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Süddeutsche Zeitung/ - Politik, Qui, 29 de Março de 2012<br />
CLIPPING INTERNACIONAL (Supreme Court)<br />
"Es droht die Tyrannei"<br />
Im Inneren des ehrwürdigen Supreme Courts geht es<br />
um die Rechtmäßigkeit der Gesundheitsreform, dem<br />
wichtigsten Gesetz von Präsident Obama. Die<br />
konservativen Richter zeigen deutlich ihre Skepsis -<br />
und draußen schreien Gegner und Befürworter von<br />
Obamacare ihre Slogans heraus. Sie buhlen um die<br />
Aufmerksamkeit der Jour<strong>na</strong>listen und versuchen hin<br />
und wieder auch, die Gegenseite zu überzeugen.<br />
Auf Europäer wirkt das faszinierend und befremdlich<br />
zugleich. Die Frage scheint Amy fast ein bisschen<br />
peinlich zu sein. "Du kannst bestimmt nicht verstehen,<br />
wieso wir Amerikaner über dieses Thema so sehr<br />
streiten, oder?", will die Studentin der George<br />
Washington University von mir wissen. Sie weiß, dass<br />
jeder Deutsche krankenversichert ist. Auf dem Plakat,<br />
mit dem sie vor das Gebäude des Obersten<br />
Gerichtshofs gekommen ist, steht geschrieben: "We<br />
are the only first world country where the working<br />
people are afraid of their medical bills. Fear isn't<br />
Freedom!"<br />
Amy hat sich mit Freunden verabredet, um den neun<br />
Richtern über die Medien zu zeigen, dass es viele<br />
Amerikaner gebe, welche die von Präsident Barack<br />
Obama durchgesetzte Gesundheitsreform<br />
unterstützen. Tim hält ein "I like Obamacare"-Plakat<br />
hoch: "Ich finde es aus moralischen Gründen falsch,<br />
dass nicht alle Bürger dieses Landes abgesichert<br />
sind", sagt er. Wie viele Studenten sorgt er sich darum,<br />
was <strong>na</strong>ch seinem Abschluss passiert: "Wenn ich<br />
keinen guten Job finde, kann ich mir keine<br />
Versicherung leisten und bin nicht mehr über meine<br />
Eltern abgesichert."<br />
Tim ist überzeugt, dass durch Obamacare der Staat<br />
weniger ausgeben muss: "Heute befinden sich<br />
mindestens 40 Millionen Amerikaner außerhalb des<br />
Systems. Wenn sie die Schmerzen nicht mehr<br />
aushalten, gehen sie in die Notauf<strong>na</strong>hme." Da die<br />
Armen keine Routineuntersuchungen erhalten, steigen<br />
die Behandlungskosten immens. Die Rechnungen<br />
müssen schließlich die Steuerzahler übernehmen.<br />
"Diese Leute ignorieren, dass sie auch heute schon für<br />
die anderen mitzahlen", meint Tim kopfschüttelnd und<br />
blickt zu einer Gruppe von Tea Party Patriots hinüber,<br />
die dank ihrer Megaphone nicht zu überhören ist.<br />
Auf den Schildern der 20 Aktivisten steht "No to<br />
Obamacare", "We will not comply" ("Wir werden nicht<br />
<strong>na</strong>chgeben") oder in Anspielung auf den neuesten<br />
Blockbuster "Obamacare is the real Hunger Game".<br />
Als ich mich im Windschatten einiger Fotografen<br />
nähere, recken viele ein Exemplar der US-Verfassung<br />
empor. "The constitution matters. The constitution<br />
matters", brüllt ein Mann mit Cowboyhut und<br />
Sonnenbrille ins Megaphon, hinter ihm wehen die<br />
Stars and Stripes sowie eine Fahne mit dem<br />
Tea-Party-Logo im Wind: Sie zeigt eine<br />
Klapperschlange vor gelbem Hintergrund und den<br />
Slogan "Don't tread on me".<br />
Nein, auf ihnen herumtrampeln möchte ich nicht,<br />
sondern nur ihre Argumente hören. "Zeigen Sie mir die<br />
Stelle in der Verfassung, in der steht, dass jeder<br />
Bürger eine Krankenversicherung braucht", ruft eine<br />
junge Tea-Party-Anhängerin einer Rentnerin zu, die<br />
sich aus dem Pro-Obamacare-Lager herübergetraut<br />
hat. Vor den Augen und Ohren der Medienvertreter<br />
entspinnt sich eine Diskussion. Die alte Dame<br />
argumentiert ähnlich wie die Studenten mit Appellen<br />
an Solidarität und Gerechtigkeit, doch die Gegnerin<br />
ruft nur: "Wenn die Richter ihnen das durchgehen<br />
lassen, dann droht die Tyrannei. Die Regierung wird<br />
dafür sorgen, dass wir nicht mehr aussprechen dürfen,<br />
was wir denken."<br />
Damit ist der Grundkonflikt gut beschrieben, dem die<br />
neun Richter unter Vorsitz von Chief Justice John<br />
Roberts (mehr über dessen herausgehobene Stellung<br />
in diesem SZ-Artikel) in der dreitägigen Anhörung<br />
<strong>na</strong>chspürten. Denn es geht nicht um die Frage, ob<br />
eine Krankenversicherungspflicht erstrebenswert wäre<br />
und das Leben von Millionen Amerikanern verbessern<br />
würde, sondern inwieweit die Regierung die Bürger<br />
zwingen darf, eine private insurance abzuschließen.<br />
"Was kann die Regierung noch alles machen?"<br />
Antonin Scalia, einer der Richter, formulierte in<br />
höflicheren Worten die Bedenken der krakeelenden<br />
Obamacare-Gegner: "Wenn die Bundesregierung das<br />
machen kann, was kann sie dann noch alles machen?"<br />
Um vor dem Staatszwang zu warnen, hällt ein<br />
Demonstrant ein Schild mit der Aufschrift "I don't like<br />
broccoli" in die Luft - Obamacare-Gegner möchten<br />
damit zum Ausdruck bringen, dass die Regierung die<br />
Amerikaner in einem nächsten Schritt zwingen könnte,<br />
das grüne Gemüse zu essen, um Krankheiten<br />
vorzubeugen. Die Vertreter der Obama-Regierung<br />
argumentieren, dass die Krankenversicherung ein<br />
"einmaliger Fall" sei - und die unversicherten<br />
Amerikaner bereits jetzt Teil des Systems seien, da die<br />
Kosten von der Allgemeinheit übernommen würden.<br />
Nach Ansicht von Rechtsexperten (mehr Infos in<br />
diesem SZ-Artikel) deuten die kritischen Fragen<br />
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