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12 Milène Wegmann Er hatte seit der Befreiung Frankreichs in die Debatte zur europäischen Frage eingegriffen und wurde dann Mitglied der Ende 1946 bzw. anfangs 1947 gegründeten Vereine Union européenne des fédéralistes (UEF) und Ligue Indépendente européenne de Coopération économique (Conseil français). Er gehörte ebenfalls dem Conseil français des Mouvement européen an. Allais veröffentlichte seit 1945 zahlreiche Artikel über ein Vereinigtes Europa und nahm als Referent am Ersten Kongreß der UEF in Montreux (27. bis 30.8.1947), – gemeinsam mit Rueff 4 – am Haager Europa-Kongreß (7. bis 10.5.1948) und am Congrès International d’Etudes sur la Communauté européenne du Charbon et de l’Acier in Stresa (Juni 1957) teil. 5 Villey unterbrach seine Lehrtätigkeit als Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Poitiers nach dem Krieg für ein Jahr, um für das Projekt einer europäischen Föderation zu arbeiten. 6 Rueff war 1952-1958 président de chambre am Gerichtshof der Montanunion und 1958-1962 Richter und président de chambre am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Im September 1958 wurde er zum Präsidenten des Comité d’Experts pour la Réforme Economique et Financière ernannt, das unter dem Druck der Europäischen Zahlungsunion und des EWG-Vertrags die Konvertibilität des Franc vorbereitete. Die Wirtschafts- und Währungsreform von Pinay/Rueff schuf die wirtschaftlichen Grundlagen der V. Republik. Nachdem er seit 1958 mit de Gaulle eng zusammengearbeitet hatte, 7 wurde Rueff in der V. Republik dessen Finanzberater. Die ursprünglichen Protagonisten einer Staatenföderation, Röpke, von Hayek und Robbins, wandten sich jedoch nach dem Beginn des Kalten Krieges von den Bestrebungen zur Schaffung einer europäischen Föderation ab. Die neoliberalen Föderalisten hatten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Idee einer institutionell abgesicherten „liberalen Föderation“ von Staaten als wünschenswerte Alternative zur sozialistischen internationalen Planung und zu einem sozialistischen europäischen Einheitsstaat vertreten. Sie gingen dabei von einem engen Zuordnungsverhältnis der Wirtschaftsformen und der politischen Strukturen aus: Marktwirtschaft, nationaler/internationaler Föderalismus und Weltwirtschaft würden sich gegenseitig entsprechen. Der Verwirklichung einer solchen „liberalen Staatenföderation“ standen in den Nachkriegsjahren und nach dem Beginn des Kalten Krieges politische und wirtschaftliche Entwicklungen entgegen, die mit den Voraussetzungen der neoliberalen Europaföderations-Modelle in Widerspruch standen: In der Mehrzahl der wirtschaftlich führenden Staaten wurde die Wirtschaftsplanung in den Nachkriegsjahren fortgesetzt. Eine europäische Föderation konnte unter diesen Umständen nicht mehr als die „Erfüllung des liberalen Wirtschaftsprogramms“ (von Hayek 1939) betrachtet werden. Die Liberalisierung des Außenhandels verzögerte sich; erst dreizehn- 4. J. RUEFF, Œuvres complètes 1, Paris, 1977, S.225. 5. M. ALLAIS, Erreurs et Impasses de la Construction Européenne, Paris, 1992, Anm.2, S.101. 6. Mme Villey, Wortbeitrag an der Versammlung der Mont Pèlerin Society, Caracas, 5.-13.9.1969, Summary. Typoskript, S.3, Nachlaß Pierre Goodrich: Box 2, Hoover Institution Archives, Stanford University, CA, USA. Vgl. auch D. VILLEY, Redevenir des hommes libres, Paris, 1946, S.205 ff., S.291. 7. M. VAÏSSE, La grandeur. Politique étrangère du général de Gaulle, 1958-1969, Paris, 1998, S.42, S.167, Anm.9.

