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[1] Lenin als Philosoph Inaugural-Dissertation Genehmigt Von der ...

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OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 22<br />

Die Setzung <strong>der</strong> Objektivität <strong>der</strong> Außenwelt von vornherein ist nur möglich auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

des Empirismus und des Sensualismus. Aber <strong>der</strong> <strong>Lenin</strong>sche Empirismus und Sensualismus ist<br />

etwas an<strong>der</strong>es <strong>als</strong> <strong>der</strong> von Ernst Mach. Während wir es bei diesem mit einem subjektiven<br />

Sensualismus zu tun haben, ist jener objektiver Sensualist. Denn während Mach die Empfindungen<br />

<strong>als</strong> „Elemente“, <strong>als</strong> „Letztheiten“ behandelt, <strong>als</strong> Dinge, die sich auf sich selbst beschränken,<br />

hinter die man nicht mehr hinausschreiten darf, leugnet <strong>Lenin</strong> den Elementarcharakter<br />

<strong>der</strong> Empfindungen, indem er sie für ursächlich bedingt erklärt. Die Ursache <strong>der</strong> Empfindungen<br />

sind die Dinge selbst. Wenn wir die Empfindungen nicht <strong>als</strong> die „Äußerungen“ <strong>der</strong><br />

Dinge, <strong>als</strong> bewirkt durch sie, auffassen. son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> Letztheiten, <strong>als</strong> „unmittelbar Gegebenes“,<br />

<strong>als</strong> unbewirkt durch etwas nehmen, <strong>als</strong> Elemente, die lediglich an mein Bewußtsein gekoppelt<br />

sind, dann stehe ich auf idealistischem Boden. „Denn <strong>der</strong> Idealismus fängt ... dort an, wo ein<br />

<strong>Philosoph</strong> sagt, daß die Dinge unsere Empfindungen seien; <strong>der</strong> Kantianismus fängt erst dort an,<br />

wo ein <strong>Philosoph</strong> sagt: das Ding an sich existiert, aber es ist nicht erkennbar“ (<strong>Lenin</strong>, M. u. E.,<br />

S. 97) 37 . Die Überlegung, die <strong>Lenin</strong> zu dieser Auffassung führt, mag ungefähr folgende sein.<br />

Bleibt man bei den Empfindungen stehen, schreitet man nicht über sie hinaus, so gelangt man<br />

notwendigerweise zu einer Überbetonung des menschlichen Bewußtseins. Ist die Welt auch<br />

noch nicht direkt das Produkt des Bewußtseins, so wird sie nichtsdestoweniger doch <strong>als</strong> etwas<br />

[28] betrachtet, was nicht existierte, wenn nicht unser Bewußtsein auch existierte. Sage ich:<br />

Die Welt ist nur meine Erfahrung, o<strong>der</strong>, was dasselbe ist, mein „Empfindungskomplex“, so<br />

liegt in dieser Aussage ohne Zweifel <strong>der</strong> Hauptakzent auf „meine Erfahrung“. Dieser Satz läßt<br />

in dieser Form die bloße Annahme nicht zu, daß die Welt noch etwas an<strong>der</strong>es sein könnte <strong>als</strong><br />

eben „meine Erfahrung“. Sie ist in diesem Falle <strong>als</strong>o vollständig von mir und meinem Bewußtsein<br />

abhängig. Sage ich hingegen: Ich weiß von <strong>der</strong> Welt nur durch meine Erfahrung, so<br />

liegt in diesem Satze enthalten, daß sie mehr ist <strong>als</strong> meine Erfahrung, d. h. <strong>als</strong>o, daß sie von<br />

meinem Bewußtsein unabhängig existiert, daß nur mein Wissen und Bewußtsein von ihr lükkenhaft<br />

ist, da ich sie nur soweit zu erkennen vermag, <strong>als</strong> sie Gegenstand meines Bewußtseins<br />

ist, daß sie aber jedenfalls mehr bedeutet <strong>als</strong> meine Erfahrung. Nach dieser Auffassung ist das<br />

Bewußtsein gleichsam ein Scheinwerfer, <strong>der</strong> sein Licht in die Nacht <strong>der</strong> materiellen Welt<br />

hinaus blendet. Nur so viele von den „Dingen an sich“ können uns „erscheinen“, nur so viele<br />

sind erkennbar, <strong>als</strong> von dem Lichtkegel unseres Scheinwerfers Bewußtsein getroffen werden.<br />

Die Dinge an sich sind nun nicht etwa unerkennbar, son<strong>der</strong>n sie sind erkennbar, sofern sie uns<br />

erscheinen. Daß sie erkennbar sind, bedeutet nicht, daß sie schon erkannt seien. Der Lichtkegel<br />

des Scheinwerfers Bewußtsein geht weiter, immer mehr Dinge, die an sich im Dunkel <strong>der</strong><br />

Nacht existieren, treten ins Bewußtsein, werden „erkennbar“, „erscheinen“ uns. Und das<br />

können sie natürlich nur insofern, <strong>als</strong> sie schon vorher, nämlich bevor sie in unser Bewußtsein<br />

traten, „da“ waren.<br />

<strong>Lenin</strong> macht <strong>als</strong>o sehr wohl einen Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung, aber er<br />

vermeidet eine scharfe Abgrenzung bei<strong>der</strong> voneinan<strong>der</strong>. „Es ist eine spezifisch kantische und<br />

humesche Schrulle, zwischen <strong>der</strong> Erscheinung und dem Ding an sich eine prinzipielle Grenze<br />

zu ziehen“, sagt <strong>Lenin</strong> (M. u. E., S. 102) 38 und erklärt die Idee einer prinzipiellen Grenze<br />

zwischen Erscheinung und Ding an sich für eine „Kateridee“ <strong>der</strong> Idealisten und Agnostiker.<br />

Für ihn existieren Dinge an sich und diese Dinge an sich sind erkennbar. Wie weit sie schon<br />

erkannt sind, das allerdings ist eine Sache des Fortschritts des menschlichen Geistes. Geleugnet<br />

wird hingegen vom Materialismus, daß diese Dinge an sich den Charakter von etwas<br />

37 Das Zitat lautet korrekt: „denn <strong>der</strong> Idealismus fängt erst dort an, wo ein <strong>Philosoph</strong> behauptet, die Dinge seien<br />

unsere Empfindungen; <strong>der</strong> Kantianismus fängt dort an, wo ein <strong>Philosoph</strong> sagt: das Ding an sich existiert, aber es<br />

ist unerkennbar.“ <strong>Lenin</strong>: Werke, Band 14, S. 104.<br />

38 Das Zitat lautet korrekt: „Es ist eine spezifische Kantsche und Humesche ‚Schrulle‘, zwischen <strong>der</strong> Erscheinung<br />

und dem Ding an sich eine prinzipielle Grenze ziehen zu wollen.“ Ebenda, S. 110.

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