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Frankfurter Allgemeine Zeitung/ - Politik, Dom, 01 de Abril de 2012<br />
CLIPPING INTERNACIONAL (Supreme Court)<br />
Obama spielt den Beleidigten<br />
Das Oberste Gericht Amerikas entscheidet über die<br />
Gesundheitsreform. Die fünf konservativen Richter<br />
werden als Vollstrecker der Republikaner hingestellt.<br />
Aber auch zwei Drittel der Amerikaner halten nichts<br />
von dem Mammutprojekt.<br />
Von Matthias Rüb<br />
Die Obersten Richter wissen es schon: Am Freitag<br />
haben die drei Frauen und sechs Männer im<br />
holzgetäfelten Konferenzraum des „Supreme Court“ in<br />
Washington ihre Entscheidung zur Gesundheitsreform<br />
gefällt. Aber sie werden die Nation und die Welt bis<br />
zum Ende der Sitzungsperiode des Obersten Gerichts<br />
im Juni warten lassen. In Washington sickern<br />
vertrauliche Informationen noch aus jedem Ministerium<br />
und zumal aus dem Weißen Haus an die Öffentlichkeit<br />
durch. Die Obersten Richter und ihre jeweils vier<br />
Assistenten aber nehmen ihren Schwur auf die<br />
Geheimhaltung ernst.<br />
Viele wollen aus dem Verlauf der dreitägigen<br />
Anhörungen herausgehört haben, dass die<br />
Gesundheitsreform vom „Supreme Court“ als im<br />
Ganzen oder zu Teilen verfassungswidrig verworfen<br />
wird. Tatsächlich stellten die fünf konservativen Richter<br />
dem Rechtsvertreter der Regierung so scharfe Fragen,<br />
dass an ihrer ablehnenden Haltung zum Kernstück der<br />
Reform kaum Zweifel bestehen können: Der mit einer<br />
Strafzahlung bewehrte Zwang zum Abschluss einer<br />
Krankenversicherung ist <strong>na</strong>ch ihrer Ansicht ein<br />
verfassungswidriger Übergriff der Regierung auf die<br />
Entscheidungsfreiheit des Bürgers. Die vier<br />
linksliberalen Richter sprangen Obamas<br />
Generalstaatsanwalt immer wieder bei, suchten sein<br />
mitunter unverständliches Gestammel in<br />
verfassungsrechtlich klare Argumente für die<br />
Gesundheitsreform zu übersetzen.<br />
Zwar gibt man sich im Weißen Haus weiter<br />
zuversichtlich, dass die Verfassungsrichter das<br />
wichtigste innenpolitische Vorhaben von Präsident<br />
Barack Obama nicht vollständig demontieren werden.<br />
Doch die Wahlkampfstrategen in seiner Demokratische<br />
Partei haben schon eine Taktik erarbeitet, wie sie eine<br />
mögliche Niederlage vor dem „Supreme Court“ im<br />
Wahlkampf ausschlachten wollen. Die fünf<br />
konservativen Richter sollen als Erfüllungsgehilfen der<br />
gierigen Versicherungswirtschaft und als Vollstrecker<br />
der Republikaner hingestellt werden. Mit diesem<br />
Argument wollen die Demokraten die „kleinen Leute“<br />
und die Parteisoldaten für die Präsidenten- und<br />
Kongresswahlen im November mobilisieren.<br />
Der „Supreme Court“ war und ist der Anwalt der<br />
Freiheit<br />
Es ist aber verlogen, den Be<strong>na</strong>chteiligten oder<br />
Beleidigten zu spielen, wenn das Oberste Gericht die<br />
Position des Gegners einnimmt. Als der „Supreme<br />
Court“ 2006 und 2008 der Regierung unter dem<br />
Republikaner George W. Bush die unbefristete<br />
Internierung von Terrorverdächtigen im<br />
Gefangenenlager Guantá<strong>na</strong>mo ohne Rechtsmittel für<br />
die Inhaftierten untersagte, applaudierten die meisten<br />
Demokraten noch. Doch was seinerzeit recht war,<br />
kann heute nicht unbillig sein: Der „Supreme Court“<br />
war und ist der Anwalt der Freiheit und der Rechte des<br />
Einzelnen im Kampf gegen die Machtanmaßung und<br />
Regulierungswut des Staates. Manchem Europäer,<br />
dem der Glaube an den wohltätigen „Vater Staat“ von<br />
der Wiege bis zur Bahre eingetrichtert wird, mag das<br />
Bekenntnis zum „wilden“ Individualismus fremd<br />
erscheinen. Es ist ihm fremd, weil es uramerikanisch<br />
ist.<br />
Präsident Obama kann für sich nicht in Anspruch<br />
nehmen, dass er mit der Gesundheitsreform die<br />
universalen Interessen „des Volkes“ gegen die<br />
vielgescholtenen Eigeninteressen „der Mächtigen“<br />
verteidigt hätte. Denn auch das Volk will die<br />
Mammutreform nicht. Eine Umfrage im Auftrag der<br />
„New York Times“ und eines Fernsehsenders hat<br />
jüngst ergeben, dass zwei Drittel der Amerikaner für<br />
eine vollständige oder teilweise Revision der<br />
Gesundheitsreform durch das Oberste Gericht sind.<br />
Immerhin 26 der 50 Bundesstaaten haben gegen die<br />
Gesundheitsreform geklagt. Kein einziger<br />
republikanischer Abgeordneter oder Se<strong>na</strong>tor hat für<br />
„Obamacare“ gestimmt. Selbst in Obamas eigener<br />
Partei sprechen sich nur 56 Prozent dafür aus. Das ist<br />
nicht gerade ein überzeugendes Mandat für eine<br />
Reform, deren Kosten die überparteilichen<br />
Rechnungsprüfer des Kongresses auf 1,76 Billionen<br />
Dollar für zehn Jahre veranschlagt haben - fast doppelt<br />
so hoch wie Obamas Schätzung von 900 Milliarden<br />
Dollar.<br />
Bisher besteht das innenpolitische Vermächtnis<br />
Obamas wesentlich aus dem Konjunkturpaket von<br />
2009 mit einem Umfang von k<strong>na</strong>pp 800 Milliarden<br />
Dollar. Doch die Arbeitslosenquote blieb nicht dank der<br />
schuldenfi<strong>na</strong>nzierten Investitionsspritze unter acht<br />
Prozent, sondern stieg auf über zehn. Und jetzt steht<br />
auch noch die Gesundheitsreform vor einer mehr als<br />
ungewissen Zukunft.<br />
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