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110 Christian Franke und 101 73 des EWG-Vertrages der Rat eine Postgebührenrichtlinie zu erlassen befugt sei. Die Kommission ging diese Aufgaben zügig an, erhoffte sie sich doch eine langfristige Sicherung von Richtlinienkompetenzen im Bereich des PTT-Wesens. Bereits im April 1965 legte eine Sachverständigengruppe 74 der Generaldirektion Wettbewerb den Entwurf einer Postgebührenrichtlinie (Briefporto für kleinere Sendungen) vor, in der sich die langfristigen Kompetenzbestrebungen der Kommission deutlich wiederspiegeln: So sollte bei veränderten Kostenstrukturen der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit eine neue Richtlinie zur Anpassung der Gebühren erlassen können. Zwei Monate später wurde dem Rat der Richtlinienvorschlag offiziell vorgelegt. Unter allen Mitgliedstaaten lösten der Prüfbericht und die Postgebührenrichtlinie eine umfassende Diskussion aus, bei der die beteiligten Akteure unterschiedliche Positionen einnahmen. Prinzipiell befürworteten die Regierungen die Aktivitäten der EWG, solange deren inhaltliche Ziele ein Beitrag zum Gemeinsamen Markt sein sollten und sie die Idee der europäischen Integration stärkten. Sie sprachen sich jedoch gegen eine Anwendung des Artikels 100 aus, da sie dem Rat und der Kommission unerwünschte Richtlinienkompetenzen zugesprochen hätte. Nur die PTT-Minister aus Frankreich, Belgien und Italien unterstützten weitere Integrationsmaßnahmen der EWG, betonten aber sehr nachdrücklich ihre Forderung nach deren „institutionell-ministeriellem“ Charakter. Sie wollten weder eine Beteiligung anderer Ministerien noch der Kommission bei Entscheidungen akzeptieren. In Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg hingegen begrüßten die zuständigen Minister die Integrationsbemühungen im Rahmen der EWG nur bedingt. Sie erkannten durchaus, dass sich das PTT-Wesen aus einer „harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft” 75 nicht ausklammern lasse. Gleichzeitig wiesen sie aber darauf hin, dass „das PTT-Wesen heutzutage weltweiter Natur ist und mit der CEPT bereits ein engerer Verein für den Gesamtbereich Westeuropa“ bestünde. 76 Sie empfahlen daher den Rat der PTT-Minister der EWG nur dann aktiv werden zu lassen, wenn Regelungen auf breiter Basis nicht erforderlich oder erreichbar wären. Schließlich hatten die Verwaltungen die Notwendigkeit einer „institutionell-ministeriellen“ Weiterentwicklung ihrer Zusammenarbeit erkannt, wollten diese aber als ein 73. Art.101 im EWG-Vertrag vom 25. März 1957 [Behandlung von den Wettbewerb verfälschenden Vorschriften]: (1) Ist zu befürchten, daß der Erlaß oder die Änderung einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift eine Verzerrung im Sinne des Artikels 100 verursacht, so setzt sich der Mitgliedstaat, der diese Maßnahme beabsichtigt, mit der Kommission ins Benehmen. Diese empfiehlt nach Beratung mit den Mitgliedstaaten den beteiligten Staaten die zur Vermeidung dieser Verzerrung geeigneten Maßnahmen. (2) Kommt der Staat, der innerstaatliche Vorschriften erlassen oder ändern will, der an ihn gerichteten Empfehlung der Kommission nicht nach, so kann nicht gemäß Artikel 100 verlangt werden, daß die anderen Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften ändern, um die Verzerrung zu beseitigen. Verursacht ein Mitgliedstaat, der die Empfehlung der Kommission außer acht läßt, eine Verzerrung lediglich zu seinem eigenen Nachteil, so findet Artikel 100 keine Anwendung. 74. Vgl.: Sitzungsberichte der Sachverständigengruppe. BArch Koblenz, B257/34482. 75. Vgl.: Art.2 Vertrag über die Gründung der EWG vom 25.3.1957. 76. Bundespostminister Stücklen in einem Brief an seine Kabinettskollegen im Januar 1965. Vgl.: BArch Koblenz, B257/10566.

