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Hashirigaki - Théâtre Vidy Lausanne

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Saison 2011-2012<strong>Hashirigaki</strong>De/ By/ Von Heiner GoebbelsFrankfurter Allgemeine Zeitung (DE)26.05.2001AgressionsfreiMoskau grüßt Heiner Goebbels:«<strong>Hashirigaki</strong>» begeisterte im Mossowjet-Theaterdas PublikumDer nächste Nachbar der Avantgardeist die Kinderzeichnung. Das minimalistischeDrei-Frauen-Musiktheaterstückvon Heiner Goebbels mit dem mystifizierendenTitel «<strong>Hashirigaki</strong>», von derheimischen Kritik mit gereizter Ratlosigkeitzur Kenntnis genommen, hat, inMoskau im Rahmen der «Theater-Olympiade»aufgeführt, ein für seine konservativenAnsichten bekanntes Publikumbezaubert. Die szenische Rezitation ausGertrude Steins repetitiver Prosa «Makingof Americans», verfremdete BeachBoy-Songs und elementare, exotischesowie elektronische Klänge erzeugtenfür die des Englischen kaum mächtigen,für mystische Wirkungen aber um soempfänglicheren Zuschauer einen meditativenKlangteppich. Sich jeglicheremotionaler Prätention enthaltend, trugdieser ein dankbares Publikum durchein aus Lichtprojektionen und schlichtenRequisiten mit leichter Hand skizziertesBilderalbum über die Normalexistenzdes modernen Homo sapiens.Ob die ausgefallenste Güter auf Nimmerwiedersehenverschlingende schwarzeKonsumwand der Eröffnungsszene,ob das von grellen Inspirationsblitzenimmer wieder ausgeblendete Wissensgekrakel,ob die priesterliche Transformationdes glühenden Becken-Herdesaus einem Elektroschockschrei oder dieBeschwörung und Zerstörung kultischerBilder in der Gestalt von Glocken undBronzespiegeln: Die durch kein dramaturgischesFeinschmeckertum belasteteMenge verfolgte das heiter-besinnlicheBühnengeschehen mit unvoreingenommenerAnteilnahme, gemahnte es dochin seiner unauflöslichen Rätselhaftigkeitan das Leben selbst - unter Abzug derAggressivität. Diese von dem Darstellerinnen-Triofern des in Rußland verachtetenFeminismus erzeugte weiblicheQualität weiß man in einer polaren Kultur,die von einem brutalen Alltag undutopischen Träumen geprägt ist, besonderszu schätzen. Es war anerkennendgemeint, als die Kritik das Stück an derGrenze zwischen Mary Poppins undAlice im Wunderland verortete.Die Traurigkeit der menschlichen Komödieerscheint in dieser mozarthaftenFernsicht auf das Erdentreiben homöopathischverdünnt. Der russische Bildungsbürger,geschult am nationalenDichteridol Puschkin, der seine Melancholietief in poetische Spielereien zuverstecken versteht, vernimmt sie aberdoch. Als Spur ertönt sie in der grellbuntkostümiert vorgetragenen Pop-Romanze,beinahe verlegen in der Abendeinsamkeitvor der Pappstadtkulisse.Und als im Entropie-Finale, da eineGeistesglühbirne aus ihrem kreisendenGitterkäfig Schattenspiele auf weißeWände wirft, die drei mit Balsamstimme«I wasn’t made for these times» intonieren,bleibt von ihr anmutige Gefaßtheitübrig, was manchem aufgeklärtenDeutschen allzu leichtgewichtig erscheinenmag, rührt im unzivilisierten Rußlandan selten in Schwingung versetzte, aberempfindsame Saiten.(Kerstin Holm)Kerstin Holm

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