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20 Milène Wegmann die Probleme zwischen den Staaten doch nur auf diejenigen Bereiche beschränkt, in denen die Staaten noch eigene Souveränitätsrechte besäßen. 30 Im Unterschied zu den erwähnten Arbeiten Röpkes und Heilperins zog Robbins in seiner Studie von 1935/ 1937 den imaginierten Weltstaat nicht nur im Sinne eines fiktiven Referenzrahmens heran, sondern setzte sich mit seinen theoretischen Grundlagen und mit Alternativen zu einem derartigen Gebilde systematisch auseinander. Ein vollkommen einheitlicher Weltstaat erwies sich in Robbins' Analyse als weder realisierbar noch wünschenswert, da das liberale System nicht minder als der internationale Kommunismus an den räumlichen Dimensionen, den sprachlichen Voraussetzungen und dem mangelhaften Schutz der Freiheit in einem Weltstaat scheitern müßte. Die Gedanken neoliberaler Wirtschaftswissenschafter über die Schaffung einer Europaföderation und einer Weltföderation waren also in der Zeit vom Ende des Ersten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges miteinander verknüpft, wozu der Völkerbund, sich zwischen der theoretischen Universalität und der Konzentration auf Europa befindend, wesentliche Denkanstöße gab. Die Diskussion um die Schaffung einer Staatenföderation trat anfangs der dreißiger Jahre ins Spannungsfeld der Kontroverse über Freihandel und Protektionismus. Im Zusammenhang mit dem Fortschreiten des Prozesses der Integration der Volkswirtschaften zu einer Weltwirtschaft folgte Röpke List, der im Wachsen des räumlichen Bereichs der „wirtschaftlichen Integration“ (Röpke) Stufen eines einheitlichen Integrationsprozesses erblickte, der auf eine mindestens ebenso enge Verbindung der „zivilisiertesten Nationen der Erde“ (List) hinauslaufen würde, wie die Grafschaften im England des 18. Jahrhunderts es gewesen waren. 31 Daß der wirtschaftliche Integrationsprozeß über die Staatsgrenzen hinwegschreite, nachdem er in der Vergangenheit weder an Stadt- noch Landesgrenzen haltgemacht hatte, entspricht nach Röpke der „inneren Logik der Entwicklung”. 32 List (1789-1846) hatte die deutsche politische und wirtschaftliche Einigung nicht als Selbstzweck verfochten, sondern als Voraussetzung einer kontinentaleuropäischen und dann einer universellen Union. 33 Gemäßigte Erziehungsschutzzölle wären als befristete Maßnahmen berechtigt, um die einzelnen Staaten wirtschaftlich so weit zu entwickeln, daß sie eine Union mit den anderen industrialisierten Staaten gründen und zum Freihandel übergehen könnten. 34 Trotz seiner Kritik an einzelnen Prämissen von Adam Smith‘ Kosmopolitismus war das Ziel Lists der universelle Freihandel und sein wirtschaftspolitisches Vorbild Großbritannien. 35 Diese Positionen Lists waren mit der klassischen Lehre der Nationalökonomie vereinbar, die später von J. St. Mill (1806-1873) und den Neoliberalen vertreten wurden. 36 Rüstow, Röpke, von Haberler, Rueff, Robbins und 30. M.A. HEILPERIN, L'internationalisme monétaire et sa crise, in: P. MANTOUX (Hrsg.), La crise mondiale, Paris, 1938, S.363 f. 31. F. LIST, Das nationale System der Politischen Ökonomie, Jena, 1928, S.210; W. RÖPKE, Die säkulare Bedeutung der Weltkrisis, in: Weltwirtschaftliches Archiv, 37(1933), S.17. 32. W. RÖPKE, op.cit., S.18 f. 33. F. LIST, op.cit., S.60 ff., 213 f., 268, 526 ff. und 536 f. 34. Ibid., S.213 f., 420 f., 431-434 und 540 f. 35. Ibid., S.53 f. und 208-214. 36. Ibid., S.204-220.

