Board games from the city of Vijayanagara (Hampi ... - Gioco dell'Oca.
Board games from the city of Vijayanagara (Hampi ... - Gioco dell'Oca.
Board games from the city of Vijayanagara (Hampi ... - Gioco dell'Oca.
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
62<br />
B OARD G AME S TUDIES 6, 2003<br />
te. Damit allerdings scheint ihm nur ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen zu sein, denn<br />
noch im selben Werk stellt er das Würfelspiel Passe-dix und das Gänsespiel völlig indifferent<br />
und richtig als reine und unterhaltungsstiftende Glücksspiele nebeneinander<br />
(Barbeyrac 1737: I, 120; II, 550) (1) .<br />
Auf einer praktischeren Ebene fehlt das Gänsespiel, zumindest so weit ich die<br />
Textlage überblicken kann, mit der erwähnten toskanischen Ausnahme in den weltlichen<br />
Glücksspielverboten, die in der Frühen Neuzeit <strong>of</strong>t auf konkrete Gegebenheiten und<br />
Vorkommnisse reagieren. (2) Und in der Tat ist aus den Quellen noch keine polizeilich verfolgte<br />
Hasardpartie am Gänsespielbrett bekannt geworden. Das bedeutet jedoch andererseits<br />
nicht, daß dieses Spiel – wie man vielleicht aus der späteren Entwicklung zu<br />
schließen geneigt sein könnte – von vorneherein als Kinderspiel konzipiert und primär<br />
von Kindern praktiziert worden wäre. So schreiben ja weder Thiers noch Barbeyrac im<br />
Hinblick auf ludische Aktivitäten von Kindern. Wenn das Gänsespiel in seiner Frühzeit<br />
auch von Kindern gespielt worden ist, ist dies sicher im Kontext der Spielgewohnheiten<br />
der Oberschicht(en) zu sehen, die, wie Philippe Ariès darlegt, Kindern unterschiedslos<br />
auch “Erwachsenenspiele” wie beispielsweise Glücksspiele zukommen ließ, wie umgekehrt<br />
Erwachsene Spiele spielten, die man heute eher Kindern zuschreiben würde (Ariès<br />
1978: 137f.). (3)<br />
Abgesehen davon und unter Berücksichtigung der wenigen verfügbaren Zeugnisse<br />
deuten die frühesten Belege und Indizien zum Gebrauch des Gänsespiels verstärkt in<br />
die Welt der (adeligen) Erwachsenenwelt. Dies gilt meines Erachtens auch für das Grazer<br />
“Fortuna-Spiel” von 1589 (siehe unten), das Kindern zugeschrieben wird, aber nicht<br />
zuletzt wegen der darauf befindlichen Noten und Texte zu einem Trinklied Orlando di<br />
Lassos (1532-1594) wahrscheinlich für ein erwachsenes Publikum gedacht gewesen sein<br />
dürfte. Mit den von Ariès analysierten Wandlungen der Einstellungen und Verhaltensweisen<br />
der Oberschicht in Richtung auf eine deutlichere Trennung der Aktivitäten von<br />
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen könnten auch einige vereinzelte Beobachtungen<br />
zum Gänsespiel im 16. und 17. Jahrhundert zusammenhängen. Das “rechte<br />
Ganßspiel”, so berichtet der deutsche Kunstagent Philipp Hainh<strong>of</strong>er, sei “in Italien<br />
under den Studenten, im Wünter nach dem Essen, ehe sie studieren oder schlafen gehen,<br />
gar gemein” (zitiert nach Wilckens 1985: 21, Fn. 117) (4) . Dazu würde passen, daß bereits<br />
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – nach Angaben des allerdings nicht immer<br />
verläßlichen Walter Endrei – dem Jesuiten Peter Apor vom Kolleg in Klausenburg (Cluj-<br />
Napoca; Siebenbürgen) zufolge die Konviktzöglinge sich bei Regenwetter “beispielsweise<br />
mit Brettspielen, mit dem Gänsespiel” beschäftigt haben sollen (Endrei 1988:<br />
41). (5) 1662 empfiehlt Johann Jakob Redinger in seinem Werk über Comenius den<br />
Schülern ehrbare Spiele bzw. Freizeitvergnügen, wie eben das “Gansspil”. Der “Ludus<br />
anseru[m]” sei neben dem Blindekuh der einzige, der keine speziellen körperlichen<br />
Fertigkeiten verlange und im Winter- oder Schlachtmonat “in der Stube” gespielt werden<br />
könne (Bulitta 2000 / 1996). (6) Ob damit bereits ein Indiz für die allmähliche<br />
Verlagerung zu einem hauptsächlich für Kinder gedachten Spiel in dieser Zeit vorliegt,<br />
muß weiteren Studien überlassen bleiben.