Neoliberale Europa-Föderationskonzepte 1918-1945 13 einhalb Jahre nach dem Kriegsende (27.12.1958) wurde die äußere Konvertibilität der Währungen aller westeuropäischen Staaten wiederhergestellt. Die neoliberalen Föderationskonzepte von 1918 bis 1945 sind aus der akademischen Auseinandersetzung von Theoretikern der Finanz-, Außenwirtschafts- und der Wirtschaftsordnungspolitik hervorgegangen. Robbins (1898-1984) lehrte abwechslungsweise in Oxford (1924; 1927-29) und an der London School of Economics (1925-27), bis er 1929 definitiv in London blieb. Von Hayek (Wien, 1899 – Freiburg i. Br., 1992) war seit 1931 ebenfalls an der London School of Economics tätig. Röpke (1899-1966) fand nach einer etappenreichen Dozentenkarriere – 1924-28 außerordentlicher Professor Universität Jena, 1927-28 USA, 1928-29 Universität Graz, 1929-31 Universität Marburg a. L., 1933-37 Universität Istanbul – 1937 seinen endgültigen Platz am Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales (Genf). Einaudi (1874-1961) lehrte ab 1898 an der Universität Turin Finanzwissenschaft, bis er Ende September 1943 ins Schweizer Exil gehen mußte. 1944 folgte er einer Einladung, für die italienischen Studenten in einem Genfer Flüchtlingslager einen Kurs zu halten, der später unter dem Titel Lezioni di politica sociale veröffentlicht wurde. Am 9.12.1944 wurde Einaudi nach Italien zurückberufen, als Präsident der Banca d’Italia. Rueff (1896-1978), aus einer angesehenen jüdischen Familie stammend, lehrte 1923-30 am Institut de Statistique de l’Université de Paris und wurde 1933 Titularprofessor an der Ecole libre des sciences politiques (Paris). Baudin (1887-1964) lehrte seit den 20er Jahren an der Faculté de Droit de Paris et de Dijon und an der Ecole des Hautes Etudes Commerciales, Paris. Die genannten neoliberalen Wirtschaftswissenschafter übten teils bereits im hier untersuchten Zeitraum (1918-45), teils nach 1945 Tätigkeiten in Verwaltung und Politik aus: Robbins wirkte bei der Demobilisierung nach dem Ersten Weltkrieg in der Verwaltung mit und leitete 1941-45 die Wirtschaftsabteilung des Sekretariats des britischen Kriegskabinetts. Mit Keynes zusammen vertrat er Großbritannien auf verschiedenen internationalen Konferenzen, die sich mit den wirtschaftlichen Nachkriegsproblemen beschäftigten, so etwa auf der Konferenz von Bretton Woods. Von Hayek gewann erst unter der Regierung Thatcher politischen Einfluß. Röpke, der 1930-31 Mitglied der Reichskommission zur Krisenbekämpfung (Brauns-Kommission) war, mußte 1933 aus politischen Gründen nach Istanbul emigrieren. Erst nach dem Krieg konnte er immer wieder formell und informell die Beratung von Bundeswirtschaftsminister Erhard wahrnehmen. Einaudi wurde 1919 zum Senator gewählt. 1945 hatte er das Präsidium der Bank von Italien inne. 1947 übte Einaudi das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Budgetministers im Kabinett De Gasperi aus. In den Jahren 1948 bis 1955 vertrat er Italien als erster Präsident der Republik. Zusammen mit dem neoliberalen Philosophen Croce gehörte Einaudi zu den Mitbegründern der Liberalen Partei Italiens. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit verfolgte Rueff über mehr als dreissig Jahre eine Karriere als hoher Beamter: 1926 war er „chargé de mission“ im Kabinett Poincaré. Um 1927 wurde er in die Wirtschafts- und Finanzsektion des Völkerbundssekretariats gewählt. Von 1939 bis zur deutschen Besetzung Frankreichs diente er als sous-gouverneur der Banque de France. 1944 wurde Rueff zum Präsidenten der Délégation économique et financière der Mission militaire pour les Affaires allemandes et autrichiennes ernannt. 1945 war

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Milène Wegmann<br />

Er hatte seit <strong>de</strong>r Befreiung Frankreichs in die Debatte zur europäischen Frage eingegriffen<br />

und wur<strong>de</strong> dann Mitglied <strong>de</strong>r En<strong>de</strong> 1946 bzw. anfangs 1947 gegrün<strong>de</strong>ten Vereine<br />

Union européenne <strong>de</strong>s fédéralistes (UEF) und Ligue Indépen<strong>de</strong>nte européenne <strong>de</strong><br />

Coopération économique (Conseil français). Er gehörte ebenfalls <strong>de</strong>m Conseil français<br />

<strong>de</strong>s Mouvement européen an. Allais veröffentlichte seit 1945 zahlreiche Artikel über ein<br />

Vereinigtes Europa und nahm als Referent am Ersten Kongreß <strong>de</strong>r UEF in Montreux<br />

(27. bis 30.8.1947), – gemeinsam mit Rueff 4 – am Haager Europa-Kongreß (7. bis<br />

10.5.1948) und am Congrès International d’Etu<strong>de</strong>s sur la Communauté européenne du<br />