Neoliberale Europa-Föderationskonzepte 1918-1945 21 von Hayek räumten in den 20er/30er Jahren Präferenzzöllen und Zollunionen eine positive Funktion als „Maßnahmen einer liberalen Handelspolitik“ ein. 37 Gleichzeitig machten sie jedoch auf die Aufgabe aufmerksam, den „partiellen Freihandel“ trotz des liberalen Gehalts seiner Idee vor dem Mißbrauch durch protektionistische Bestrebungen zu schützen. Unmittelbaren Anlaß zu dieser Befürchtung gaben die hochprotektionistischen Zölle der Vereinigten Staaten von Amerika und das Beispiel der „Empire Free Trade”-Bewegung Lord Beaverbrooks, welche Präferenzzölle für die Dominions und gleichzeitig Schutzzölle für das Mutterland forderte. Die – unter internationalem Blickwinkel – positiven Ansätze, die eine Zollunion rechtfertigten, führten gedanklich konsequenterweise zu einer die ganze Welt umspannenden Zollunion. Zwischen dem Konzept einer Zollunion nach List und dem kosmopolitischen Freihandel nach Cobden bestand in den während der Zwischenkriegszeit verfaßten Schriften Röpkes, Rueffs, Robbins‘ und von Hayeks kein unüberbrückbarer Gegensatz. Die Überlegungen der neoliberalen Wirtschaftswissenschafter zum Problem einer Staatenföderation schwankten vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zwischen einer Föderation globalen und einer Föderation kontinentalen, europäischen Ausmaßes. 2.2. Die Forderung der liberalen Erneuerer nach Überwindung des Nationalismus und Beschränkung der nationalstaatlichen Souveränität Neoliberale wie Robbins, von Hayek, Einaudi, Rueff, Condliffe und Röpke erblickten im Nationalismus und Bellizismus nach dem Ersten Weltkrieg eine vitale Bedrohung des Wirtschafts- und Sozialsystems, die daran war, die europäische Kultur zu zerstören, und forderten die Überwindung des Nationalismus, wenn nicht die „Abschaffung des Nationalstaats“ (von Hayek). 38 Einaudi unterschied zwei graduelle Formen der Souveränität: die „vollkommene Souveränität“ und die „relative Souveränität“, welch letztere durch die bloße Existenz anderer Staaten sowie durch die Kooperation mit diesen bestimmt wird. Einaudi, Robbins und von Hayek bekämpften die Souveränität als in höchstem Maß schädliche Eigenschaft des Nationalstaates, als die Quelle von Elend und Armut, von Krieg und Chaos. 39 Mit Blick auf Deutschland erläuterte Einaudi 1918 37. A. RÜSTOW, Was hat die Wirtschaftswissenschaft zur Zollfrage zu sagen? 19.2.1925, Typoskript, BAK N1169/244; G. von HABERLER, Der internationale Handel (1933), Berlin, 1970, S.283-289; W. RÖPKE, Liberale Handelspolitik, in: B. GOETZ (Hrsg.), Die Wandlungen der Wirtschaft im kapitalistischen Zeitalter, Berlin-Grunewald, 1932, S.225; L. ROBBINS, Economic Planning …, op.cit., S.121 f.; F.A. von HAYEK, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen …, op.cit., S.331-336; J. RUEFF, op.cit., S.288 f. 38. L. ROBBINS, Economic Planning …, op.cit., S.239, 299 und 325 ff.; W. RÖPKE, Die säkulare Bedeutung der Weltkrisis, op.cit., S.27; F.A. von HAYEK, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen …, op.cit., S.341; Colloque Lippmann, op.cit., S.57-66; L. EINAUDI, Il dogma …,op.cit., S.28; J. Rueff, op.cit., pp. 287-293. 39. L. EINAUDI, Il dogma …,op.cit., S.25; L. ROBBINS, op.cit., S.240-244; F.A. von HAYEK, op.cit., S.341.

Neoliberale Europa-Fö<strong>de</strong>rationskonzepte 1918-1945 21<br />

von Hayek räumten in <strong>de</strong>n 20er/30er Jahren Präferenzzöllen und Zollunionen eine positive<br />

Funktion als „Maßnahmen einer liberalen Han<strong>de</strong>lspolitik“ ein. 37 Gleichzeitig machten<br />

sie jedoch auf die Aufgabe aufmerksam, <strong>de</strong>n „partiellen Freihan<strong>de</strong>l“ trotz <strong>de</strong>s liberalen<br />

Gehalts seiner I<strong>de</strong>e vor <strong>de</strong>m Mißbrauch durch protektionistische Bestrebungen zu schützen.<br />

