journal of european integration history revue d'histoire de l ...

Das Post- und Fernmeldewesen im europäischen Integrationsprozess 97
den Gemeinsamen Markt analysierte und eine Stellungnahme zum französischen
Memorandum verfasste. Der Regierungsausschuss übernahm in seinem Abschlussbericht
vom April 1956, dem „Spaak-Bericht“, die Stellungnahme und empfahl die
baldige Gründung eines engeren Postvereins. In der Empfehlung lassen sich deutliche
Spuren der Integrationsvorstellungen der Verwaltungen ausmachen: Prinzipiell
sollte der Postverein allen europäischen Verwaltungen offen stehen und
autonom arbeitende Verwaltungsorgane besitzen, deren Aufgabenbereiche die
Vereinheitlichung und Vereinfachung der PTT-Dienste umfassen sollte. 14 Der
belgische PTT-Minister hatte hingegen im Unterausschuss die sofortige Gründung
eines engeren Postvereins unter den Mitgliedstaaten der EGKS vorgeschlagen,
stieß aber auf eine mehrheitliche Ablehnung von Seiten der Verwaltungen. 15
3.2 Europarat
In seinem an die Beratende Versammlung des Europarats gerichteten Memorandum
regte Bonnefous im Juli 1955 die Gründung einer intergouvernementalen
PTT-Organisation nach dem Vorbild der „Europäischen Konferenz der Verkehrsminister“
(CEMT) an. 16 Nach eingehender Prüfung durch den Wirtschaftsausschuss,
die Beratende Versammlung und das Ministerkomitee wurde am 4. Mai
1957 das Memorandum Bonnefous’ als Empfehlung Nr.143 ausgesprochen. In den
folgenden Monaten demonstrierte der Europarat mehrfach sein Interesse, indem er
die Mitgliedstaaten aufforderte, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und die
Gründung der „Europäischen Konferenz der Minister für das Post- und Fernmeldewesen“
zu forcieren. 17
Für den Meinungsumschwung im Ministerkomitee seit 1953 sind im Wesentlichen
zwei Gründe anzuführen. Einerseits nahm der Europarat die eigenen Integrationsbestrebungen
im PTT-Wesen und die der sechs EGKS-Staaten als einen
innereuropäischen institutionellen Wettbewerb wahr, bei dem er sich behaupten
wollte. Andererseits brauchten die integrationsunwilligen Mitgliedsregierungen des
Europarats nicht länger von ihrem Vetorecht im Ministerkomitee Gebrauch zu
machen, da die angestrebte PTT-Konferenz keine Mitgliedschaft der Europaratsländer
einforderte.
3.3Inhaltliche Ziele und organisatorische Leitbilder der zentralen Akteure
Die Regierungen der sechs EWG-Staaten forderten eine im organisatorischen
Rahmen der EWG verankerte „institutionell-gouvernementale“ Integration, deren
Ziel ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes sein
14. Ibid.
15. Vgl.: BArch Koblenz, B257/342.
16. Vgl.: Europarat Doc. AS (7) PV 9. bzw. A GEERLING, op.cit., S.174-217.
17. Vgl.: BArch Koblenz, B257/25188.