The First Class of Fulbrighters - Fulbright-Kommission

Das Athen von Ohio
von Manfred Kulessa
OB DER ALTE SENATOR JEMALS
GEWUSST HAT, dass sein Name für uns ein gutes
Omen war? Das Fulbright-Jahr 1953-54 lebt in meiner
Erinnerung in der Tat als eine Zeit der Öffnung neuer Horizonte
voller Helligkeit. Das fing schon mit dem flotten und
gewinnenden management von Heinrich Pfeiffer an und setzte
sich während des ganzen Jahres in den USA fort. Nach der
Enge der Flüchlings- und Nachkriegszeit war das eine
befreiende und motivierende Erfahrung.
Ohio University in Athens: eine kleine Hochschule in
einer Stadt, die fast nur aus einem Campus bestand. Man
fand sich dort bald zurecht und sah sich sofort in das aktive
college-Leben einbezogen. Als special student ohne Abschlussambitionen
konnte ich meinen Studienplan ganz nach eigenen
Bildungsinteressen gestalten. So belegte ich vor allen
Dingen Vorlesungen und Seminare, die sich mit amerikanischer
Politik und Kultur befassten. Der Bogen reichte von
dem Studium der US-Verfassung und der Geschichte des
Wolkenkratzers bis zur Interpretation von T.S. Eliots „Vier
Quartetten“, die mich viele Jahre begleitet haben.
Erst später stellte sich heraus, dass zwei Hochschullehrer
sozusagen vom Rande her entscheidend prägenden Einfluss
hatten. John F. Cady war ein „old Asia hand“ von solidem
Kaliber. Ihm verdanke ich die Asien-Orientierung, die mich
ein ganzes Leben lang begleitet hat. Mein paper über ein
Indonesienthema gefiel ihm, und ich fand mich in sein Seminar
einbezogen. Damals besuchte uns z.B. Ngo Dinh Diem,
um sich als Hoffnungsträger vorzustellen, was ihm auch
gelang – bei allen außer unserem vietnamesischen Kommilitonen
Le Tuan Anh. Jedenfalls wurde bei Cady die Zeitgeschichte
Südostasiens faszinierend konkret und lebendig.
Dagegen wusste Leonard Pinsky, ein junger Philosoph
und mitreißend gescheiter Intellektueller, seinen Freundeskreis
auf soziale Fragen der unmittelbaren Umwelt
hinzuweisen. So besuchte er mit uns Hotels, Restaurants
oder Friseursalons, um das manifeste Übel zu diskutieren,
dass Schwarze (selbst in einem Nordstaat und eindeutig verfassungswidrig)
dort nicht bedient wurden – auch nicht
unsere Kommilitonen oder ihre Eltern. Für mich war das
eine unvergessliche Einführung in die friedliche Menschenrechtsarbeit,
wenn auch leider mit wenig unmittelbarem
Erfolg: Die Lokale blieben den Schwarzen verschlossen, und
Pinskys Berufung wurde nicht erneuert. (Ich vermute übrigens,
dass ich seinetwegen der einzige ausländische Student
blieb, der dem konservativen Vice Chancellor nicht
vorgestellt wurde.)
IM ÜBRIGEN fühlte ich mich gut aufgenommen,
ständig von Mitstudenten und Dozenten eingeladen, häufig
auch nach Hause zu den Eltern oder zu Ausflügen. Diese
Leute in Ohio, meist wohlmeinende Mittelständler, begegneten
mir freundlich und aufmerksam. Ich hatte immer das
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Dr. Manfred Kulessa wurde im 1932 geboren. Er
machte 1951 in Wetzlar Abitur und studierte Jura
und Geschichte in Marburg, Ohio University in Athens
(Fulbright-Jahr), und Frankfurt am Main. Er promovierte
zum Dr. jur. mir einer rechtshistorischen Dissertation.
Seine Tätigkeiten sind in den Bereichen Studentenförderung,
akademischem Austausch, und
Ökumene und Entwicklungszusammenarbeit u.a. Er
war Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes,
Direktor im Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen und arbeitete in Indien, Türkei, Nepal, New
York und China. Danach engagierte er sich ein Management.
Er war als Dozent (St. Gallen) und
Gutachter und Berater von VN und Regierungen tätig.
Zur Zeit ist Kulessa Honorarkonsul von Bhutan. Er
ist verheiratet und hat drei Kinder.
Gefühl, beliebt und geschätzt zu sein. Als am Beginn des
Winters deutlich wurde, dass ich keine warme Kleidung
hatte, ließ mir ein besorgter Freund anonym einen Kamelhaarmantel
zuschicken. Ich weiß bis heute nicht, wer sich
damals mit dieser liebevollen Geste als mein Nächster
bekannt hat.
Außerdem gab es viel Unterhaltung, auch den prom, den
ich mit einer reizenden Griechin besuchte, und dann natürlich
den Sport. Ich trainierte alles mögliche und unmögliche,
gewann Hochschulmeisterschaften in Tischtennis und
Schach, und als Deutscher musste ich natürlich auch in der
Fußballmannschaft mitspielen, was mit Reisen zu den
anderen 14 Hochschulen des Landes verbunden war. Mit
manchen Freunden blieb ich lange in Kontakt, einige haben
mich später sogar in Deutschland besucht.
AM ENDE HAT MIR DIE WELTGESCHICHTE
NOCH FAST EINEN BÖSEN STREICH GESPIELT.
Im Vertrauen auf einen Ferienjob an der Westküste hatte ich
mich für ein Sommerlager in Kalifornien angemeldet. Als
das vorbei war, stellte sich heraus, dass mit dem Koreakrieg
auch der Boom zu Ende gegangen war und keine Jobs zu
finden waren. Mir aber fehlte das Geld für die Rückreise
nach New York. Die Rettung kam in letzter Minute und
ganz unamerikanisch vom Arbeitsamt: Im Archivkeller der
Bank of America durfte ich fünf Wochen an einer Studie
mitarbeiten. Das reichte, zusammen mit dem Verkauf von
Kamera und Fußballschuhen, noch gerade für einen Mitfahrerplatz
im Studentenauto. So schaffte ich doch noch den
Anschluss an ‚SS Constitution‘ und die Rückkehr in die alte
Heimat.