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Zeit der Erinnerungen<br />

Erzählt von Rupert Partl<br />

Der gebürtige Bauernsohn wuchs in der Gemeinde Vogau<br />

auf und musste schon frühzeitig zum Kriegsdienst einrücken.<br />

Nach dem Krieg folgte die Gefangenschaft und erst 1947<br />

kehrte er in seine Heimat zurück. Hier dürfen wir Briefe, die er<br />

in den Kriegsjahren nachhause geschrieben hat, wiedergeben<br />

sowie seine Erinnerungen an das Weihnachtsfest von 1945.<br />

Diese Aufzeichnungen sind aus einer tiefen Sehnsucht nach<br />

den wesentlichen Dingen wie Gesundheit, Familie und Liebe<br />

entstanden und sollen uns daran erinnern, dass nicht alles in<br />

unserem Leben selbstverständlich ist.<br />

Feldpost: 8. 7. 1944<br />

Liebe Eltern und liebe Schwester!<br />

Mit Tränen in den Augen, trotzdem mit großer Freude, kann<br />

ich euch Lieben wieder schreiben. Was sich in der Zwischenzeit<br />

ereignet hat, kann ich nicht schreiben, wird man auch nicht<br />

erzählen können. Denn das bleibt ein Geheimnis für die, die<br />

mit dabei waren und durchgekommen sind. Waren 5mal<br />

eingekesselt und haben uns mit schwersten Kämpfen, ohne<br />

ein Auge zuzudrücken, 8 Tage überhaupt nichts zu essen, vor<br />

lauter Erschöpfung immer nur Sumpfwasser getrunken, herausgekämpft.<br />

Bei den Kämpfen hatten wir nur unser Leben retten<br />

können. Alles andere vernichtet und zurückgelassen. Wenn<br />

ihr nur hier werd, möchte ich Euch alle umarmen vor lauter<br />

Freude. Die Hoffnung hab ich ja nicht so schnell aufgegeben.<br />

Wo man dacht, nun ist wohl die letzte Stund, wenn die<br />

Kameraden gefallen sind und man stand allein. Es hieß. “Wer<br />

sich retten kann, der rette sich.“ Und so hatte mich diesmal<br />

der Schutzengel auch wieder rausgeführt. Das alles, was sich<br />

hier zugetragen hat, wird jedem in Erinnerung bleiben. Und<br />

niemand wird es je vergessen, was wir durchgemacht haben.<br />

Nun, liebe Eltern, möchte ich so gern nach Hause und euch<br />

alle wiedersehen. Aber ich weiß nicht, was aus uns werden soll.<br />

Wir suchen nun den Sammelplatz der Division, dort werden wir<br />

wohl Weiteres erfahren. Eine Erholung hätten wir alle nötig.<br />

Denn sind ja ganz heruntergekommen und schwach. Aber da<br />

hab ich wenig Hoffnung. Wenn ihr mich einmal gesehen hättet,<br />

ihr hättet nicht gewusst, dass das Euer Pertl ist. Aber wir sind<br />

froh, dass wir so durchgekommen sind. Schreiben könnt ihr,<br />

liebe Eltern, noch nicht, denn meine Einheit ist nicht mehr und<br />

ich muss erst warten, bis ich wieder eine neue habe und ich<br />

euch meine Anschrift mitteilen kann. Zum Schluss nun seid alle<br />

auf das Herzlichste gegrüßt, grüßt mir auch Seppl (Bruder) und<br />

lebt wohl. Euer Pertl<br />

Feldpost: 11. 7. 1944<br />

Meine lieben Eltern und Schwester!<br />

Vorerst sind alle recht herzlich gegrüßt und hoffe, dass ihr<br />

meinen ersten Brief inzwischen erhalten habt. Bin nun hier<br />

am Sammelplatz der Division angekommen. In der Nähe von<br />

Wolkowisk. Einige Kameraden von meiner Einheit sind auch<br />

hier, die sich auch durchschlagen konnten. Können es alle noch<br />

nicht fassen, dass wir durchgekommen sind. Vor lauter Freude,<br />

liebe Eltern, kann man weinen. Wir möchten nun alle gerne zu<br />

unseren Lieben in die Heimat. Aber die Hoffnung wird wohl<br />

vergebens sein. Nun, was aus uns werden soll, wissen wir nicht.<br />

