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26 Milène Wegmann einem bestimmten Programm hervorgegangen. Die Forderung, die vorgesehene Föderation müsse eine liberale Außenwirtschaftspolitik annehmen, dürfte von den neoliberalen Diskussionsteilnehmern eingebracht worden sein. 58 Während des Zweiten Weltkrieges sind Beziehungen zwischen den britischen (Robbins, von Hayek), italienischen (Einaudi), deutschen bzw. schweizerischen (Röpke, Rappard), französischen (Rueff, Baudin) und spanischen (de Madariaga) neoliberalen Föderalisten nachweisbar, teils durch die FU, teils durch den MFE vermittelt, teils aber auch außerhalb dieser Strukturen. 3.1. Das Verhältnis der Wirtschaftsverfassung und der politischen Strukturen einer Staatenföderation Der durch von Hayek noch vor Kriegsbeginn ausführlich dargelegte Zusammenhang zwischen den Wirtschaftsformen und den politischen Strukturen einer Staatenföderation gewann in den Arbeiten seiner neoliberalen Kollegen in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und Italien große Bedeutung, nachdem sich für die Liberalen die Frage der wirtschaftlichen Neuordnung nach dem Krieg und der Wiedererrichtung liberaler politischer Strukturen auf nationaler und internationaler Ebene stellte. Die These, daß die Wirtschaftsverfassung und die politischen Strukturen in einer Staatenföderation wie auf der Ebene des Nationalstaates in einem strengen Zuordnungsverhältnis stünden, wurde von Röpke 1944 in eine griffige Formulierung gefaßt: Die Antithese zwischen Marktwirtschaft und Kollektivismus setzte sich auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in die Antithese zwischen Weltwirtschaft und kollektivistischer Großraumwirtschaft um. “Weltwirtschaft ist nichts anderes als die marktwirtschaftliche Form und Großraumwirtschaft nichts anderes als die kollektivistische Form der internationalen Wirtschaftsverfassung, und in beiden Fällen muß die Form der internationalen Wirtschaftsverfassung der nationalen entsprechen: die Weltwirtschaft der Marktwirtschaft, die Großraumwirtschaft dem Kollektivismus auf der ganzen Linie, d.h. nach außen wie nach innen”. 59 In der Frage nach der Form, in der eine echte Weltwirtschaft möglich wäre, schloß Röpke 1944 (wie in seinen Aufsätzen vor dem Zweiten Weltkrieg) einen vollendeten Weltstaat als unwahrscheinlich aus und trat für einen multilateralen und freien internationalen Wirtschaftsverkehr der Staaten ein, für eine weltweite Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft. Was die in diesem Rahmen möglicherweise entstehenden Staatenföderationen für einzelne Gebiete oder Staatengruppen anbelangt, hob Röpke die gegenseitige Zuordnung von Marktwirtschaft – nationalem und internationalem Föderalismus – Weltwirtschaft hervor, die mit dem einzelstaatlichen wie dem überstaatlichen Kollektivismus nicht vereinbar wären, da dieser die Föderation sprengen würde. 60 58. Der Bericht ordnet die verschiedenen Beiträge nicht den jeweiligen Votanten zu. Abgesehen vom Zeugnis dieses Treffens sind meines Wissens in Rueffs Bibliographie keine Schriften über Föderationskonzepte aus der Zeit während des Zweiten Weltkrieges überliefert. 59. W. RÖPKE, Wirtschaftsverfassung und politische Weltordnung, in: Friedens-Warte, 43(1943), S.30 f.; W. RÖPKE, Civitas Humana, Erlenbach-Zürich, 1944, S.387. 60. W. RÖPKE, Von alten zu neuen Wirtschaftsformen, in: Neue Schweizer Rundschau, Neue Folge, 11(1943), S.87 f.

