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22 Milène Wegmann die „innere Logik“, dergemäß die volle und absolute Souveränität nach der Weltherrschaft strebe, da sie in sicherheitspolitisch und wirtschaftlich vollendeter Form nur unter der Bedingung weltumspannender Hegemonie errichtet werden könne. Der Versuch, eine „Società delle Nazioni“ aus souveränen Staaten zu schaffen, würde im Nichts enden und weiteren Anlaß zu Zwist und Krieg bieten. 40 Einaudi, Robbins und von Hayek machten folgende Bereiche aus, in denen der Nationalstaat auf seine Souveränität zugunsten des Bundesstaates verzichten müßte: außenpolitisch auf das Recht der Kriegführung (Robbins); wirtschaftspolitisch auf das Recht, die freie Bewegung von Kapital und Arbeit zu begrenzen (Robbins, von Hayek), auf die Unterstützung bestimmter Industrien durch staatliche Beeinflussung der Preise, auf Staatsmonopole und andere Formen monopolistischer Organisationen einzelner Industrien, auf eine selbständige Währungs- und Finanzpolitik, möglicherweise auf eine nationale Zentralbank (Robbins, von Hayek) und unter Umständen auch auf verschiedene Formen indirekter Steuern. Auf dem Gebiet des Verfassungsrechts ging Einaudi sogar so weit, das Recht der Parlamente, innerhalb des Staatsgebietes Gesetze zu erlassen, in seinem Entwurf eines Bundesstaates zu beschränken. Röpke zog aus der mangelnden Übereinstimmung des wirtschaftlich und des politisch integrierten Raumes, aus dem Widerspruch zwischen der weltwirtschaftlichen Verflechtung und dem Nationalismus der freien Völker den Schluß, der einzige Weg aus der Weltkrisis der 30er Jahre führe zur Lösung, die „wirtschaftliche Integration“ durch eine „politische“ zu ergänzen, den „Grad der politischen Kooperation der Völker dem Grade ihrer wirtschaftlichen Kooperation“ anzupassen. 41 In der politischen Kooperation oder Integration – Röpke verwendete die Begriffe synonym wie in der zeitgenössischen Literatur bis in die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg üblich – erblickte Röpke ein „neues System der internationalen Sicherheit und des Friedens“, das die Wohlfahrt und Zivilisation, die Erhaltung und Erhebung Europas gewährleisten würde. 42 Der integrale Nationalismus und die Verabsolutierung der nationalen Souveränität im Faschismus und Nationalsozialismus erschütterten die Verbindung von liberaler und nationaler Idee, die von den Anfängen der liberalen Bewegung an ein „Fundamentalprinzip“ (Lothar Gall) des Liberalismus in Europa gebildet hatte. 43 Die vielfachen liberalen Emanzipationsziele, welche der Liberalismus im Nationalismus des 19. Jahrhunderts konkretisiert sah, wurden durch die faschistische und nationalsozialistische Übersteigerung des Nationalen aufgehoben. Röpke, Rueff, Einaudi, Robbins und von Hayek griffen angesichts dieser Gefährdung des Liberalismus auf dessen kosmopolitische Tradition zurück, die nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern 40. L. EINAUDI, Il dogma …,op.cit., S. 25-28. 41. W. RÖPKE, Die säkulare Bedeutung der Weltkrisis, op.cit., S.27; Colloque Lippmann, op.cit., S.65. 42. W. RÖPKE, Die säkulare Bedeutung der Weltkrisis, op.cit., S.27. 43. L. GALL, Liberalismus und Nationalstaat, in: L. GALL, Bürgertum, liberale Bewegung und Nation, Ausgewählte Aufsätze, München, 1996, S.191.

