Vol. XXXVIII / 1 - Studia Moralia

THERAPEUTISCHE BEICHTPRAXIS 41
4.5. Die Sakramente als Orte der Gotteserfahrung
betrachten
Der Heilige Alphons war bemüht, den Beichtvätern den Weg
zu zeigen, auf dem sie zu lebendigen Zeichen des Wohlwollens
Gottes werden und seine zuvorkommende Liebe für den
Pönitenten transparent und erfahrbar machen. Auch heute gilt
die von Alphons vertretene Regel, daß der Mensch sich erst dann
bekehren und dauerhaft an Gott orientieren kann, wenn ihm
eine Geborgenheit schenkende göttliche Nähe zuvor begegnet 107 .
Das Bußsakrament ist daher nicht nur als ein im Namen Gottes
vollzogener, zur Losspsrechung führender Ritus zu verstehen,
sondern als ein Raum, wo der glaubende Mensch die
versöhnende und heilende Hand Gottes ergreift und dem
versöhnenden und heilenden Christus begegnet 108 .
Für das Theologiestudium ergibt sich daraus eine
Notwendigkeit, die Sakramentenlehre im Sinne der
mystagogischen Pastoral zu vermitteln, die das Wirken Gottes in
der menschlichen Wirklichkeit zu enthüllen sucht 109 . Die
Sakramente erzählen von Gottes Absicht mit dem Menschen
und tragen dazu bei, daß diese Absicht im Leben von Menschen
vorankommt. In dieser Perspektive sind Heil und Gnade nicht in
erster Linie als Veränderungen am Menschen, d.h. als Heiligung,
Reinigung und Berufung, sondern als Zuwendung Gottes selbst
zu verstehen 110 .
Darum geht es auch im Sakrament der Versöhnung, dessen
Vollzug von jener Form und Atmosphäre begleitet werden soll,
die dem Beichtenden ermöglicht, die Frohe Botschaft zu
vernehmen und zugleich auch sie hautnah zu erleben. In dieser
Weise wird das Beichtgespräch zu einer erlösenden und
107
P.M.Zulehner, Moderne Religiosität und christlicher Glaube,
”Theologie der Gegenwart” 2 (1991), 94.
108
K.Baumgartner, Gesprächs-Seelsorge im Dienst der Versöhnung,
161.
109
O.Fuchs, Heilen und befreien. Der Dienst am Nächsten als Ernstfall
von Kirche und Pastoral, Düsseldorf 1990, 179; P.M.Zulehner,
Lebenserfahrungen auf dem Weg von der versorgten zur sorgenden
Gemeinde, ”Lebendige Seelsorge” 5 (1984), 302.
110
P.M.Zulehner, Priestermangel praktisch, 139.