Neoliberale Europa-Föderationskonzepte 1918-1945 27 Die dichotomische Gegenüberstellung von Marktwirtschaft – Staatenföderationen einerseits und Kollektivismus – Großräumen andererseits gipfelt in der Gegenüberstellung einer Friedensordnung und einer von Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Wirtschafts- und Staatsordnung, der kein dauerhafter Bestand beschieden wird. 61 Die Beschränkung der föderativen Gewalt auf eine eng definierte Anzahl Aufgaben in der europäischen Föderation Einaudis ließe sozialistische Wirtschaftsplanung und ökonomische Zentralisierung ebenfalls nicht zu. 62 Mit Blick auf eine Mitgliedschaft der Sowjetunion in einer europäischen Föderation schloß sich Robbins von Hayeks These an und stellte fest, die totalitäre Diktatur als Regierungsform sei mit der Föderation freier Völker inkompatibel. 63 Von Haberler sah die angemessene wirtschaftliche und politische Verfassung für sozialistische Staaten und für Staaten mit hochentwickeltem wirtschaftspolitischem Interventionismus nur in einer vollständigen ökonomischen und politischen Vereinigung, um aus der Arbeitsteilung maximale Vorteile zu ziehen und Produktionspläne umsetzen zu können. Von Haberler zweifelte jedoch an der freiwilligen und friedlichen Errichtung eines derartigen Staates. 64 3.2. Gesellschaftliches und kulturelles Europabild Während sich die Arbeiten neoliberaler Ökonomen zum Föderationsproblem vor dem Zweiten Weltkrieg auf die wirtschaftlichen Aspekte konzentriert hatten, erkannten die Neoliberalen in den Studien, die im Zweiten Weltkrieg entstanden, den außerökonomischen Bedingungen einer Staatenföderation eine vorrangige Bedeutung zu. So wurde das Verhältnis von ökonomischer und sozialer bzw. von ökonomischer und geistig-moralischer „Integration“ im Zusammenhang mit den Föderationskonzepten thematisiert. Im Unterschied zu den früheren Entwürfen wandten sich die neoliberalen Föderationskonzepte des Zweiten Weltkrieges dem gesellschaftlichen und kulturellen Bild Europas zu und setzten mit Hilfe des Instrumentariums der historischen und sozio-psychologischen Nationalismusforschung zu einer Definition der europäischen Identität an. Die Frage, ob die soziale Integration als Ergebnis der ökonomischen Integration angestrebt werden könnte oder ob die erstere die unabdingbare Voraussetzung der letzteren sei, entschieden Röpke, Robbins, von Hayek und von Haberler 65 in dem Sinne, daß die soziale und kulturelle Integration der ökonomischen vorangehen müßte, eine institutionelle Absicherung aber notwendig sei. Die Kontroverse zwischen den sog. „Realisten“ und den „Institutionalisten“ wurde nicht so einseitig zugunsten der „Realisten“ ausgetragen, wie die „Institutionalisten“ nach dem Zweiten Weltkrieg es empfanden. Eine 61. Dieser Vergleich greift auf die Augustinische Dichotomie der Civitas Dei und der Civitas diaboli zurück. W. RÖPKE, Civitas Humana, op.cit., S.391. 62. L. EINAUDI, I problemi economici della federazione europea (1944), Milano, 1946, S.7. 63. L. ROBBINS, The Economic Causes of War, London, 1939, S.106. 64. G. von HABERLER, The Political Economy …, op.cit., S.342. 65. G. von HABERLER, op.cit., S.339 f.; W. RÖPKE, International Economic Disintegration, London, 1942, S.71-81; W. RÖPKE, Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Erlenbach-Zürich, 1942, S.379; L. ROBBINS, The Economic Causes of War, op.cit., S.106; F.A. von HAYEK, Der Weg zur Knechtschaft, Erlenbach-Zürich, 1945, S.292.

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Milène Wegmann<br />

einem bestimmten Programm hervorgegangen. Die For<strong>de</strong>rung, die vorgesehene Fö<strong>de</strong>ration<br />

müsse eine liberale Außenwirtschaftspolitik annehmen, dürfte von <strong>de</strong>n neoliberalen<br />

Diskussionsteilnehmern eingebracht wor<strong>de</strong>n sein. 58<br />

Während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges sind Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n britischen<br />

(Robbins, von Hayek), italienischen (Einaudi), <strong>de</strong>utschen bzw. schweizerischen<br />