Neoliberale Europa-Föderationskonzepte 1918-1945 23 auch der Geisteshaltung und des Bildungsideals 44 („Weltbürgertum“) im liberalen Nationalismus des 19. Jahrhunderts ihren Platz gehabt hatte. 2.3. Weder Staatenbund noch Einheitsstaat. Liberaler Internationalismus gegen hegemoniale „Großräume“ Die von Einaudi, Robbins und von Hayek skizzierten Idealvorstellungen zielten weder auf einen „Staatenbund“ noch auf einen unbeschränkten „Einheitsstaat“ ab, sondern auf eine „Föderation“ in der Bedeutung der deutschen Bezeichnung „Bundesstaat“. Robbins fügte dem „Bundesstaat“ das Attribut „super-national“ bei, so etwa wenn er in Abhebung vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts zur Verwirklichung des „internationalistischen Liberalismus“ die Notwendigkeit einer übernationalen Autorität forderte, die einen Apparat darstellen würde, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. 45 Was die Abtretung von Souveränitätsrechten an die Gemeinschaft anbelangt, reichten die Föderationskonzepte Einaudis, Robbins‘ und von Hayeks weit über das hinaus, was in den ersten beiden Stufen zur Umsetzung der Römer Verträge erreicht werden konnte, und nahmen die wesentlichen Züge des vollendeten Binnenmarktes vorweg. Die Analyse der Föderationsentwürfe der Wirtschaftswissenschafter, die in den dreißiger Jahren für einen erneuerten Liberalismus eintraten, läßt die kosmopolitische Ausrichtung im Zeichen des liberalen Internationalismus als besonderes Merkmal dieser Konzepte erkennen. Als Idealfall angestrebt wurde eine Weltföderation, ein die ganze Welt einschließlich der Kolonialgebiete umfassender Bundesstaat; die Föderation sollte allen zur wirtschaftlichen Verflechtung fähigen Staaten offenstehen. Die liberal-internationalistischen Grundlagen dieser Konzepte hoben sich deutlich von den aufkommenden totalitaristischen Hegemonialplänen ab, da sie weder auf dem Nationalismus noch auf Rassendenken beruhten, sondern im Gegenteil beide als verderblich ablehnten. Eine möglichst umfassendederation von Staaten war dazu bestimmt, die Hegemonie des Stärkeren zu verhindern. In diesem Sinne wiesen auch Rüstow und Röpke die Vorstellung von „Großräumen“, wie die Nationalsozialisten sie propagierten, bereits in den frühen dreißiger Jahren zurück. 46 Gegen die von den Nationalsozialisten gepriesene autarkische „Raumbildung“ führte Röpke die handels- und außenpolitischen Konsequenzen einer „Selbsteinkreisung“ der Deutschen in Deutschland, Südost- und Osteuropa und das Gegenbeispiel der Kleinstaaten Dänemark, Niederlande und Schweiz an, die sich auch „ohne 'Raum'“ bestens entwickelten. 47 Die Prinzipien einer liberalen Weltwirtschaft mit ihrer Politik der offenen Tür, von den Neoliberalen in Anlehnung an Cobdens Kosmopolitismus verfochten, 44. H.-U. WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, München, 1987, S.510 f. 45. L. ROBBINS, Economic Planning …, op.cit., S.240 f. Von Hayek verwendete für den Bundesstaat ebenfalls das Attribut „überstaatlich“. F.A. von HAYEK , Die wirtschaftlichen Voraussetzungen …, op.cit., S.337. 46. A. RÜSTOW, Autarkie und Export, Berlin, 21.3.1931. Typoskript. BAK N 1169/271. 47. U. UNFRIED (Pseudonym Röpkes), Die Intellektuellen und der „Kapitalismus“, in: Frankfurter Zeitung, 11.9.1931, Nr.676; W. RÖPKE, Weltwirtschaft, Eine Notwendigkeit der deutschen Wirtschaft, Tübingen, 1932, S.16.

Neoliberale Europa-Fö<strong>de</strong>rationskonzepte 1918-1945 23<br />

auch <strong>de</strong>r Geisteshaltung und <strong>de</strong>s Bildungsi<strong>de</strong>als 44 („Weltbürgertum“) im liberalen<br />

Nationalismus <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts ihren Platz gehabt hatte.<br />

2.3. We<strong>de</strong>r Staatenbund noch Einheitsstaat.<br />

Liberaler Internationalismus gegen hegemoniale „Großräume“<br />

Die von Einaudi, Robbins und von Hayek skizzierten I<strong>de</strong>alvorstellungen zielten<br />

we<strong>de</strong>r auf einen „Staatenbund“ noch auf einen unbeschränkten „Einheitsstaat“ ab,<br />

son<strong>de</strong>rn auf eine „Fö<strong>de</strong>ration“ in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bezeichnung „Bun<strong>de</strong>sstaat“.<br />

Robbins fügte <strong>de</strong>m „Bun<strong>de</strong>sstaat“ das Attribut „super-national“ bei, so<br />

etwa wenn er in Abhebung vom Liberalismus <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts zur Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>s „internationalistischen Liberalismus“ die Notwendigkeit einer übernationalen<br />

