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Vom Ladlschupfn und Geldmohln.<br />

Erzählt von Irma Keller<br />

„Ich kam in der Oststeiermark, in Jagerberg, auf die<br />

Welt und besuchte die Schule in Feldbach. Meine berufliche<br />

Laufbahn begann ich in Leibnitz bei einem Geschäft, das<br />

Parfümerie- und Schreibwaren führte. Dort lernte ich meinen<br />

Mann Franz kennen und Weihnachten 1956 haben wir uns<br />

verlobt. Er war aus Großklein und hatte zuhause ein großes<br />

Geschäft mit angeschlossenem Gasthaus, das heute auf eine<br />

über 180-jährige Kaufhaustradition zurückblickt. Bereits damals<br />

half ich am Wochenende beim Keller aus, aber erst als wir<br />

1958 geheiratet haben, bin ich auch nach Großklein gezogen.<br />

Neben dem Hauptgeschäft im Ort betrieben wir auch noch<br />

eine Filiale in der Mantrachmühle und später kam auch noch<br />

ein Geschäft in Maierhof dazu. Ich war mein Lebtag gerne<br />

Verkäuferin, auch wenn ich anfangs etwas schockiert war. Es<br />

war schon eine große Umstellung von der Parfümerie in ein<br />

Kaufhaus mit Gasthaus zu wechseln, aber ich habe mich sehr<br />

schnell eingelebt. Die meisten Leute hatten damals gerade das<br />

Nötigste zum Leben und eines der Hauptzahlungsmittel waren<br />

Eier.<br />

Ich erinnere mich noch gut daran, wie in Maierhof ein Mädchen<br />

zu mir ins Geschäft kam. Sie wohnte in einer Rauchstube und<br />

genauso schwarz war auch ihr Gesicht. Mit einem Polsterüberzug<br />

voller Eier kam sie an, und als sie das Binkerl auf den Ladentisch<br />

stellte, rann die Soße schon über denselbigen. Leider hatte sie<br />

auch ein „Büll-Oa“ (faules Ei) dabei und der Gestank verbreitete<br />

sich im ganzen Geschäft. So schnell es nur ging, beförderten<br />

wir die Eier nach draußen, aber den Fleck, den das „Büll-Oa“<br />

auf dem Tisch hinterließ, bekamen wir bis zum Abbruch des<br />

Geschäftes nicht mehr hinaus. Oftmals hatte ich in einem<br />

Monat 3 - 4000 Eier im Geschäft, die wir dann weiter nach<br />

Graz lieferten.<br />

Auch der Ausschank von offenem Alkohol war damals gar nicht<br />

so einfach. Obwohl die Menschen nicht viel hatten, gönnten sie<br />

sich doch gerne mal einen ordentlichen Schluck. Ich erinnere<br />

mich noch daran, dass der Bierschnaps damals sehr begehrt<br />

war. Die Bierführer brachten ihn in großen Korbflaschen und<br />

es war ganz normal, dass, wenn jemand ein Bier bestellte, er einen<br />

Bierschnaps dazu bekam. Aber nicht ein Stamperl, sondern<br />

das Achtel war das Maß der Dinge. Wo er nicht ausgeschenkt<br />

werden durfte, so wie bei uns in den Filialen, da musste man ein<br />

wenig tricksen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie etliche<br />