(Röpke, Rappard), französischen (Rueff, Baudin) und spanischen (<strong>de</strong> Madariaga)<br />

neoliberalen Fö<strong>de</strong>ralisten nachweisbar, teils durch die FU, teils durch <strong>de</strong>n MFE<br />

vermittelt, teils aber auch außerhalb dieser Strukturen.<br />

3.1. Das Verhältnis <strong>de</strong>r Wirtschaftsverfassung und <strong>de</strong>r politischen Strukturen<br />

einer Staatenfö<strong>de</strong>ration<br />

Der durch von Hayek noch vor Kriegsbeginn ausführlich dargelegte Zusammenhang zwischen<br />

<strong>de</strong>n Wirtschaftsformen und <strong>de</strong>n politischen Strukturen einer Staatenfö<strong>de</strong>ration<br />

gewann in <strong>de</strong>n Arbeiten seiner neoliberalen Kollegen in Großbritannien, Frankreich, <strong>de</strong>r<br />

Schweiz und Italien große Be<strong>de</strong>utung, nach<strong>de</strong>m sich für die Liberalen die Frage <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />

Neuordnung nach <strong>de</strong>m Krieg und <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerrichtung liberaler politischer<br />

Strukturen auf nationaler und internationaler Ebene stellte. Die These, daß die Wirtschaftsverfassung<br />

und die politischen Strukturen in einer Staatenfö<strong>de</strong>ration wie auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s<br />

Nationalstaates in einem strengen Zuordnungsverhältnis stün<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> von Röpke 1944 in<br />

eine griffige Formulierung gefaßt: Die Antithese zwischen Marktwirtschaft und Kollektivismus<br />

setzte sich auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r internationalen Wirtschaftsbeziehungen in die Antithese<br />

zwischen Weltwirtschaft und kollektivistischer Großraumwirtschaft um.<br />

“Weltwirtschaft ist nichts an<strong>de</strong>res als die marktwirtschaftliche Form und Großraumwirtschaft<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die kollektivistische Form <strong>de</strong>r internationalen Wirtschaftsverfassung,<br />

und in bei<strong>de</strong>n Fällen muß die Form <strong>de</strong>r internationalen Wirtschaftsverfassung <strong>de</strong>r<br />

nationalen entsprechen: die Weltwirtschaft <strong>de</strong>r Marktwirtschaft, die Großraumwirtschaft<br />

<strong>de</strong>m Kollektivismus auf <strong>de</strong>r ganzen Linie, d.h. nach außen wie nach innen”. 59<br />

In <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Form, in <strong>de</strong>r eine echte Weltwirtschaft möglich wäre, schloß<br />

Röpke 1944 (wie in seinen Aufsätzen vor <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg) einen vollen<strong>de</strong>ten<br />

Weltstaat als unwahrscheinlich aus und trat für einen multilateralen und freien internationalen<br />

Wirtschaftsverkehr <strong>de</strong>r Staaten ein, für eine weltweite Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft.<br />

Was die in diesem Rahmen möglicherweise entstehen<strong>de</strong>n Staatenfö<strong>de</strong>rationen<br />

für einzelne Gebiete o<strong>de</strong>r Staatengruppen anbelangt, hob Röpke die gegenseitige<br />

Zuordnung von Marktwirtschaft – nationalem und internationalem Fö<strong>de</strong>ralismus – Weltwirtschaft<br />

hervor, die mit <strong>de</strong>m einzelstaatlichen wie <strong>de</strong>m überstaatlichen Kollektivismus<br />

nicht vereinbar wären, da dieser die Fö<strong>de</strong>ration sprengen wür<strong>de</strong>. 60<br />

58. Der Bericht ordnet die verschie<strong>de</strong>nen Beiträge nicht <strong>de</strong>n jeweiligen Votanten zu. Abgesehen vom<br />

Zeugnis dieses Treffens sind meines Wissens in Rueffs Bibliographie keine Schriften über Fö<strong>de</strong>rationskonzepte<br />

aus <strong>de</strong>r Zeit während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges überliefert.<br />

59. W. RÖPKE, Wirtschaftsverfassung und politische Weltordnung, in: Frie<strong>de</strong>ns-Warte, 43(1943),<br />

S.30 f.; W. RÖPKE, Civitas Humana, Erlenbach-Zürich, 1944, S.387.<br />

60. W. RÖPKE, Von alten zu neuen Wirtschaftsformen, in: Neue Schweizer Rundschau, Neue Folge,<br />

11(1943), S.87 f.

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