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Neoliberale Europa-Föderationskonzepte 1918-1945
Milène Wegmann
Die geschichts- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur, die auf die Kritik deutscher
Neoliberaler an den Formen der europäischen Integration eingeht, beruht für
die Zeit vor 1945 in erster Linie auf Röpkes Werk International Economic Disintegration
(1942). 1 Diese Abhandlung Röpkes fand bei frühen Vertretern der europäischen
Integration wie Walter Hallstein 2 besondere Beachtung. Die historische Integrationsforschung
hat die Stellungnahmen neoliberaler Wirtschaftswissenschafter
zum Problem der Schaffung einer Staatenföderation aus der Zwischenkriegszeit
und den Jahren des Zweiten Weltkrieges bisher kaum berücksichtigt. 3 Nachdem
wirtschaftswissenschaftliche Schriften aus Walter Lipgens‘ Quellensammlung
Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940–1945 ausdrücklich
ausgeklammert worden sind, ist eine Auswahl zentraler Texte neoliberaler Ökonomen
der Jahre 1939-45 in die Documents on the History of European Integration
(1985/86) aufgenommen worden. Die in den Documents aufgeführten Quellen,
ergänzt um weitere neoliberale Föderationsentwürfe der Jahre 1918-39 sowie der
Jahre 1939-45, erlauben es, die Frage zu behandeln, ob von spezifisch „neoliberal“
geprägten Föderationskonzepten gesprochen werden kann. In der vorliegenden
Studie werden die Besonderheiten der neoliberalen föderativen Neuordnungsideen
zwischen 1918 und 1945 herausgearbeitet und im Kontext der sich über die nationalen
Grenzen hinweg formierenden Bande der neoliberalen Wirtschaftswissenschafter
untersucht.
Die Neoliberalen werden nach 1945 in der Literatur als Integrationsskeptiker wahrgenommen.
Für die Mehrheit der Neoliberalen als internationale Forschungsgemeinschaft
trifft diese Beobachtung zu. Im Gegensatz zur Mehrheit der deutschen Neoliberalen
– darunter Röpke – begrüßte jedoch die Mehrheit der italienischen und der
französischen Neoliberalen – darunter Rueff, Villey, Allais und Hornbostel – die
EWG-Integration, weil sie ihr einen liberalisierenden Einfluß auf die Mitgliedstaaten
zuerkannten. Unter den Mitgliedern der neoliberalen Gesellschaft Mont Pèlerin Society
trat Allais nach 1945 in verschiedenen europäischen Organisationen am aktivsten auf:
1. A.J. NICHOLLS, Freedom with Responsibility, Oxford, 1994; H. PEUKERT, Das sozialökonomische
Werk Wilhelm Röpkes, Frankfurt/M., 1992; J. STOHLER, Neoliberalismus und europäische
Integration, in: Europa-Archiv, 17(1962), S.99 ff.; H.J. KÜSTERS, Die Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Baden, 1982; L. HERBST, Die zeitgenössische Integrationstheorie
und die Anfänge der europäischen Einigung 1947-1950, in: Vierteljahreshefte für
Zeitschichte, 34(1986), S.161 ff.
2. Sekretariat für Fragen des Schuman-Plans, PAAA, B 15, Marchtaler, 5.7.1950, S.115.
3. Vereinzelt sind Hinweise auf neoliberale Wirtschaftswissenschafter in den folgenden Beiträgen erfolgt:
J. PINDER, British Federalists 1940-1947, From Movement to Stasis, in: M. DUMOULIN (Hrsg.),
Plans des temps de guerre pour l’Europe d’après-guerre 1940-1947, Actes du Colloque de Bruxelles
12-14 mai 1993, Groupe de liaison des historiens auprès des Communautés, Brüssel-Baden-Baden,
1995, S.247-274. L. JÍLEK, L’Union Européenne à Bâle entre 1938 et 1946, Pôle helvétique et versant
mondial dans les projets d’une association européaniste, in: M. DUMOULIN (Hrsg.), op.cit., S.277.