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Frankfurter Allgemeine Zeitung/ - Politik, Dom, 15 de Abril de 2012<br />
CLIPPING INTERNACIONAL (Verfassungsgericht)<br />
Harte Bretter Irrweg in der Krise<br />
Ein Begriff geistert durch die Kritik der deutschen<br />
Euro-Krisenpolitik: die „marktkonforme Demokratie“. Er<br />
wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)<br />
zugeschrieben und brachte es 2011 fast zum „Unwort<br />
des Jahres“. Die bemerkenswerte Begründung dafür<br />
war, die Wortverbindung „marktkonforme Demokratie“<br />
relativiere auf unzulässige Weise das Prinzip, dass<br />
Demokratie eine „absolute Norm“ sei. In diesem Sinne<br />
drehten die SPD und die Linkspartei die<br />
Wortverbindung einfach um und fordern seither flankiert durch Globalisierungskritiker und die<br />
„Occupy“-Bewegung - einen „demokratiekonformen<br />
Markt“.Den Ausdruck „marktkonforme Demokratie“ hat<br />
die Kanzlerin indessen nie benutzt. Anlässlich eines<br />
Besuchs des portugiesischen Ministerpräsidenten<br />
Pedro Passos Coelho im September 2011 sagte sie<br />
auf die Frage, ob sie um die Schlagkraft des<br />
Rettungsschirms fürchte, wenn der Bundestag und alle<br />
anderen <strong>na</strong>tio<strong>na</strong>len Parlamente in Europa bei<br />
wichtigen Entscheidungen vorab mitbestimmen wollen:<br />
„Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh<br />
darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie.<br />
Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des<br />
Parlaments. Insofern werden wir Wege finden, die<br />
parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten,<br />
dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass<br />
sich auf den Märkten die entsprechenden Sig<strong>na</strong>le<br />
ergeben.“Gemeint war also, dass sich der Bundestag<br />
mit Entscheidungen der Regierung, die den<br />
Rettungsschirm betreffen, so beschäftigt, dass die<br />
Absicht, nämlich eine Stabilisierung und Beruhigung<br />
der Märkte, nicht konterkariert wird. Das betraf und<br />
betrifft Schnelligkeit und Vertraulichkeit, also vor allem<br />
die Arbeit des dafür eingerichteten Ausschusses, der<br />
sich auf Rettungsmaß<strong>na</strong>hmen spezialisieren<br />
(“Neuner-Sondergremium“) und so schnell wie möglich<br />
- schneller und vertraulicher als das Plenum -<br />
Entscheidungen herbeiführen sollte, dann aber vom<br />
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.<br />
Februar verworfen wurde.Mit „marktkonform“ war also<br />
nicht etwa gemeint, dass die Demokratie zum Spielball<br />
der Märkte wird, sondern im Gegenteil, dass die Arbeit<br />
des Parlaments so ausgerichtet wird, dass sie die<br />
Möglichkeit hat, die Märkte überhaupt zu beeinflussen.<br />
Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen, da<br />
sich die CDU-Vorsitzende in einem großen Schwenk<br />
von ihrem Marktkonformismus zu Oppositionszeiten<br />
längst verabschiedet hatte.Im Oktober 2010 sagte die<br />
Kanzlerin etwa vor der IG Metall: „Ansonsten wird die<br />
Politik der Verantwortung nicht gerecht, den Märkten<br />
Leitplanken zu errichten. Das aber ist unser<br />
Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft. Sonst<br />
beherrschen die Märkte uns; und das wird nicht<br />
gutgehen.“ Oder davor, im Juni auf einem Kongress<br />
zur Fi<strong>na</strong>nzmarktregulierung: „Als Politiker müssen wir<br />
den Anspruch haben, dass wir den<br />
Gestaltungsrahmen setzen und dass wir nicht immer<br />
Getriebene von irgendwelchen Marktkräften<br />
sind.“Gerade weil aber Regierung und Parlament nicht<br />
Getriebene sein sollen, müssen ihre Entscheidungen<br />
„marktkonform“ sein - im Sinne einer Regulierung, die<br />
tatsächlich greift. Die Sätze der Kanzlerin wurden aber<br />
stattdessen ins Gegenteil verkehrt und als Symptome<br />
der „Postdemokratie“ interpretiert. Auch das ist ein<br />
Begriff, der durch die Kritik der Fi<strong>na</strong>nzmarktkrise<br />
geistert. Der britische Sozialwissenschaftler Colin<br />
Crouch prägte ihn 2004 durch sein gleich<strong>na</strong>miges<br />
Buch, dem er 2011 eine Fortsetzung widmete. Beide<br />
Bücher sind gegen den Neoliberalismus gerichtet, weil<br />
er den demokratischen Staat zum<br />
Selbstbedienungsladen von Wirtschafts- und<br />
Fi<strong>na</strong>nzeliten degradiere.Symbol dieses Niedergangs<br />
war für Crouch Silvio Berlusconi. Durch Politiker wie<br />
ihn droht Demokratie in Crouchs Sze<strong>na</strong>rio zur leeren<br />
Hülle zu degenerieren, in denen Berufspolitiker,<br />
Lobbyisten und Wirtschaftsverbände die Interessen<br />
von Konzernen bedienen, die Bürger hingegen durch<br />
Brot und Spiele abgespeist, die Ingredienzen der<br />
Volksherrschaft mithin nur noch vorgetäuscht werden.<br />
Die perfekte „marktkonforme Demokratie“? Crouch<br />
nennt die von ihm beschriebene Illusion von<br />
Demokratie gerade nicht „marktkonforme Demokratie“,<br />
weil sein Bild der Dekadenz auf eine Plutokratie<br />
hi<strong>na</strong>usläuft, in der die Regeln der Demokratie vor<br />
allem deshalb ausgehöhlt werden, weil auch die<br />
Regeln der Marktwirtschaft zugunsten weniger<br />
mächtiger Akteure außer Kraft gesetzt werden.Doch in<br />
der Kritik an der „marktkonformen Demokratie“ ist das<br />
noch nicht das letzte Missverständnis und noch nicht<br />
das größte. Denn die Kritik richtet sich eigentlich<br />
dagegen, dass Demokratie überhaupt für irgendetwas<br />
„konform“ sein müsse, und sieht in ihr deshalb jene<br />
anfangs erwähnte „absolute Norm“, die nicht relativiert<br />
werden dürfe. Doch Demokratie als Selbstzweck ist<br />
schon deshalb fragwürdig, weil nicht alles, was sich<br />
Demokratie nennt (und was nennt sich heutzutage<br />
nicht alles Demokratie?), auch tatsächlich im<br />
freiheitlichen Sinne „demokratisch“ sein<br />
muss.Gehorcht eine Demokratie gleichsam nur sich<br />
selbst, also dem Mehrheitswillen des Volkes, ist sie auf<br />
dem Weg, totalitär zu werden - und deshalb von einer<br />
gelenkten „Postdemokratie“ so weit nicht entfernt.<br />
Denn sie setzt den Gemeinwillen mit Volkes Wille<br />
immer und unkontrolliert gleich. In einer heterogenen<br />
und pluralistischen Gesellschaft, die den „Markt der<br />
Möglichkeiten“ für die politische Willensbildung<br />
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