Unmittelbaren Anlaß zu dieser Befürchtung gaben die hochprotektionistischen Zölle<br />

<strong>de</strong>r Vereinigten Staaten von Amerika und das Beispiel <strong>de</strong>r „Empire Free Tra<strong>de</strong>”-Bewegung<br />

Lord Beaverbrooks, welche Präferenzzölle für die Dominions und gleichzeitig<br />

Schutzzölle für das Mutterland for<strong>de</strong>rte. Die – unter internationalem Blickwinkel – positiven<br />

Ansätze, die eine Zollunion rechtfertigten, führten gedanklich konsequenterweise zu<br />

einer die ganze Welt umspannen<strong>de</strong>n Zollunion.<br />

Zwischen <strong>de</strong>m Konzept einer Zollunion nach List und <strong>de</strong>m kosmopolitischen<br />

Freihan<strong>de</strong>l nach Cob<strong>de</strong>n bestand in <strong>de</strong>n während <strong>de</strong>r Zwischenkriegszeit verfaßten<br />

Schriften Röpkes, Rueffs, Robbins‘ und von Hayeks kein unüberbrückbarer<br />

Gegensatz. Die Überlegungen <strong>de</strong>r neoliberalen Wirtschaftswissenschafter zum Problem<br />

einer Staatenfö<strong>de</strong>ration schwankten vor <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges<br />

zwischen einer Fö<strong>de</strong>ration globalen und einer Fö<strong>de</strong>ration kontinentalen, europäischen<br />

Ausmaßes.<br />

2.2. Die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r liberalen Erneuerer nach Überwindung <strong>de</strong>s Nationalismus<br />

und Beschränkung <strong>de</strong>r nationalstaatlichen Souveränität<br />

Neoliberale wie Robbins, von Hayek, Einaudi, Rueff, Condliffe und Röpke erblickten<br />

im Nationalismus und Bellizismus nach <strong>de</strong>m Ersten Weltkrieg eine vitale<br />

Bedrohung <strong>de</strong>s Wirtschafts- und Sozialsystems, die daran war, die europäische<br />

Kultur zu zerstören, und for<strong>de</strong>rten die Überwindung <strong>de</strong>s Nationalismus, wenn nicht<br />

die „Abschaffung <strong>de</strong>s Nationalstaats“ (von Hayek). 38<br />

Einaudi unterschied zwei graduelle Formen <strong>de</strong>r Souveränität: die „vollkommene<br />

Souveränität“ und die „relative Souveränität“, welch letztere durch die bloße<br />

Existenz an<strong>de</strong>rer Staaten sowie durch die Kooperation mit diesen bestimmt wird.<br />

Einaudi, Robbins und von Hayek bekämpften die Souveränität als in höchstem<br />

Maß schädliche Eigenschaft <strong>de</strong>s Nationalstaates, als die Quelle von Elend und<br />

Armut, von Krieg und Chaos. 39 Mit Blick auf Deutschland erläuterte Einaudi 1918<br />

37. A. RÜSTOW, Was hat die Wirtschaftswissenschaft zur Zollfrage zu sagen? 19.2.1925, Typoskript,<br />

BAK N1169/244; G. von HABERLER, Der internationale Han<strong>de</strong>l (1933), Berlin, 1970,<br />

S.283-289; W. RÖPKE, Liberale Han<strong>de</strong>lspolitik, in: B. GOETZ (Hrsg.), Die Wandlungen <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaft im kapitalistischen Zeitalter, Berlin-Grunewald, 1932, S.225; L. ROBBINS, Economic<br />

Planning …, op.cit., S.121 f.; F.A. von HAYEK, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen …, op.cit.,<br />

S.331-336; J. RUEFF, op.cit., S.288 f.<br />

38. L. ROBBINS, Economic Planning …, op.cit., S.239, 299 und 325 ff.; W. RÖPKE, Die säkulare<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Weltkrisis, op.cit., S.27; F.A. von HAYEK, Die wirtschaftlichen Voraussetzungen<br />

…, op.cit., S.341; Colloque Lippmann, op.cit., S.57-66; L. EINAUDI, Il dogma …,op.cit., S.28; J.<br />

Rueff, op.cit., pp. 287-293.<br />

39. L. EINAUDI, Il dogma …,op.cit., S.25; L. ROBBINS, op.cit., S.240-244; F.A. von HAYEK,<br />

op.cit., S.341.

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