Das Post- und Fernmeldewesen im europäischen Integrationsprozess 111 Komplement zur CEPT realisiert sehen. Sofern überhaupt Absprachen zwischen den sechs Ministern notwendig seien, bevorzugten die Verwaltungen es, diese außerhalb der EWG-Institutionen durchzuführen. Insbesondere sollten dem Rat und der Kommission keinerlei Kompetenzen in PTT-Angelegenheiten zufallen. Hinsichtlich der Postgebührenrichtlinie scheiterten die Bemühungen der Generaldirektion ‚Wettbewerb’ und der nationalen PTT-Ministerien nach über zweieinhalbjähriger Diskussion am einheitlichen Widerstand der Verwaltungen. Diese bewerteten Beschlüsse über Einheitsgebühren als verfrüht und verwiesen auf Arbeiten der CEPT, 77 nach denen vor einer umfassenden Gebührenangleichung zuerst eine Harmonisierung der nationalen Dienstleistungen und Kostenstrukturen, d.h. eine einheitliche Posthaushaltspolitik, erfolgen müsse. 78 Im Rahmen einer gemischten Studiengruppe mit der Kommission über die wirtschaftlichen Folgen einer Postgebührenrichtlinie verzögerten die Verwaltungen die Beratungen hierüber bis in den November 1967, indem sie sehr langsam und nur separat mit der Generaldirektion ‚Wettbewerb’ die Richtlinien diskutierten, sich untereinander aber zügig und permanent über ihr Vorgehen absprachen. 79 Die Verwaltungen beriefen sich bei ihrer Argumentation geschickt auf den EWG-Vertrag. Sie bezweifelten zunächst die Zuständigkeit der Gemeinschaft nach Art.100 und 101, da die von ihnen erbrachten Leistungen in den Bereichen der Post und des Fernmeldewesens untereinander nicht vergleichbar wären. Zudem sahen sie es als nicht hinreichend geklärt an, ob die Leistungen der PTT-Dienste überhaupt eine Dienstleistung nach Art.3 wären. Der Generaldirektion ‚Wettbewerb’ fehlten die notwendigen Sachkenntnisse, um der Argumentation der Verwaltungen begegnen zu können und so ergab die Studie, dass die Postgebührenrichtlinie ohne eine einheitliche Posthaushaltspolitik zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. In der allgemeinen Frage weiterer Integrationsschritte sah sich die Kommission einer breiten Front aus Verwaltungen, Ministerien und Regierungen gegenüber gestellt, die weder der Kommission noch dem Rat weitreichende Richtlinienkompetenzen zusprechen wollte. Die PTT-Minister hatten weitere Integrationsschritte ohnehin von deren inhaltlicher Schwerpunktsetzung abhängig gemacht und als einzigen Inhalt die einheitliche Gebührenpolitik genannt. Ohne konkrete Fortschritte in dieser Frage waren weitere Integrationsmaßnahmen für sie ausgeschlossen. Angesichts der politischen EWG-Krise wünschten die Regierungen jedoch keine Diskussion um Rechtsangleichungsproblematiken, so dass weitere Integrationsbestrebungen der EWG vorerst scheiterten. 80 77. Vgl.: E. KUHN, S.261. 78. Vgl.: CEPT (Hrsg.), 25 ème Anniversaire 1984, Montreux, 1984. 79. Vgl.: BArch Koblenz, B257/6880. 80. Vgl.: Ressortbesprechung vom 16.1.1965. BArch Koblenz, B257/6879.

