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Board games from the city of Vijayanagara (Hampi ... - Gioco dell'Oca.

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M. ZOLLINGER, ZWEI UNBEKANNTE R EGELN DES G ÄNSESPIELS 75<br />

chlich Affen an die Stelle von Gänsen getreten sind (35) – ob aus Rücksicht auf die<br />

unfreundliche Bezeichnung für Spielerinnen mag dahingestellt bleiben. In zahlreichen<br />

Abwandlungen transportierte das Gänsespielprinzip seit dem 17. Jahrhundert in didaktischer<br />

Absicht die unterschiedlichsten Themen und Inhalte. Von diesen sei beispielsweise<br />

der weniger bekannte Lusus Chronologicus genannt, den ein Joannes Richardus de<br />

Messin 1687 für den österreichischen Erzherzog und künftigen Kaiser Joseph (I.) anfertigte<br />

und der den Gang der Welt von der Schöpfung bis zur glorreichen Herrschaft Kaiser<br />

Leopolds I. auf 57 Feldern abhandelt (Hainer / Rósza 1988).<br />

Der Variantenreichtum ist auch Motor einer weiteren Verbreitung, deren Kehrseite<br />

gleichzeitig den Übergang zur Massenproduktion für den Spielemarkt markiert. So wird<br />

die ikonographische Umsetzung <strong>of</strong>fenbar anspruchsloser und signalisiert eine populäre<br />

Trendwende. Georg Christoph Lichtenberg nahm den Mangel an brauchbaren topographischen<br />

Darstellungen in Deutschland zum Anlaß, sich über die vorherrschende<br />

mindere Qualität von Kupferstichen zu mokieren. Unter Anspielung auf Nürnberg als<br />

zentrale Produktionsstätte für Spielwaren kritisierte er 1782 die verfügbaren<br />

Städteansichten: “Was wir jetzt haben, ist meistens vernürnbergtes Zeug in der<br />

Gänsespielmanier.” (Lichtenberg 1994: 487f.). (36) Der “Stil der Gänsespiele”, wie er an<br />

anderer Stelle schreibt, war bereits zu einem negativen Markenzeichen von Massenprodukten<br />

geworden. Damit erhebt sich einmal mehr die Frage nach der Konkurrenz<br />

von Spielen, dem Mechanismus der Verdrängung und der temporären Vorherrschaft<br />

einzelner Spiele über andere sowie nach einer möglichen Dynamik der sozialen<br />

Stratifikation. Folgt man Huvier des Fontenelles, ist das alte Gänsespiel bereits 1788 in<br />

die Küche verbannt. Domestiken würden es nicht mehr spielen wollen, nur noch die<br />

Nachwäscherin des Geschirrs lade an Festtagen Dorffrauen zu einer Partie Gänsespiel<br />

ein. Das Loto-Dauphin (damals sehr en vogue) sei ihnen unbekannt, denn alles sei Sache<br />

der Mode. Spielte man das Gänsespiel bei H<strong>of</strong>, würde kein “petit-maître” auch nur einen<br />

Tag ohne Partie verbringen wollen (Huvier des Fontenelles 1788: “Vingtième entretien”;<br />

Vissière 1976: 276f.). Natürlich ist die präsumptive Vorbildwirkung des H<strong>of</strong>es auf die<br />

Spielgewohnheiten ein so <strong>of</strong>t behauptetes wie schwer zu belegendes Theorem, und die<br />

polemische Intention Huviers wird ebenfalls zur Verzerrung beigetragen haben.<br />

Allerdings wäre spielhistorisch der “Mode<strong>the</strong>se” im Rahmen von Angebot und Nachfrage<br />

noch genauer nachzugehen, denn die marktorientierte Produktion fand selbstverständlich<br />

ihre Grenzen in der Kaufkraft und den materiellen Bedürfnissen und kulturellen<br />

Möglichkeiten einer überwiegend armen Bevölkerung. Andererseits ist zur Zeit<br />

Lichtenbergs und Huviers der Weg des Gänsespiels zum Kinderspiel längst beschritten.<br />

Wo aber auch Erwachsene dem Spiel nicht abhold sind, bietet sich ihnen das Gänsespiel<br />

noch heute an, wie beispielsweise ein im Sommer 2002 in einer italienischen<br />

Tageszeitung erschienenes satirisches Exemplar mit bekannten Politikern zeigt. Wenn<br />

es sich gar als Rubbelglücksspiel präsentiert, wie in einer der neuesten Erfindungen von<br />

La Française des Jeux der Fall, kann dies jedoch den Unmut von “echten” Wertschätzern<br />

des einstmals “noblen Gänsespiels” hervorrufen (siehe Fralon 2001).

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