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Hashirigaki - Théâtre Vidy Lausanne

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Saison 2011-2012<strong>Hashirigaki</strong>De/ By/ Von Heiner GoebbelsTheater Heute (DE)12.2000(Next)t Sounds».Sie übertragen aber auch ein bisschen dieStimmung des einen (maßlose Melancholie)auf die des anderen (aufgeräumt amerikanischeAnerkennung der Tatsachen), so dassman beide miteinander verwechseln kann.Oder die eine Stimmung für den Kern deranderen halten. Wer sich so in seine Melancholiefallen lassen kann und sie so bis zurNeigung kostet, dass er sie gestalten kann,wird vielleicht von einem - womöglich kalifornischen- Kokon der Bejahung geschützt.Wer derart musikalisiert und repetitiv seinepositiven Daten und Deskriptionen so ununterbrochenund unerschrocken durch seinestrengen Strukturellen nudelt, singt vielleichtnoch von etwas anderem. Wenn bei Goebbels’Stein immer wieder von «Little Ones»die Rede ist, wenn immer wieder die Optikeiner freundlichen, mildeamüsierten und auchaufmerksamen, ja sehr interessierten, dochunerschütterlichen Großtante eingenommenwird, bleibt auch immer etwas emotionalungeklärt. Diese Fröhlichkeit darüber, sich zudieser Wiederholung der Wiederholung desFaktischen durchgearbeitet zu haben! Wiedieser produktive Mangel der Stein-Textedann wiederum in den Hammerklavier- undXylophon-Geflechten der Beach Boys räsoniert,ist sehr beeindruckend. I know thisdistinction, it has real meaning, I am sayingit again and again and now I begin again witha description.Danach geht es aber richtig ins Innere. InsInnere des Hauses wie der Seelen. Dort istJapan. Die twomblysierende Krakel-Kalligraphieam Bühnenrücken gibt den Ton vor fürdie für meinen Geschmack etwas überpoetisiertePhase, die nun eine Weile vorherrschenwird. Tänze mit Kissen: vielleicht etwaszu weich und ohne räsonierendes Geräusch.Dass es durch die amerikanische Tür nachJapan geht, ist die eine, die andere Lesart die,dass es innen eben einfach japanisch zugeht.In uns, im Zentrum der Wilsonschen Melancholieebenso wie in dem der SteinschenPermutationen raschelt ein Haiku im Wind.Mit einer lakonischen Laute um die Wette. YumikoTanaka singt nun japanische Lieder undbegleitet sich auf einem japanischen Instrument.Von Lied wie Instrument wissen wir nur,dass sie traditionell sind. Natürlich sind auchdies «Pet Sounds» - eine japanische Traditionüberdies, jeden größeren Garten Kyotos sozu gestalten, dass noch die herabfallendenTropfen eines Zierflüsschens zart auf einemMoos landen, welches sie weich auffängtund dann ein ebensolches, aber doch ganzbestimmtes und wohl kalkuliertes Geräuschergibt.Gewaltlos wird der Raum wieder etwas robustergemacht. Bald sind die drei wieder einmusizierendes Trio. In der Mitte wird ein Thereminbeschworen. Dieses sehr frühe elektronischeInstrument, von dem gleichnamigenrussischen Physiker erfunden, dessen Doppelagenten-Lebenzwischen Stalin, CIA, KGBund Synthesizer-Erfinden vor ein paar Jahrenin einem bemerkenswerten Dokumentarfilmbeschrieben wurde, passt natürlich ins Zentrumder Bühne wie des Stücks ganz besondersgut, weil es ohne eine direkte Berührunggespielt wird. Die Musikerin spielt das Gerät,indem sie ihre Hand oder andere Körperteilein der Nähe des elektronischen Instrumentsbewegt. Natürlich ist es das ideale Instrumenteines jeden expressiven Performers oderTänzers, aber kaum jemand bringt etwasanderes hervor als mehr oder weniger zufälligeSound-Effekte. Eigentlich konnte nur dievor zwei Jahren verstorbene russisch-amerikanischeViolinistin Clara Rockmore auf demTheremin eine Partitur umsetzen. Als dasTheremin vor dem zweiten Weltkrieg so eineArt futuristisch musikalische Jahrmarkts-Attraktionwar, gab es öffentliche Vorführungenseiner Wirkung, bei denen meistens attraktiveFrauen die Klangerzeugung demonstrierenmussten.Bevor das Gerät in den 90ern wieder in Modegeriet, waren es natürlich auch wieder nur dieBeach Boys, die es für einen entscheidenden,sirenenartigen Sound-Effect in «Good Vibrations»einsetzten. Bei «<strong>Hashirigaki</strong>» gerät dasTheremin-Gefuchtel zu einer Hände-Performanceim großen Stil. Die Luft walken undkneten, streicheln und halten - für Männerhändeviel zu schade. So gelungen diesePerformance für sich war, so sehr zeigte sichin ihr dann doch das Problem eines amüsierten,nun aber generellen und nicht mehr spezifischSteinschen Großtanten-Blicks auf das,was die Ladies so tun, wenn sie allein sind.Auch wenn es sonst dem Stück immer gelingt,auf sehr angenehme, entschiedene, aberleichte Weise jeder Lesart einer geschlechtsessentialistischenFrauenverkitschung alsStreichel- und Haushaltsexpertinnen desInnen den Boden zu entziehen. So rutscht eszuweilen doch auch in ein arg süßes Lob derschönen weiblichen Seele, zumal auch dieleichte Ironie, mit der die Performerinnen zuWerke gehen, sich auf kein erkennbares - zuironisierendes - Gegenüber bezieht. In ihrerUnbestimmtheit wird sie affirmativ.Zeit vergeht. Jetzt sind die drei wiederganz den Klängen der Beach Boys, beziehungsweisedes von Brian Wilson arrangiertenOrchesters ausgesetzt. Eine Stadtaus kleinen Papp-Häusern, dann eine Bushaltestelle.Häuser werden von Händenhingestellt, arrangiert. Der große Papp-Buskommt, nimmt mit, bringt zurück. Die Performerinnensprechen wieder Stein-Texteoder singen Original-Beach-Boys-Gesangspartsmit charmant unterschiedlichem Erfolg.Diese Konfrontation der Stein-Texte mit demBeach-Boys-Backing klingt nun fast wie eineneuere Robert-Ashley-Oper («Your Money MyLife Goodbye» zum Beispiel). Allerdings wieeine Version, bei der das britische Trio St.Etienne mitgemacht hätte. Man muss nunöfters an andere, eigentlich von einanderentfernte, nun aber viel näher gerückte Performer,Pop-Bands und Poeten denken. DerZusammenhang zwischen Beach Boys undStein, zwischen Pazifik und Paris hat offenbarnoch für anderes Platz. Man stellt sich gernvor, dass da, wo sie dieses Stück herhaben,es noch mehr davon gibt. Trotzdem war esnicht die Versöhnung zweier Welten, sondernein Einblick in ein nettes Zimmer, das bei allerVertrautheit auch ganz unbekannt war.Die einzige Gefahr - in diesem Text wie inder Inszenierung, die er beschreibt - bestanddarin, diese Zimmer-Utopie ein bisschen zuverklären.(Dietrich Diederichsen)Dietrich Diederichsen

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