, die wirklich dort, wo sie stattgefunden haben, einen gewaltigen, entscheidenden<br />

Einfluß auf den ganzen weiteren Gang der gesellschaftlichen Entwicklung ausüben mußten. Ich<br />

habe gesagt, daß die Kaffern sich sehr stark von den Buschmännern sowohl in ihrem Gesellschaftsaufbau als<br />

auch in ihren Gewohnheiten und Anschauungen unterscheiden. Wodurch entstehen diese Unterschiede? Dadurch,<br />

daß die Kaffern ein Hirtenvolk sind, während die Hauptbeschäftigung der Buschmänner die Jagd ist.3<br />

Lebensweise und Sitten der brasilianischen Indianer sind höchst eigenartig. Wodurch wird ihre Eigentümlichkeit<br />

bedingt? Durch eine eigenartige Verbindung der Jagd mit dem Ackerbau.4 Mit einem Wort: hier sehen wir<br />

das gleiche wie in der Mineralogie. In der Natur kommen die geometrischen Formen, mit denen sich die Kristallographie<br />

beschäftigt, selten in reiner Form vor: der Mineraloge hat meistens mit Kombinationen der verschiedenen<br />

Formen zu tun. Er würde sich aber in diesen Kombinationen nicht auskennen, wenn er keinen Begriff<br />

hätte...<br />

1 Titel und Untertitel stammen von G. W. Plechanow. Red. L. N.<br />

2 Nach unserer Zählung ist dies Brief fünf. Siehe oben S. 117. Die Red.<br />

3 Über die Besonderheiten der Lebensweise dieser Völker siehe bei G. Fritsch, „Die Eingeborenen Süd-<br />

Afrikas“, Breslau 1872; über den Einfluß des Hirtenlebens auf die Lebensweise und Sitten siehe ebenfalls bei<br />

Ratzel, „Völkerkunde“, [1. Auflage,] t. I, S. 205 ff.<br />

4 Siehe von den Steinen, „Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens“, Berlin 1894, S. 205 ff.<br />

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