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[1] Lenin als Philosoph Inaugural-Dissertation Genehmigt Von der ...

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OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 13<br />

mer irgendein „Interesse“, aber kein „individuelles“ Interesse, da <strong>der</strong> Denker ja nicht isoliert<br />

dasteht, son<strong>der</strong>n Bestandteil einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Es ist<br />

auch <strong>Lenin</strong>s Ansicht (die für ihn so selbstverständlich ist, daß er sie offen gar nicht ausspricht),<br />

wenn Bucharin sagt, „daß die ‚Persönlichkeit‘ <strong>als</strong> gesellschaftliche Persönlichkeit stets <strong>als</strong><br />

Mitglied, <strong>als</strong> Bestandteil einer Gruppe, Klasse o<strong>der</strong> Gesellschaft wirkt. Die ‚Persönlichkeit‘ ist<br />

stets von gesellschaftlichem Inhalt erfüllt“ (Bucharin, Theorie des historischen Materialismus,<br />

S. 107). Das Denken und die Erkenntnis ist <strong>als</strong>o bedingt durch die soziale Stellung <strong>der</strong> denkenden<br />

Persönlichkeit, dadurch, welcher Klasse sie angehört. Unter einer gesellschaftlichen<br />

Klasse ist nach Bucharin aber die Gesamtheit <strong>der</strong> Personen zu verstehen, „die in <strong>der</strong> Produktion<br />

die gleiche Rolle spielen, die im Produktionsprozeß in gleichen Verhältnissen zu den<br />

an<strong>der</strong>en stehen, wobei diese Verhältnisse auch in den Dingen (Arbeitsmitteln) ihren Ausdruck<br />

finden“ (Theorie des historischen Materialismus, S. 323). Doch ist dabei zu betonen, daß nicht<br />

ein unmittelbares Grund-Folge-Verhältnis zwischen <strong>der</strong> Klassenzugehörigkeit eines Individuums<br />

und seiner geistigen Leistung, seinem Denkakt angenommen wird. Die Klassenzugehörigkeit<br />

bestimmt nicht sofort die „Ideologie“, son<strong>der</strong>n sie schafft erst eine bestimmte psychische<br />

Einstellung und Verfassung, weitestgehend ein „Interesse“, welches dann richtunggebend<br />

für das bewußte Denken wird. Die Art dieses Interesses bestimmt auch die Ideologie 20* .<br />

Was für eine <strong>Philosoph</strong>ie man wählt, hängt weniger davon ab, was für ein Mensch man ist, <strong>als</strong><br />

vielmehr davon, welcher Klasse man zugehört, muß man in Abwandlung des Fichtewortes<br />

jetzt sagen. O<strong>der</strong> aber man muß ihm zumindest beifügen, daß das Wesen eines Menschen<br />

weitgehend von seiner sozialen Stellung, von seiner Klassenzugehörigkeit abhängt. Denn das<br />

Denken ist ein gesellschaftlicher Prozeß, es entspringt aus einer bestimmten Klassenpsychologie,<br />

in ihr beson<strong>der</strong>s einem bestimmten Klasseninteresse, und dieses wird geformt durch die<br />

Lebensbedingungen <strong>der</strong> Klasse, durch ihre Stellung im gesellschaftlichen Leben. „Die Klassenpsychologie<br />

stützt sich auf die Gesamtheit <strong>der</strong> Lebensbedingungen <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Klassen, und diese Lebensbedingungen werden bestimmt durch die Lage <strong>der</strong> Klassen in dem<br />

ökonomischen und politisch-Sozialen Milieu“ (Bucharin). Zwar ist <strong>der</strong> „primitivste und zugleich<br />

allgemeinste Ausdruck <strong>der</strong> Klasseninteressen“ das „Bestreben <strong>der</strong> Klassen, ihren Anteil<br />

bei <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Produktenmasse zu vergrößern“ (Bucharin), – da aber <strong>der</strong> Unterschied<br />

in den materiellen Existenzbedingungen auch <strong>der</strong> Klassenideologie durch die Klassenpsychologie<br />

hindurch ihren Stempel aufdrückt, müssen wir auch für jedes be-[19]wußte, philosophische<br />

Denken eine Klassenbedingtheit annehmen. Nur die Gedanken passieren die Zensur,<br />

welche das Klasseninteresse an <strong>der</strong> Grenze des Unbewußten und des Bewußten ausübt, nur die<br />

Gedanken werden „erlaubt“, welche ihm nützen können. Goethe hat in einem Brief an Zelter<br />

einmal etwas Ähnliches gesagt: „Ich habe bemerkt, daß ich den Gedanken für wahr halte, <strong>der</strong><br />

für mich fruchtbar ist, sich an mein übriges Denken anschließt und zugleich mich för<strong>der</strong>t“<br />

(zitiert nach Überweg-Heinze, I. S. 112).<br />

Da <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Bourgeoisie bei <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Produktenmasse und damit ihre Lebensbedingungen<br />

an<strong>der</strong>e sind <strong>als</strong> Anteil und Lebensbedingungen des Proletariats, ist auch ihre<br />

20* Man braucht nur daran zu denken, daß ein Wissenschaftler doch zunächst nur solche Gebiete bearbeiten wird,<br />

die ihn „interessieren“, um zu begreifen, wie bestimmend eben die prälogische Einstellung ist. Es dürfte sich dabei<br />

wesentlich um „idola specus“[Idole <strong>der</strong> Höhle: nach <strong>der</strong> Idolenlehre die Idole des einzelnen Menschen. Denn ein<br />

je<strong>der</strong> hat (neben den Abirrungen <strong>der</strong> menschlichen Natur im allgemeinen) eine Höhle o<strong>der</strong> eine gewisse nur ihm<br />

eigene Grotte. Diese Fehlerquelle ist <strong>als</strong>o individuell, abhängig von <strong>der</strong> eigenen Lerngeschichte, <strong>der</strong> spezifischen<br />

Ausstattung. Bacon nennt Erziehung, Verkehr mit an<strong>der</strong>en, Bücher, aber auch Stimmungen. Gemeint sind <strong>als</strong>o die<br />

individuell erworbenen Verhaltens- und Urteilsroutinen.], in baconischer Terminologie, handeln, während die<br />

Marxisten einen ganz neuen Begriff von „Idolen“ einführen, den <strong>der</strong> „sozialen Bedingtheit“, <strong>der</strong> vielleicht noch<br />

am ehesten in den „idola theatri“ [Idole des Theaters: nach <strong>der</strong> Idolenlehre die Idole, welche in den Geist <strong>der</strong><br />

Menschen aus den verschiedenen dogmatischen Behauptungen philosophischer Lehrmeinungen wie auch aus den<br />

verkehrten Gesetzen <strong>der</strong> Beweisführung eingedrungen sind.] bei Bacon vorgebildet ist, wenn man die Neigung<br />

<strong>der</strong> konservativen Wissenschaftler zu Autorität und Tradition <strong>als</strong> Merkmale ihrer Klassenzugehörigkeit nimmt.

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