Charbon et <strong>de</strong> l’Acier in Stresa (Juni 1957) teil. 5 Villey unterbrach seine Lehrtätigkeit<br />

als Pr<strong>of</strong>essor <strong>de</strong>r Wirtschaftswissenschaften an <strong>de</strong>r Universität Poitiers nach <strong>de</strong>m Krieg<br />

für ein Jahr, um für das Projekt einer europäischen Fö<strong>de</strong>ration zu arbeiten. 6 Rueff war<br />

1952-1958 prési<strong>de</strong>nt <strong>de</strong> chambre am Gerichtsh<strong>of</strong> <strong>de</strong>r Montanunion und 1958-1962<br />

Richter und prési<strong>de</strong>nt <strong>de</strong> chambre am Gerichtsh<strong>of</strong> <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaften.<br />

Im September 1958 wur<strong>de</strong> er zum Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s Comité d’Experts pour la Réforme<br />

Economique et Financière ernannt, das unter <strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r Europäischen Zahlungsunion<br />

und <strong>de</strong>s EWG-Vertrags die Konvertibilität <strong>de</strong>s Franc vorbereitete. Die Wirtschafts-<br />

und Währungsreform von Pinay/Rueff schuf die wirtschaftlichen Grundlagen<br />

<strong>de</strong>r V. Republik. Nach<strong>de</strong>m er seit 1958 mit <strong>de</strong> Gaulle eng zusammengearbeitet hatte, 7<br />

wur<strong>de</strong> Rueff in <strong>de</strong>r V. Republik <strong>de</strong>ssen Finanzberater.<br />

Die ursprünglichen Protagonisten einer Staatenfö<strong>de</strong>ration, Röpke, von Hayek und<br />

Robbins, wandten sich jedoch nach <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>s Kalten Krieges von <strong>de</strong>n Bestrebungen<br />

zur Schaffung einer europäischen Fö<strong>de</strong>ration ab. Die neoliberalen Fö<strong>de</strong>ralisten hatten<br />

bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges die I<strong>de</strong>e einer institutionell abgesicherten „liberalen<br />

Fö<strong>de</strong>ration“ von Staaten als wünschenswerte Alternative zur sozialistischen internationalen<br />

Planung und zu einem sozialistischen europäischen Einheitsstaat vertreten. Sie gingen<br />

dabei von einem engen Zuordnungsverhältnis <strong>de</strong>r Wirtschaftsformen und <strong>de</strong>r<br />

politischen Strukturen aus: Marktwirtschaft, nationaler/internationaler Fö<strong>de</strong>ralismus und<br />

Weltwirtschaft wür<strong>de</strong>n sich gegenseitig entsprechen. Der Verwirklichung einer solchen<br />

„liberalen Staatenfö<strong>de</strong>ration“ stan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Nachkriegsjahren und nach <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>s<br />

Kalten Krieges politische und wirtschaftliche Entwicklungen entgegen, die mit <strong>de</strong>n Voraussetzungen<br />

<strong>de</strong>r neoliberalen Europafö<strong>de</strong>rations-Mo<strong>de</strong>lle in Wi<strong>de</strong>rspruch stan<strong>de</strong>n: In <strong>de</strong>r<br />

Mehrzahl <strong>de</strong>r wirtschaftlich führen<strong>de</strong>n Staaten wur<strong>de</strong> die Wirtschaftsplanung in <strong>de</strong>n<br />

Nachkriegsjahren fortgesetzt. Eine europäische Fö<strong>de</strong>ration konnte unter diesen Umstän<strong>de</strong>n<br />

nicht mehr als die „Erfüllung <strong>de</strong>s liberalen Wirtschaftsprogramms“ (von Hayek 1939)<br />

betrachtet wer<strong>de</strong>n. Die Liberalisierung <strong>de</strong>s Außenhan<strong>de</strong>ls verzögerte sich; erst dreizehn-<br />

4. J. RUEFF, Œuvres complètes 1, Paris, 1977, S.225.<br />

5. M. ALLAIS, Erreurs et Impasses <strong>de</strong> la Construction Européenne, Paris, 1992, Anm.2, S.101.<br />

6. Mme Villey, Wortbeitrag an <strong>de</strong>r Versammlung <strong>de</strong>r Mont Pèlerin Society, Caracas, 5.-13.9.1969,<br />

Summary. Typoskript, S.3, Nachlaß Pierre Goodrich: Box 2, Hoover Institution Archives, Stanford<br />

University, CA, USA. Vgl. auch D. VILLEY, Re<strong>de</strong>venir <strong>de</strong>s hommes libres, Paris, 1946,<br />

S.205 ff., S.291.<br />

7. M. VAÏSSE, La gran<strong>de</strong>ur. Politique étrangère du général <strong>de</strong> Gaulle, 1958-1969, Paris, 1998, S.42,<br />

S.167, Anm.9.

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