ältere Herren regelmäßig mit einer Maggi-Flasche zu mir<br />

kamen und sich diese mit dem Edelbrand auffüllen ließen.<br />

Genussvoll saßen sie dann auf der Bank und nippten schluckweise<br />

aus ihren mitgebrachten Flascherln. Kam es zu einer<br />

Kontrolle, so hatte ja sowieso jeder nur ein Maggi gekauft. Auch<br />

die Wahlsonntage waren sehr umsatzträchtig, wenn es um den<br />

Alkohol ging. Damals herrschte ja strengstes Alkoholverbot<br />

und das wurde auch ordentlich überwacht. Auf dem Weg in<br />

das Wahllokal kam man halt beim Geschäft vorbei und dort<br />

waren es die färbigen Libella-Flascherln, die als Behältnis für<br />

ein gutes Tröpferl Wein dienten. Gerade weil es verboten war,<br />

tranken an solchen Tagen auch diejenigen einen Wein, die sonst<br />

überhaupt nie einen kauften.<br />

Viele Familien lebten damals noch in sehr ärmlichen Verhältnissen<br />

und auch der Strom war bei weitem noch nicht für<br />

alle selbstverständlich. Ich erinnere mich noch an Bauern, die<br />

extra ein Schwein gefüttert haben, damit sie sich das Einleiten<br />

leisten konnten. Wir verkauften damals noch recht viel Petroleum,<br />

hatten aber die Auflage, diesen auf keinen Fall in eine<br />

Bierflasche einzufüllen, damit es nicht zu ungewollten Trinkunfällen<br />

kam. Unser Geschäft in Maierhof hatte damals noch<br />

einen einfachen Holzboden. Der wurde nicht aufgerieben<br />

sondern regelmäßig mit Öl eingelassen. Dabei erinnere ich mich<br />

auch noch daran, es war bereits Winter, wie der „Gaischitz“, so<br />

wurde der Auflieferer der Bäckereien genannt, zu mir kam. Es<br />

hatte bereits geschneit und der „Gaischitz“ war mit dem Moped<br />

und seiner Kraxn auf dem Buckel unterwegs. Als er das Geschäft<br />

betrat, sorgten der Schnee unter seinen Schuhen und der geölte<br />

Boden dafür, dass der gute Mann losfuhr. Nicht nur, dass das<br />

Brot, die Semmeln und der Lotter durch die Gegend flogen,<br />

riss er auch noch ein Regal mit Schnellsiedern mit. Im ersten<br />

Moment erschrak ich, ob ihm wohl nichts passiert ist, aber als<br />

er schimpfte: „ Weibabritschnan, ba so an Wetta Bodn einlossn“,<br />

wusste ich, dass alles in Ordnung war.<br />

Später bekam ich dann die erste Registrierkassa in mein Geschäft.<br />

Es war ein großer Apparat, bei dem man die Zahlen<br />

noch mit Hebel einstellen und dann an einer Kurbel auf der<br />

Seite drehen musste. Das war zu einer Zeit, als in den meisten<br />

Haushalten noch nicht einmal ein Radio vorhanden war und die<br />

wenigen, die schon einen Fernseher besaßen, bei der Löwinger-<br />

Bühne Eintritt verlangten. Also ein richtiger Wunderapparat.<br />

Damals kam eine Mutter mit ihrem Sohn zum Einkaufen und<br />

ganz versteckt und verstohlen schaute mir der Kleine die ganze<br />

Zeit beim Arbeiten mit der Kassa und der Kurbel zu. Schließlich<br />

meinte er ganz verstohlen zu seiner Mutter: „Mami, dei Wabn<br />

tuat es Göld owimohln.“<br />

Viele Menschen hatten damals eine eher spärliche Schulbildung,<br />

das hat aber nicht geheißen, dass sie nicht trotzdem<br />

schlau waren. Ein ganz ein Wiffer war damals eher als geistig<br />

zurückgeblieben verschrien. Er war weit oben am Demmerkogel<br />

zuhause und in einem Frühling, auf den Hügeln war es<br />

schon warm, im Tal lag noch der Schnee, kam er mit einem<br />

Fliederstrauch daher. Er wusste, wie gern ich Blumen mag, und<br />

so bot er mir an, dass ich diesen für ein Glas Bier haben könnte.<br />

Ich roch dabei, freute mich darüber und frischte den Zweig<br />

gleich ein. Weil er eh eine arme Seele ist, dachte ich mir, ich<br />

geb ihm ein Krügerl für sein Geschenk. Dann musste ich kurz<br />

in das Lager und als ich zurückkam, war das Bier ausgetrunken,<br />

der Lotta fort und der Fliederstrauch ebenso. Ein einziges<br />

grünes Blatt schwamm noch in der Vase und später erfuhr ich,<br />

dass er damit nach Großklein ging und den Buschen der alten<br />

Frau Brolli nochmals verkaufte.<br />

Viele solcher Anekdoten habe ich im Laufe meines Arbeitslebens<br />

erlebt. Viele davon waren berührend und manche auch traurig.<br />

Man erzählte mir, wenn jemand krank war, wann ein Kind auf<br />

die Welt kam und wo eine Kuh gekalbt hat. Das alles beruhte<br />

auf Vertrauen, das zwischen mir und meinen Kunden herrschte.<br />

Später haben wir dann in Maierhof aufgehört und vor einigen<br />

Jahren habe ich mich dann auch aus Mantrach zurückgezogen.<br />

Heute bin ich eigentlich in Pension, aber ich lasse es mir<br />

nicht nehmen, nach wie vor im Geschäft mitzuhelfen. Aus<br />

Freude an den Menschen und aus Freude an meinem Beruf als<br />

Ladlschupferin."

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