Autorität for<strong>de</strong>rte, die einen Apparat darstellen wür<strong>de</strong>, um Recht und Ordnung<br />

aufrechtzuerhalten. 45 Was die Abtretung von Souveränitätsrechten an die<br />

Gemeinschaft anbelangt, reichten die Fö<strong>de</strong>rationskonzepte Einaudis, Robbins‘ und<br />

von Hayeks weit über das hinaus, was in <strong>de</strong>n ersten bei<strong>de</strong>n Stufen zur Umsetzung<br />

<strong>de</strong>r Römer Verträge erreicht wer<strong>de</strong>n konnte, und nahmen die wesentlichen Züge<br />

<strong>de</strong>s vollen<strong>de</strong>ten Binnenmarktes vorweg.<br />

Die Analyse <strong>de</strong>r Fö<strong>de</strong>rationsentwürfe <strong>de</strong>r Wirtschaftswissenschafter, die in <strong>de</strong>n dreißiger<br />

Jahren für einen erneuerten Liberalismus eintraten, läßt die kosmopolitische Ausrichtung im<br />

Zeichen <strong>de</strong>s liberalen Internationalismus als beson<strong>de</strong>res Merkmal dieser Konzepte erkennen.<br />

Als I<strong>de</strong>alfall angestrebt wur<strong>de</strong> eine Weltfö<strong>de</strong>ration, ein die ganze Welt einschließlich<br />

<strong>de</strong>r Kolonialgebiete umfassen<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sstaat; die Fö<strong>de</strong>ration sollte allen zur wirtschaftlichen<br />

Verflechtung fähigen Staaten <strong>of</strong>fenstehen. Die liberal-internationalistischen Grundlagen<br />

dieser Konzepte hoben sich <strong>de</strong>utlich von <strong>de</strong>n aufkommen<strong>de</strong>n totalitaristischen Hegemonialplänen<br />

ab, da sie we<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Nationalismus noch auf Rassen<strong>de</strong>nken beruhten,<br />

son<strong>de</strong>rn im Gegenteil bei<strong>de</strong> als ver<strong>de</strong>rblich ablehnten. Eine möglichst umfassen<strong>de</strong> Fö<strong>de</strong>ration<br />

von Staaten war dazu bestimmt, die Hegemonie <strong>de</strong>s Stärkeren zu verhin<strong>de</strong>rn. In diesem<br />

Sinne wiesen auch Rüstow und Röpke die Vorstellung von „Großräumen“, wie die<br />

Nationalsozialisten sie propagierten, bereits in <strong>de</strong>n frühen dreißiger Jahren zurück. 46 Gegen<br />

die von <strong>de</strong>n Nationalsozialisten gepriesene autarkische „Raumbildung“ führte Röpke die<br />

han<strong>de</strong>ls- und außenpolitischen Konsequenzen einer „Selbsteinkreisung“ <strong>de</strong>r Deutschen in<br />

Deutschland, Südost- und Osteuropa und das Gegenbeispiel <strong>de</strong>r Kleinstaaten Dänemark,<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Schweiz an, die sich auch „ohne 'Raum'“ bestens entwickelten. 47<br />

Die Prinzipien einer liberalen Weltwirtschaft mit ihrer Politik <strong>de</strong>r <strong>of</strong>fenen Tür,<br />

von <strong>de</strong>n Neoliberalen in Anlehnung an Cob<strong>de</strong>ns Kosmopolitismus verfochten,<br />

44. H.-U. WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, München, 1987, S.510 f.<br />

45. L. ROBBINS, Economic Planning …, op.cit., S.240 f. Von Hayek verwen<strong>de</strong>te für <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>sstaat<br />

ebenfalls das Attribut „überstaatlich“. F.A. von HAYEK , Die wirtschaftlichen Voraussetzungen<br />

…, op.cit., S.337.<br />

46. A. RÜSTOW, Autarkie und Export, Berlin, 21.3.1931. Typoskript. BAK N 1169/271.<br />

47. U. UNFRIED (Pseudonym Röpkes), Die Intellektuellen und <strong>de</strong>r „Kapitalismus“, in: Frankfurter<br />

Zeitung, 11.9.1931, Nr.676; W. RÖPKE, Weltwirtschaft, Eine Notwendigkeit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wirtschaft,<br />

Tübingen, 1932, S.16.

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