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[1] Lenin als Philosoph Inaugural-Dissertation Genehmigt Von der ...

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OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 32<br />

376). Dialektik <strong>als</strong> Forschungsmethode bedeutet, alles in Bewegung und Entwicklung zu sehen,<br />

und zwar in Bewegung von Gegensätzen. Auf diese Seite <strong>der</strong> Dialektik hat beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>Lenin</strong> hingewiesen, <strong>der</strong> <strong>als</strong> „eine <strong>der</strong> ‚Wesenheiten‘, eines <strong>der</strong> grundlegenden, wenn nicht das<br />

grundlegende Merkmal“ 70 <strong>der</strong> Dialektik die „Spaltung <strong>der</strong> Einheitlichen und Erkenntnis seiner<br />

wi<strong>der</strong>spruchsvollen Bestandteile“ 71 sieht. Diese Spaltung des Einheitlichen ist ein „Gesetz des<br />

Erkennens (und Gesetz <strong>der</strong> objektiven Welt)“ 72 .<br />

Das Wesentliche an <strong>der</strong> Dialektik scheint aber doch das ihr innewohnende relativistische<br />

Prinzip zu sein. Es gibt eben außer dem Prozeß <strong>der</strong> steten Verän<strong>der</strong>ung selbst nichts Absolutes.<br />

Die Summe <strong>der</strong> menschlichen Erkenntnis ist eine Summe von nur relativen Wahrheiten. In<br />

je<strong>der</strong> steckt ein mehr o<strong>der</strong> weniger richtiger Kern, im Weltsystem des Ptolemäus genau so wie<br />

im kopernikanischen – beides sind nur Annäherungen an die absolute Wahrheit, sind gleichsam<br />

geschichtlich bedingte Abbil<strong>der</strong> von ihr. Das ist das Wesentliche am dialektischen Denken,<br />

wie es <strong>Lenin</strong> auffaßt, daß über eine bestimmte Lehre, sei sie nun eine naturwissenschaftliche<br />

Theorie o<strong>der</strong> irgendeine Hypothese. sei es auch eine Gesellschaftsordnung, nicht<br />

schlechthin ein Verdammungsurteil gefällt wird, noch aber eine ganz bestimmte <strong>als</strong> „einzig<br />

richtige“ gepriesen, wie das ja bei so vielen Ethikern und Staatstheoretikern <strong>der</strong> Fall ist, von<br />

Theologen und Historikern ganz zu schweigen, son<strong>der</strong>n daß ihnen auf Grund des in <strong>der</strong> Dialektik<br />

schlummernden relativistischen Prinzips nur eine gewisse historische Berechtigung<br />

zugesprochen wird. So wird nicht die Bourgeoisie o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kapitalismus schlechthin verdammt.<br />

Im Gegenteil, immer wie<strong>der</strong> wird auf bei<strong>der</strong> große Verdienste hingewiesen und betont,<br />

daß eine kommunistische Gesellschaftsordnung ohne die durch den Kapitalismus geleisteten<br />

Vorarbeiten nicht möglich wäre. Dem Tode geweiht ist <strong>der</strong> Kapitalismus nur dann, wenn die in<br />

ihm enthaltenen Gegen-[38]sätze so unhaltbar werden. daß er nicht mehr lebensfähig ist. Er<br />

wird sich dann im Zustand <strong>der</strong> Stagnation befinden und versuchen, sein System und seine<br />

Ideologie zu verabsolutieren und zu glorifizieren, wobei <strong>der</strong> Entwicklungsgedanke ängstlich<br />

gemieden und geleugnet wird. „Nichts ist so bezeichnend für den Bourgeois wie die Übertragung<br />

<strong>der</strong> Züge <strong>der</strong> gegenwärtigen Zustände auf alle Zeiten und Völker“, sagt <strong>Lenin</strong> (Was<br />

sind die „Volksfreunde“ und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten? in Über den historischen<br />

Materialismus, S. 33) 73 , und zwar tun sie dies nur zu dem Zwecke, um mit <strong>der</strong><br />

Feststellung, das es immer Arme und Reiche gegeben habe, <strong>der</strong> revolutionären Lehre, daß<br />

Ausbeutung nur ein Produkt einer historisch bedingten Klassenherrschaft sei, die Stoßkraft zu<br />

nehmen. Eine Staatsform usw. ist nicht (wie für so viele bürgerliche Ethiker und Staatstheoretiker)<br />

schlechthin vollkommen o<strong>der</strong> „die einzig mögliche“, son<strong>der</strong>n nur unter ganz bestimmten<br />

Umständen. Und da sich diese Umstände verän<strong>der</strong>n, müssen sich auch die Gesellschaftsordnung<br />

und damit die Staatsform än<strong>der</strong>n. Eine Verfassung, die nicht mehr den ihr<br />

zugrunde liegenden tatsächlichen Machtverhältnisse entspricht, hört auf, eine „wirkliche“<br />

Verfassung zu sein und ist nichts weiter <strong>als</strong> – wie Lassalle in seiner berühmten Rede über<br />

Verfassungswesen sagte – ein „Blatt Papier“ 74 . Es gibt in <strong>der</strong> antiken <strong>Philosoph</strong>ie ein hervorragendes<br />

Beispiel für den Unterschied des „abstrakten“ Denkens von dem „dialektischen“, wie<br />

es <strong>Lenin</strong> verstanden wissen will. Und zwar ist dieses Beispiel die Unterschiedlichkeit <strong>der</strong><br />

platonischen und <strong>der</strong> aristotelischen Staatstheorie. Platon empfiehlt <strong>als</strong> Utopist und Metaphysiker<br />

einen Ide<strong>als</strong>taat für alle Zeiten und Völker, weil er das Entwicklungsprinzip nicht kennt.<br />

Der Realist Aristoteles dagegen untersucht die tatsächlichen Staatsverhältnisse und empfiehlt<br />

70 Das Zitat lautet korrekt: „eine <strong>der</strong> ‚Wesenheiten‘, eine <strong>der</strong> grundlegenden, wenn nicht die grundlegende Beson<strong>der</strong>heit<br />

o<strong>der</strong> Seite“. Ebenda, S. 338.<br />

71 Das Zitat lautet korrekt: „Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner wi<strong>der</strong>spruchsvollen Bestandteile“.<br />

Ebenda.<br />

72 Das Zitat lautet korrekt: „Gesetz <strong>der</strong> Erkennens (und Gesetz <strong>der</strong> objektiven Welt)“. Ebenda.<br />

73 <strong>Lenin</strong>: Werke, Band 1, S. 146, Fußnote.<br />

74 Ferdinand Lassalle’s Reden und Schriften. Hrsg. v. Eduard Bernstein, Berlin 1892, S. 486.

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