64 B OARD G AME S TUDIES 6, 2003 Ein handgemaltes Gänsespiel, um 1700 (Sammlung Albert Fort, Foto M. Zollinger)
M. ZOLLINGER, ZWEI UNBEKANNTE R EGELN DES G ÄNSESPIELS 65 und günstigen Stationen bis hin zur Palma del Éxito, der Palme des Erfolgs, die den Angekommenen in die Höhe erhebt, jedoch nicht ohne daß dieser dafür einen gewissen Preis bezahlt hat (Dadson 1987, 6ff.; Parker 1995: 170; Martínez Millán 1996; Sieber 1998). (10) Don Alonso de Ercilla empfahl in seiner Aprobación die Drucklegung des Buchs, weil er es als “gustoso y honesto entretenimiento, y en este genero la mejor que he visto”, empfand. Der Eindruck einer Unterhaltung mußte um so leichter entstehen, als Barros den Text als Beigabe zu einer gleichnamigen, von ihm gemachten (“co[m]puesto”) “pintura [...] con ciertas diferencias y letras que se contiene en vn pliego gra[n]de” verfaßte. Der bemalte Bogen gilt als verloren, doch das Buch verdeutlicht, daß es sich um ein Spiel handelt. Der Text ist als Spielerläuterung konzipiert und enthält eine “Declaracio[n] del juego, y orden de jugarle”. Das Spiel erweist sich als Laufspiel mit 63 Feldern und wird mit zwei Würfeln, Spielmarken und Einsätzen von zwei oder mehr Spielern gespielt. Edward M. Wilson erinnerte es an Snakes and Ladders (Wilson 1968: 367), (11) und auch der der Neuedition beigefügte Spielplan mit sieben mal neun Feldern will einen von links unten beginnenden, Zeile für Zeile ansteigenden Spielverlauf. Nun gibt der Text zwar keinen Hinweis darauf, ob ein Gänsespiel als Vorlage gedient haben könnte, aber die eingefügten Felder mit besonderer und differenzierter Bedeutung für den Spielverlauf lassen an ein solches denken. Der Vergleich wäre meines Erachtens weniger anachronistisch als Snakes and Ladders, doch ist auch er nur mit Einschränkungen brauchbar. Denn es gibt sowohl Parallelen als auch Abweichungen: Wenn ein Spieler auf ein Feld gerät, wo bereits die Marke eines anderen Spielers liegt, muß dieser in das Ausgangsfeld des ersteren weichen. Nummer 4 ist die Casa del trabajo. Wer auf sie zu stehen kommt, darf bzw. muß die gewürfelte Zahl noch einmal weiterrücken. Diese Regel gilt jedesmal, wenn man auf ein “Arbeitsfeld” kommt, also überall, wo zwei pflügende Ochsen mit aufgefädelten Früchten als Sinnbild der Arbeitsmühen abgebildet waren. (12) Die neun Arbeitsfelder waren aber nach der Vorstellung des Autors <strong>of</strong>fenbar unregelmäßig verteilt, weil der Inhalt seines Werks keine bestimmte Anordnung dieser casas benötigte (“EN el numero de las casas del Trabajo, no se guarda orden, porque no la tiene la materia, de q[ue] aqui se trata”). (13) Der Unterschied zum Gänsespiel ist augenfällig: Ochsen statt Gänse und statt der regelmäßigen Verteilung der 13 Gänse in Abständen von vier und fünf Feldern die unregelmäßig verteilten neun Ochsenpaare bei Barros. Fünfzehn Felder (ohne die Nummer 1 und 63) haben unterschiedliche emblematische Ausgestaltungen und Texte sowie entsprechende Funktionen. Wie im Gänsespiel, bringen sie die Spieler voran oder werfen sie zurück, wobei jedesmal eine bestimmte Summe zu bezahlen ist. Doch dabei ist eine genuine schöpferische Leistung Barros’ zu beobachten, die vom Gänsespiel wieder wegführt. Abgesehen von der gestalterischen Andersartigkeit sind es die Anzahl und die Verteilung dieser Felder im Parcours, die Barros’ Spiel unterscheiden. So gibt es zwar auch einen Tod, den Muerte del Valedor (Tod des Gönners), der den Spieler an den Spielbeginn zurückversetzt, allerdings findet er sich auf Feld 46. Feld 53, im Gänsespiel mit zwei Würfeln dargestellt, ist bei Barros la Suerte, auf das man vom Feld 60, der Armut (la Pobreza), zurückgeworfen wird und deswegen jedem Spieler ein “Almosen” zu bezahlen hat. Schließlich, um diesen verkürzten
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