Vielleicht kommen wir zur Infanterie. Macht euch keine Sorgen,<br />

ihr Lieben. Wir sind nur Einem den Tod schuldig, ob früher oder<br />

später. Es heißt halt leben oder sterben. Aber jede Kugel trifft<br />

nicht, sonst wäre ich schon länger nicht mehr hier. Auf Urlaub<br />

wäre ich wohl gerne gefahren. Für meinen Vater hatte ich<br />

schon sehr viele Zigaretten aufgespart. Auch der lieben Mutter<br />

und Christl wollte ich eine Freude machen. Hatte schon sehr<br />

viel Schokolade zusammengespart. Nun musste ich aber alles<br />

zurücklassen, nur das nackte Leben konnte ich retten. Mein<br />

Führerschein, mein Postsparbuch, meine Fotografien - alles ist<br />

weg. Das alles ist zu ersetzen. Kann ja froh sein, dass ich mit<br />

dem Leben durchgekommen bin. Es hat ja uns allen das gleiche<br />

Schicksal erreicht. Wo ist Seppl? Grüßt ihn vielleicht nochmals<br />

von mir und hoffe, dass es ihm besser gehen wird. Liebe Eltern,<br />

ihr könnt mir wieder schreiben, einstweilen die gleiche alte<br />

Anschrift. Hoffe, dass die Post ankommen wird. Zum Schluss<br />

sind alle herzlich gegrüßt. Lebt wohl, Euer Pertl. Viele Grüße an<br />

alle Verwandten und Bekannten.<br />

Weihnachten 1945 in russischer Kriegsgefangenschaft.<br />

Es war in einem Lager in der Ukraine, hier arbeiteten tausende<br />

Gefangene. Unsere Arbeitsgruppe war für den Bau einer Eisenbahnstrecke<br />

eingeteilt. Es war eine schwere Arbeit und es<br />

schneite heftig. Außerdem wurde es schon früh finster. Da<br />

sagte einer aus unserer Mitte: „Wisst ihr überhaupt, dass heute<br />

Heiliger Abend ist?“ Wir hatten natürlich keine Ahnung, für uns<br />

war jeder Tag gleich. Denn für uns gab es keine Sonntage und<br />

auch keine Feiertage. Unser Kamerad meinte: „Fragen wir doch<br />

den Posten, unseren Bewacher, ob wir etwas früher ins Lager<br />

gehen dürfen.“ Doch der Posten wies unsere Bitte ab, obwohl<br />

es schon dunkel war. Wir erklärten ihm, dass es für uns ein<br />

großer Tag sei, da doch heute Jesus geboren wurde. Aber unsere<br />

Bitten blieben ungehört. Endlich war es dann soweit, dass wir<br />

zurück in unser Lager gehen konnten. Wir waren bereits durch<br />

Schneefall und Kälte zu Schneemännern geworden. Im Lager<br />

angekommen, wurden wir gezählt, ob wohl alle da sind. Am<br />

Abend gab es noch ein kleines Stück Brot und eine Krautoder<br />

Kartoffelsuppe. Keine Kekse, Vanillekipferln oder Punschkrapferln.<br />

Ein jeder setzte sich auf seine Liegestätte und verzehrte<br />

die karge Mahlzeit. Es war Heiliger Abend und meine<br />

Gedanken waren bei meinen Eltern und Geschwistern. Hoffentlich<br />

sind sie alle zuhause und feiern einen bessern Heiligen<br />

Abend als ich.<br />

Meine Angehörigen wussten ja nicht einmal, ob ich noch am<br />

Leben war. Denn viele meiner Kameraden haben Weihnachten<br />

1945 nicht mehr erlebt. Nach den schrecklichen Erlebnissen<br />

des Krieges und der anschließenden Gefangenschaft kehrte ich<br />

Ende 1947 glücklich als letzter Heimkehrer unserer Gemeinde<br />

zurück in mein geliebtes Elternhaus und konnte alle meine Lieben<br />

umarmen. Dies war der schönste Tag und die darauffolgenden<br />

Weihnachten die schönsten in meinem Leben. Weihnachten ist<br />

ja auch ein Fest des Friedens und ich möchte alle Menschen<br />

bitten, sich immer für den Frieden einzusetzen.<br />

Verfasst von Rupert Partl

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