[1] Lenin als Philosoph Inaugural-Dissertation Genehmigt Von der ...
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OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23<br />
Transzendentem haben. Denn die Idealisten je<strong>der</strong> Schattierung überschätzen die erkennende<br />
Funktion des menschlichen Bewußtseins. Die Tatsache, daß wir von <strong>der</strong> realen Welt nur mittels<br />
unseres Bewußtseins wissen, besagt noch nicht, daß die Existenz <strong>der</strong> Welt von unserem<br />
Bewußtsein abhängig sei. „Für uns“ – ja; aber nicht „an sich“. Bleibe ich bei <strong>der</strong> Tatsache <strong>der</strong><br />
Bewußtseinsimmanenz <strong>der</strong> Außenwelt stehen, so überbetone ich ihre „Erscheinungsseite“, was<br />
aus dem Grunde nicht gerechtfertigt ist, <strong>als</strong> diese Überbetonung dem naiv-realistischen Ausgangspunkt,<br />
<strong>der</strong> doch auch <strong>der</strong> Ausgangspunkt für die Wissenschaft ist, und ebenso <strong>der</strong> Praxis<br />
des tätigen Menschen 39* wi<strong>der</strong>spricht. Denn dem „gesunden Menschenverstande, [29] auf den<br />
sich <strong>Lenin</strong> hie und da beruft, wohnt die Überzeugung inne, daß die Welt schon existierte, bevor<br />
ich geboren war, <strong>als</strong>o ehe ich ein Bewußtsein besaß. Sie existierte zwar nicht „für mich“, sie<br />
war noch nicht Gegenstand meines individuellen Bewußtseins, aber sie existierte „an sich“.<br />
Das An-sich ist früher <strong>als</strong> das Für-mich. Kants „Ding an sich“ ist ein „Abstraktum ohne Realität“<br />
sagt <strong>Lenin</strong> mit Feuerbach (<strong>Lenin</strong>, M. u. S. 105) 40 . Für den Materialisten ist das „Ding an<br />
sich“ ein „Abstraktum mit Realität“, „d. h. eine außer uns existierende Welt, vollständig erkennbar<br />
und prinzipiell von <strong>der</strong> ‚Erscheinung‘ durch nichts unterschieden.“ 41 Wollte man<br />
<strong>Lenin</strong> hier vorwerfen, daß es ja keinen Beweis gäbe für die Objektivität <strong>der</strong> Außenwelt und daß<br />
<strong>der</strong> naiv-realistische Standpunkt doch zu primitiv sei, so muß man darauf hinweisen, daß auch<br />
<strong>der</strong> Kritiker dieser Ansicht sich unbewußt <strong>der</strong> alltäglichen Überzeugung bedient, wenn er das<br />
bewußte Leben für das „wahre“ Leben hält und die Traumwelt eben nur für eine Traumwelt. Es<br />
gibt jedenfalls auch keinen exakten erkenntnistheoretischen Beweis dafür, daß nicht das Leben<br />
Traum ist und gerade <strong>der</strong> Traum das wahre Leben.<br />
Der Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung (Ding für uns) ist nicht prinzipiell,<br />
son<strong>der</strong>n das Verhältnis bei<strong>der</strong> zueinan<strong>der</strong> ist wie das Verhältnis des Ganzen zum Teil. „Die<br />
Gegenstände unserer Vorstellungen unterscheiden sich von unseren Vorstellungen, das Ding<br />
an sich unterscheidet sich von dem Ding für uns, denn letzteres ist nur ein Teil o<strong>der</strong> eine Seite<br />
des ersteren (vom Verf. hervorgehoben), so wie <strong>der</strong> Mensch selbst nur ein Teil <strong>der</strong> in seinen<br />
Vorstellungen abgebildeten Natur ist“ (<strong>Lenin</strong>, M. u. E., S. 105) 42 .<br />
Welchen Charakter nun haben nach <strong>Lenin</strong> die Empfindungen o<strong>der</strong> Vorstellungen? Da er, wie<br />
wir schon gesehen haben, objektiver Sensualist ist, können die Vorstellungen und Empfindungen<br />
nichts an<strong>der</strong>es sein <strong>als</strong> die Abbildungen von den Dingen. Die Kardinalfrage in <strong>der</strong><br />
<strong>Philosoph</strong>ie lautet nach <strong>Lenin</strong>: „Sollen wir von den Dingen aus zur Empfindung und zum<br />
Gedanken gehen? O<strong>der</strong> vom Gedanken und von <strong>der</strong> Empfindung zu den Dingen?“ (<strong>Lenin</strong>, M.<br />
u. E., S. 23) 43 . Die erste, materialistische Frage erhält die ihr adäquate Beantwortung in <strong>der</strong><br />
Abbild- o<strong>der</strong> Spiegelbildtheorie. Durch sie wird die Empfindung <strong>als</strong> ein Bild bezeichnet,<br />
welches vermittels <strong>der</strong> äußeren Sinnesorgane durch den Anreiz irgendeiner äußeren Umgebung,<br />
unmittelbar erzeugt wird. „Für jeden Naturwissenschaftler, <strong>der</strong> sich durch die Professorenphilosophie<br />
nicht verwirren läßt, sowie für jeden Materi<strong>als</strong>ten ist die Empfindung tat-<br />
39* Es „besteht ... keine unüberbrückbare Kluft zwischen dem vor-wissenschaftlichen und dem wissenschaftlichen<br />
Erkennen. Wir finden vielmehr in allen Einzelwissenschaften eine große Anzahl von Forschern erfolgreich tätig,<br />
die über die Erkenntnis selbst keine systematische Reflexion angestellt haben“ (August Messer, Einführung in die<br />
Erkenntnistheorie, S. 68). „Unerschüttert ist ... unsere Überzeugung, daß es eine von uns unabhängig bestehende,<br />
reale Welt gibt, die uns mit unseren Mitmenschen gemeinsam ist; daß wir von ihrer Existenz wie von ihrer Beschaffenheit<br />
[29] durch Wahrnehmungen Kunde erhalten, und daß solche Wahrnehmungen <strong>als</strong> Erkenntnis von<br />
Wirklichem sich wohl unterscheiden von bloßer Einbildung o<strong>der</strong> vom Traum, und daß sie einen unentbehrlichen<br />
Ausgangspunkt und eine Kontrollinstanz bilden für die wissenschaftliche Arbeit, die auf genauere Ergründung<br />
dieser wirklichen Welt gerichtet ist“ (August Messer, ebenda, S. 86).<br />
40 <strong>Lenin</strong>: Werke, Band 14, S. 112.<br />
41 Ebenda.<br />
42 Ebenda, S. 113.<br />
43 Ebenda, S. 33.