journal of european integration history revue d'histoire de l ...

Das Post- und Fernmeldewesen im europäischen Integrationsprozess 103
Ministeriumsvertreter, die weitere Verhandlungen ausschließlich auf Ministerebene
forderten, setzten die Konferenzteilnehmer die Bildung einer paritätisch aus
Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der EWG zusammengesetzten achtköpfigen
Studiengruppe der Verwaltungen durch. 37 Diese erhielt den Auftrag, die
Grundlagen und Verfahren für eine flexible, weitreichende und politisch
ungebundene Organisation zu überprüfen und geeignete Vorschläge für deren
Institutionalisierung zu erarbeiten, die die nationalen Verwaltungen nicht mit hohen
finanziellen Kosten belasten und allen Verwaltungen Europas offen stehen sollte. 38
Somit wurde erstmals seit Beginn der europäischen Integrationsbemühungen im
PTT-Wesen die Option einer „funktionell-administrativen“ Organisation ohne
politische Verankerung durch ein europäisches Forum in Erwägung gezogen.
Die Verwaltungen und Ministerien aus der Schweiz und Großbritannien
versuchten, unter den geänderten Vorzeichen, die Mitglieder der Nordischen Union
für die Mitarbeit in der Studienkommission gewinnen zu können, die für ihre
Konzeption eine Schlüsselposition einnahmen: Erstens konnte mit ihnen ein
Gegengewicht zu den befürchteten weitgehenden Forderungen einzelner
EWG-Mitglieder gebildet werden, zweitens waren sie für ein kompaktes
europäisches Auftreten in den globalen Organisationen notwendig und drittens
konnte nur eine mitgliederstarke europäische Organisation eine Alternative zur
EGPF bilden. 39
Die Regierungen der nordischen Staaten kalkulierten ihre Position neu, da sie aus
politischen Überlegungen heraus, den Willen zur Mitarbeit in einer europäischen
Organisation demonstrieren mussten, an der sich sogar die Schweiz beteiligen wollte.
Sie wiesen deshalb ihre Verwaltungen an, einen Beobachter der Nordischen Postunion
in die Studiengruppe zu entsenden. 40 Großbritannien und die Schweiz, die ebenfalls in
der Studiengruppe vertreten waren, begrüßten diesen Entschluss, übten aber Kritik am
geplanten Beobachterstatus. Sie benötigten im Falle einer kontroversen
Abstimmungssituation die nordischen Stimmen für eine politisch ungebundene und
ausschließlich „funktionell-administrative“ Organisation. Schließlich ließen sich die
Nordischen Verwaltungen nach informellen Gesprächen in London auf einen
Kompromiss ein: Sie schickten eine stimmberechtigte Delegation, die aber keine
verbindlichen Zusagen abgeben durfte. Die nordischen Länder fürchteten weiterhin
politische Hintergründe und vermuteten, dass die Bildung einer PTT-Organisation nur
ein Puzzelstück auf dem Weg zur Gründung der Vereinigten Staaten von Europa sei. 41
37. Vgl.: BArch Koblenz, B257/25189.
38. Vgl.: F. KOLLER, Die Entstehungsgeschichte der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für
das Post- und Fernmeldewesen, in: Archiv für das Post- und Fernmeldewesen, 4 (1960),
S.237-275.
39. Vgl.: Sveriges Riksarkiv (Arninge), Televerket, Ekonomibyrån 1916-1967, F VI bg:1.
40. Vgl.: H. HEIMBÜRGER, op.cit.
41. Vgl.: Geheimes Tagungsprotokoll eines außerordentlichen Treffens der Mitgliedsverwaltungen
der Nordischen Postunion am 22.4.1959 in Stockholm. Sveriges Riksarkiv (Arninge), Televerket,
Ekonomibyrån 1916-1967, F VI bg:2.