110<br />

Christian Franke<br />

und 101 73 <strong>de</strong>s EWG-Vertrages <strong>de</strong>r Rat eine Postgebührenrichtlinie zu erlassen<br />

befugt sei. Die Kommission ging diese Aufgaben zügig an, erh<strong>of</strong>fte sie sich doch<br />

eine langfristige Sicherung von Richtlinienkompetenzen im Bereich <strong>de</strong>s<br />

PTT-Wesens. Bereits im April 1965 legte eine Sachverständigengruppe 74 <strong>de</strong>r Generaldirektion<br />

Wettbewerb <strong>de</strong>n Entwurf einer Postgebührenrichtlinie (Briefporto für<br />

kleinere Sendungen) vor, in <strong>de</strong>r sich die langfristigen Kompetenzbestrebungen <strong>de</strong>r<br />

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<strong>de</strong>r Rat auf Vorschlag <strong>de</strong>r Kommission mit qualifizierter Mehrheit eine neue Richtlinie<br />

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<strong>de</strong>m Rat <strong>de</strong>r Richtlinienvorschlag <strong>of</strong>fiziell vorgelegt.<br />

Unter allen Mitgliedstaaten lösten <strong>de</strong>r Prüfbericht und die Postgebührenrichtlinie<br />

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jedoch gegen eine Anwendung <strong>de</strong>s Artikels 100 aus, da sie <strong>de</strong>m Rat und <strong>de</strong>r Kommission<br />

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sie aber darauf hin, dass „das PTT-Wesen heutzutage weltweiter Natur ist und mit <strong>de</strong>r<br />

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empfahlen daher <strong>de</strong>n Rat <strong>de</strong>r PTT-Minister <strong>de</strong>r EWG nur dann aktiv wer<strong>de</strong>n zu<br />

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Schließlich hatten die Verwaltungen die Notwendigkeit einer „institutionell-ministeriellen“<br />

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73. Art.101 im EWG-Vertrag vom 25. März 1957 [Behandlung von <strong>de</strong>n Wettbewerb verfälschen<strong>de</strong>n Vorschriften]:<br />

(1) Ist zu befürchten, daß <strong>de</strong>r Erlaß o<strong>de</strong>r die Än<strong>de</strong>rung einer Rechts- o<strong>de</strong>r Verwaltungsvorschrift<br />

eine Verzerrung im Sinne <strong>de</strong>s Artikels 100 verursacht, so setzt sich <strong>de</strong>r Mitgliedstaat, <strong>de</strong>r diese<br />

Maßnahme beabsichtigt, mit <strong>de</strong>r Kommission ins Benehmen. Diese empfiehlt nach Beratung mit <strong>de</strong>n<br />

Mitgliedstaaten <strong>de</strong>n beteiligten Staaten die zur Vermeidung dieser Verzerrung geeigneten Maßnahmen.<br />

(2) Kommt <strong>de</strong>r Staat, <strong>de</strong>r innerstaatliche Vorschriften erlassen o<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rn will, <strong>de</strong>r an ihn gerichteten<br />

Empfehlung <strong>de</strong>r Kommission nicht nach, so kann nicht gemäß Artikel 100 verlangt wer<strong>de</strong>n, daß die an<strong>de</strong>ren<br />

Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Vorschriften än<strong>de</strong>rn, um die Verzerrung zu beseitigen. Verursacht<br />

ein Mitgliedstaat, <strong>de</strong>r die Empfehlung <strong>de</strong>r Kommission außer acht läßt, eine Verzerrung lediglich<br />

zu seinem eigenen Nachteil, so fin<strong>de</strong>t Artikel 100 keine Anwendung.<br />

74. Vgl.: Sitzungsberichte <strong>de</strong>r Sachverständigengruppe. BArch Koblenz, B257/34482.<br />

75. Vgl.: Art.2 Vertrag über die Gründung <strong>de</strong>r EWG vom 25.3.1957.<br />

76. Bun<strong>de</strong>spostminister Stücklen in einem Brief an seine Kabinettskollegen im Januar 1965. Vgl.:<br />

BArch Koblenz, B257/10566.

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